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"Der fliegende Holländer" in Hannover
Klangzauber zwischen Kaufhausruinen

Er kennt sich aus am Dirigentenpult der Staatsoper Hannover: Drei Jahre lang war Ivan Repušić bereits erster Kapellmeister. Nun hat er seinen Einstand als Generalmusikdirektor gegeben - zusammen mit Bernd Mottl in einer Neuinszenierung von Richard Wagners Oper "Der fliegende Holländer".

Von Agnieszka Zagozdzon | 13.02.2017
    Inszenierung der Oper "Der fliegende Holländer" von Richard Wagner an der Staatsoper Hannover.
    Düstere Inszenierung: Wagners "Holländer" in Hannover (thomas.m.jauk)
    Fünf Monate hat es gedauert - aber am vergangenen Samstagabend war es endlich soweit: Der neue Generalmusikdirektor der Staatsoper Hannover, Ivan Repušić, dirigierte zum ersten Mal in einer Opernpremiere. Ursprünglich hätte er bereits im vergangenen September die Saison mit Puccinis "Manon Lescaut" eröffnen sollen, doch dann war er kurz vorher erkrankt und musste pausieren. Zwei Sinfoniekonzerte hatte Repušić in der Zwischenzeit schon geleitet - nun aber gab es mit dem "Fliegenden Holländer" endlich den Einstand bei einer Opernproduktion. Dabei stecke dieses vergleichsweise frühe Werk von Wagner voller Herausforderungen für ihn, so Ivan Repušić:
    "Ich würde sagen, manchmal sind die früheren Werke viel schwieriger als diese reifen Werke. Der 'Fliegende Holländer' hat so viel Verantwortung für den Dirigenten: die gute Balance zu finden, Atmosphäre, Farben, technisch schwierige Momente beim Holz und Blechgruppen, bei den Streichern auch – und natürlich die Sänger! Ich habe immer etwas mehr Respekt vor diesen sogenannten einfachen jungen Werken."
    Schon als Kapellmeister klares Gespür für feine musikalische Nuancen
    Der gebürtige Kroate Ivan Repušić studierte zunächst an der Musikakademie in Zagreb, bevor er anschließend mit Dirigenten wie Jorma Panula und Donald Runnicles zusammenarbeitete. Später wurde Repušić Chefdirigent des Kroatischen Nationaltheaters in Split. Nachdem er an der Staatsoper Hannover eine Vorstellung von "La Bohème" dirigiert hatte, wurde ihm sofort angeboten, sich als erster Kapellmeister zu bewerben. Drei Jahre lang, von 2010 bis 2013, blieb Repušić in Hannover und begeisterte in dieser Zeit mit seinem klaren Gespür für feine musikalische Nuancen unter anderem in Verdis "Falstaff", Tschaikowskys "Eugen Onegin" und Mozarts "Entführung aus dem Serail".
    Nach seinem vorläufigen Abschied aus Hannover arbeitete Ivan Repušić zunächst als Gastdirigent unter anderem an der Deutschen Oper Berlin. Als klar wurde, dass die bisherige Generalmusikdirektorin der Staatsoper Hannover, die Amerikanerin Karen Kamensek, ihren Vertrag nicht verlängern würde, sprach sich das Orchester mit deutlicher Mehrheit für Repušić als Nachfolger aus. Neben seiner Tätigkeit in Hannover wird Repušić außerdem ab diesem Jahr Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters.
    Herausforderung gleich am Anfang
    Am vergangenen Samstag dirigierte er nun zum ersten Mal in seiner Karriere Wagners "Fliegenden Holländer" - und das gleich als Generalmusikdirektor:
    "Egal ob man Generalmusikdirektor ist, ob ich Kapellmeister bin, ob ich Assistent bin, ob ich ein Gastdirigent bin – das ist für mich die gleiche Aufgabe: Wenn man am Pult ist, versucht man immer, das Beste zu geben und gute Musik zu machen."
    Ähnlich wie Ivan Repušić hatte auch der Regisseur der Hannoverschen Inszenierung, Bernd Mottl, vorher noch nie den "Fliegenden Holländer" erarbeitet. Allerdings hatte Mottl einen kleinen familiären Vorteil, denn schließlich ist er ein direkter Nachfahre des Dirigenten Felix Mottl, der seinerzeit mit Richard Wagner in Bayreuth zusammen gearbeitet hatte. Mottl ließ sich bei seinem Regiekonzept von den Umständen der Entstehung des "Fliegenden Holländers" inspirieren.
    "Unsere Grundidee ist, dass der Wagner eine brutale Seeüberfahrt über viele, viele Tage erlebt hat; und für mich geht es gerade aus dieser Perspektive darum, dass der Mensch in dem Spannungsfeld zu den Kräften der Natur steht. Das ist auch etwas, das sich für mich 2017 ganz gut erzählen lässt: die Unwetter, die Klimakatastrophen rücken näher; und wie wir damit umgehen, wie mir mit diesen Energien, die dieser Planet hat, auf die verschiedenste Weise reagieren – das möchte ich gerne erzählen an dem Abend."
    Konsum inmitten einer Katastrophe
    Die Bühne wird dominiert von der Ruine eines Kaufhauses: verfallene, weiß getünchte Wände, eine halb heruntergerissene Rolltreppe und verbarrikadierte Schaufensterläden. Inmitten dieser Kulisse trifft der geschäftstüchtige Kapitän Daland auf einen seltsamen schwarz gekleideten jedoch äußerst wohlhabenden Fremden, der sich nur als "Holländer" vorstellt. Nach kurzem Gespräch sind sich beide einig: Der Holländer soll Dalands Tochter Senta heiraten.
    In der nächsten Szene fungiert dieselbe Kaufhausruine - nur etwas heller ausgeleuchtet - als Dalands Heim, in dem adrette Pelzmantel-behängte Damen ihre Einkaufstaschen spazieren tragen. Regisseur Bernd Mottl:
    "Das Stück zeigt die Gegenüberstellung von einem rein konsumorientierten Denken – was der Daland und was letztendlich dieser Ort repräsentiert – und einer Figur, Senta, die nun genau die Gegenhaltung interessiert. Die letztendlich an der Nützlichkeit des Tuns nicht interessiert ist; sondern die einen spirituellen Weg für ihr Leben sucht und den einzig in diesem Holländer erkennt."
    Senta ist in dieser Inszenierung das, was man auf Deutsch einen "Grufti" nennen würde: mit schwarzen Klamotten, schwarzen Haaren, bleichem Gesicht und dunkel geschminkten Augen und Lippen. In diesem Kontext wirkt ihre geradezu obsessive Beschäftigung mit dem Mythos vom "Fliegenden Holländer" - einem bleichen gespenstischen Mann an Bord eines schwarzen Schiffes mit blutroten Segeln - absolut einleuchtend und nachvollziehbar.
    Bühnenbild wirft Fragen auf
    Sopranistin Kelly God war schlichtweg hervorragend - mal trotzig, mal kämpferisch und mal sensibel - als von Todessehnsüchten getriebene Senta. Sie und die übrigen durchweg ausgezeichneten Sänger begleitete Ivan Repušić so souverän vom Graben aus, dass Wagners stilistisch eigentlich noch etwas durchmischtes Frühwerk wie ein elegantes, facettenreiches und hochkarätiges Gesamtkunstwerk klang.
    Weniger überzeugend hingegen Bernd Mottl zwischen Klimawandel und Konsumkritik angelegtes Regiekonzept. Denn es enthält doch einige dramaturgische Ungereimtheiten: Wenn eine Naturkatastrophe das Kaufhaus zerstört hatte, wieso sind dann alle Wände so blitzsauber? Wieso liegt ein äußerst realistisch aussehender Rinderkadaver im ersten Stock? Und wo kaufen die Damen ihre Pelzmäntel, wenn doch alle Geschäfte geschlossen sind? So imposant die Kaufhausruine zunächst wirkte, so warf das Bühnenbild im Verlauf des Abends mehr Fragen auf als Mottls stellenweise durchaus interessante Inszenierung schlüssig beantworten konnten.