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"Der fliegende Mensch"

Der Flugzeugpionier Hugo Junkers zählt neben Bauhaus-Gründer Walter Gropius zu den Persönlichkeiten der Stadt Dessau. Tine Rahel Völcker hat im Auftrag des Dessauer Theaters ein Stück über ihn geschrieben.

Von Michael Laages |
    Der Bühnenraum selber ist ja quasi "made bei Junkers", wenigstens ein bisschen – die Aula in der Bauhaus-Hochschule ist noch immer mit Heizkörpern von Junkers bestückt; nur die Ventile sind neuerer Bauart. Und über dem Eingang hängen –wie Bilder, wie "Installationen"- zwei dieser Heizkörper in alter Stahl-Lamellen-Bauart; sie funktionieren allerdings nicht und waren immer nur Objekte der Kunst. Der Geist dieses Ortes, diese Mi-schung aus Kunst, Industrie und Design im Zeichen des Bauhauses, ist wichtig für Tine Rahel Völckers halb dokumentarische "Junkers-Saga"; und Andrea Moses, mittlerweile Teil des höchst erfolgreichen Stuttgarter Opern-Teams, hatte diesen Ort für Junkers wohl schon ausgesucht, als sie noch Opernchefin war am örtlichen Theater.

    "Wer bei Junkers abends nach Hause, weiß, was er den Tag über geleistet hat."

    Als das "Bauhaus", 1924 aus Weimar vertrieben, in Dessau ankommt, ist Junkers schon da – und steht wohl schon im Zenith als unabhängiger Flugzeugbauer; ermöglicht haben ihm das riskante Geschäfte mit der Reichswehr, die (auf Grund des Versailler Vertrages) Kriegsgerät nur im Ausland, und im Falle Junkers in Kooperation mit der jungen Sowjetunion bauen lassen kann. Damit steckt der Industrielle in einem unauflöslichen Konflikt; denn:

    "Ich hasse den Krieg, ja! Warum ein Flugzeug bauen, nur damit es wenige Wochen später wieder verbrannt wird. Diese Verachtung unserer Technik gegenüber ist mir ein Gräuel!"

    Die Reichswehr will alsbald nichts mehr wissen von den geheimen Deals; Junkers fällt, Bosch übernimmt die Heizkörper-Produktion, und die Flug-Linien fusionieren mit dem Aero Lloyd zur "Luft Hansa". Bleibt das Werk in Dessau – und Junkers sucht die Nähe zum Bauhaus; den Künstler Friedrich Höhlsen gewinnt er gar als dauerhaften Mitarbeiter, und der entwirft ihm das Signet für die Firma:

    "Herr Höhlsen hat ein Markenzeichen für uns entworfen, schauen Sie mal: "Der fliegende Mensch"!"

    Derweil gleitet der zwölffache Vater Junkers familiär in vielerlei Krisen – die Tochter Hertha, politisch weit links zu Hause, wandert aus nach Amerika; der erste Sohn Werner stirbt bei einem Flugzeugabsturz, und der Zweitgeborene Klaus ist das "schwarze Schaf" der Familie, würde am liebsten Tänzer werden – und lässt sich von den Nazis an der Macht als Vaters Nachfolger für die Leitung kriegsvorbereitender Massenproduktion instrumentalisieren.

    Das ist eine attraktive Mischung aus Wirtschafts-, Kultur- und Familien-Geschichte; klug verschränkt Tine Rahel Völcker die Ergebnisse der Junkers-Recherche, und manchmal gelingen ihr wirklich prächtige Miniaturen – ach nein, stellt Junkers zum Beispiel bekümmert fest, als die Nazis schon vor der Werkstür stehen: mit diesem Göring könne er nicht reden, den habe er mal als Test-Piloten abgelehnt ... ein kleiner Satz voll von Geschichte. Andrea Moses kreiert mit dem sehr speziellen Bühnenbildner Karoly Risz für diese "Saga" eine Art Dauer-Werkstatt – aus Transportkisten (auf denen mal auf Deutsch, mal russisch "Dessau" steht) wird sämtliches Material und manchmal gar das Personal für’s Spiel hervor gezaubert. Puppenspiel gibt’s auch, und viel Video - das bleibt sehr lange sehr packend.

    Dann aber wird Junkers 1933 nicht nur enteignet und kaltgestellt, sondern zwei Jahre später ist er auch tot – und das Stück stirbt leider mit. Hinten dran klebt lokale Recherche-Routine – wie die Dessauer Synagoge abgefackelt wurde in der Reichspogromnacht und die Deutschen profitierten von der Vertreibung der Juden; wie Goebbels das neue große Theater eröffnete in der nunmehr "Gauhauptstadt", wie nicht nur Kampfflieger bei Junkers, sondern auch "Zyklon B" für die Todeskammern der Konzentrationslager in der örtlichen Zuckerfabrik produziert wurde ... und wie schließlich die Junkers-Techniker nach Russland umgesiedelt werden, weil ihre Kenntnisse von Nutzen sind.

    Das mögen für Dessau interessante Details sein; ästhetisch rennt Moses nun aber nur noch offene Türen ein. Der Sonderling zuvor jedoch, dieser Junkers, der glaubte, dass Industrie frei von Politik bleiben könne und stattdessen im Einklang mit der Kunst, zum Beispiel im Bauhaus – der bleibt eine Jahrhundertfigur. Nicht nur in Dessau.