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Der Fluch des Ringes

Rund um den Ruppiner See wird gerade im Sommer viel Theater gespielt. Alle Theaterfestivals in dieser dünn besiedelten Landschaft beziehen sich auf deren Geschichte oder entwickeln sich aus den örtlichen, landschaftlichen Gegebenheiten, wie in Netzeband, wo man in diesem Jahr mit dem ersten Teil einer "Nibelungen-Trilogie" startete. Der überzeugte mit einem engagierten Ensemble.

Von Hartmut Krug |
    Zwanzig Kilometer oberhalb von Neuruppin und einhundert Kilometer nördlich von Berlin liegt das märkische Straßendorf Netzeband in einer von Feldern und Seen bestimmten Landschaft. In Netzeband wohnen rund zweihundert Einwohner, etliche von ihnen sind Mitte der neunziger Jahre aus Berlin hinzu gekommen, als ein Düsseldorfer Landschaftsarchitekt verfallene Gehöfte zu Eigentumswohnungen und einem Landhotel umbaute. Nicht weit entfernt ist Rheinsberg mit dem Opernfestival des Komponisten Siegfried Matthus, dem Vater von Frank Matthus, der den Netzeberger Theatersommer 1996 mit begründete und bis heute leitet. Auch in Wustrau am südlichen Ende des Ruppiner Sees wird Theater gespielt, Fontanes "Oceane" als Bilder- und Tanztheater auf einer kleinen Seebühne, und in Fontanes Geburtsstadt Neuruppin am nördlichen Ende des Sees sind Fontane-Festspiele geplant. Alle Theaterfestivals in dieser dünn besiedelten Landschaft beziehen sich auf deren Geschichte oder entwickeln sich aus den örtlichen, landschaftlichen Gegebenheiten, wie in Netzeband, wo man in diesem Jahr mit dem ersten Teil einer "Nibelungen-Trilogie" startete.

    Wer die in Netzeband sehen will, muss durch die Kirche gehen. Die in ockerfarben restaurierter Schönheit strahlende Temnitzkirche ist das Eingangstor zum sich in einem Waldstück verlierenden weiten Gutspark. Hier wird seit 1996 Theater gespielt, - allerdings nicht als die übliche Sommerunterhaltung mit Shakespearekomödien oder Events mit Stars, sondern als eine auf die Weite des Naturraumes abgestimmte ganz eigene Theaterform. Es begann mit "Unter dem Milchwald", dem "Spiel für Stimmen" von Dylan Thomas, bei dem von Einheimischen gebaute Puppen an Stäben durch Wald und Park getragen werden, während der Text aus dem Lautsprecher schallt. Diese poetische Inszenierung findet bis heute ihr fasziniertes Publikum. Man könnte diese Theaterform "Hörtheater" nennen, und so hat Frank Matthus diese Form, die er auch schon bei einer "Macbeth"-Inszenierung erprobte, zum Dogma gemacht. Das bedeutet: die Texte werden von Schauspielern in Berlin aufgenommen, unter ihnen prominente wie Corinna Harfouch, Daniela Ziegler und Gerd Silberbauer, um als eine Art Soundspur für choreographisch bewegtes, pantomimisches Maskentheater eingespielt zu werden.

    Während der Zuschauer einen weiten Hügel hinab zum Waldrand wandelt, schallt aus Lautsprechern ein germanischer Mythos von der Entstehung der Welt. Vor den Stühlen am Waldrand sind keine Bretter und Pfosten aufgeschlagen, nur zwei Hochstände sind an Bäume gehängt, sonst liefert allein die Natur die Kulisse und bildet die Bühne. "Der Fluch des Ringes" heißt dieser erste Teil des Nibelungen-Projektes, der Motive aus der germanischen Sagenwelt, aus dem Nibelungenlied und aus dem "Herrn der Ringe" mit aktuellen Anspielungen vermischt. Die germanischen Gottheiten treffen sich zur Götterversammlung und stemmen sich vergeblich gegen das Chaos einer Welt im Wandel. Die Männer halten nichts von Liebe, während die Frauen, die diese bei den Menschen als eine Macht erkennen, als Ordnungs- und Lebensprinzip einführen wollen. Eine alte Welt, aus Gewalt geboren, wird von einer neuen abgelöst, und Wotan sinkt zurück zu Gaia in die Erde, während Siegfried sich in Kriemhild verliebt.

    Die Götter tragen wunderbare große Gipsmasken mit riesigen Augen, schiefen Konturen, grellen Farben und tierischen Anspielungen, während das Siegfried zeugende geschwisterliche Liebespaar Siegmund und Sieglinde ganz in weiß unter glatten weißen Masken daher flattert. Am überzeugendsten wirken die Zwerge mit ihren grau verknautschten, mausähnlichen Masken, die von Kindern mit knickebeinigen Bewegungen gespielt werden. Auch der Drache fasziniert, als eine Projektion von Lichteffekten im Blätterdach.

    Es ist ein ambitioniertes Projekt, das vor allem mit seinen szenischen Bildern und seinen Arrangements im Wald zu überzeugen und zu begeistern versteht. Doch leider will Regisseur Frank Matthus, der unter einem Pseudonym auch den mäandernden Text der dreistündigen Aufführung verfasst hat, allzu viel. Zahlreiche Geschichten werden nur schnell erzählt und immer wieder tönen philosophierende Bedeutungspassagen vorbei. Dabei wird der offenkundig angestrebte hohe, unpathetisch harte Ton doch eher verfehlt. Vielleicht sollte sich Frank Matthus, der unter Mehrfachbelastung stehende künstlerische Leiter, Regisseur, Hörbuch-Mitsprecher und Textautor doch nach einem Autor umsehen, der ihm prägnant komprimierte Texte zu schreiben versteht.

    Derzeit wirkt der Text oft nur wie ein Sprachteppich, vor dem die rund dreißig Darsteller, außer zwei Tänzern und drei Schauspielern allesamt Laien, mit allzu stereotypen flattrigen Gesten, mit zur Seite und zum Himmel gereckten Händen und stutzflügelhaften Armbewegungen, ihre Figuren nicht immer szenisch deutlich und dramatisch spannend zu machen verstehen. Aber die Inszenierung besitzt, vor allem im zweiten Teil, wenn Siegfried bei Alberich und den Zwergen um seinen Namen und den Schatz kämpft, auch wunderbare Momente. Sie überzeugte mit ihrem engagierten Ensemble jetzt schon ihr begeistertes Publikum und lässt den Theaterkritiker, der sie als eine Inszenierung auf der Suche nach einer eigenen, neuen Theaterform sehr zu schätzen weiß, auf die Entwicklung in den nächsten Jahren hoffen.