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Der fromme Kommunist

Er war Kommunist und zwar, so erklärte einmal Silvio Berlusconi, einer der schlimmsten überhaupt: Antonio Gramsci gründete nicht nur die Kommunistische Partei Italiens, sondern gilt bis heute als die linke Ikone des Landes. Doch anscheinend wurde Gramsci im Angesicht seines Todes ein frommer Katholik. Das behauptet ein Erzbischof aus dem Vatikan und sorgt damit in Italien für einen handfesten Skandal.

Von Thomas Migge | 19.12.2008
    Die Nachricht sorgt in Italien für großes Aufsehen. Alle Fernsehnachrichten berichten darüber und in zahllosen Talkshows wird das Thema diskutiert.

    Antonio Gramsci ein Katholik? Ein später Katholik? Der sich auf dem Totenbett und im letzten Moment seines politisch und persönlich bewegten Lebens zur römisch-katholischen Kirche bekehrte? Monsignor Luigi de Magistris, pensionierter Erzbischof der römischen Kurie, ist felsenfest von dieser Bekehrung zum Katholizismus überzeugt. Ihm ist die Enthüllung dieser Aufsehen erregenden Nachricht zu verdanken:

    "Gramsci befand sich 1937 in der römischen Klinik Quisisana. Er war schwerkrank. Während eines Kirchenfestes wurde, wie das in diesem Hospital üblich ist, eine Holzfigur des Jesuskindes zu den Kranken gebracht. Als Heilsbringer gewissermaßen. Gramsci erfuhr davon und fragte, warum man denn das Jesuskind nicht auch zu ihm bringen würde."

    Die Ordensschwestern, die sich um den kranken Kommunisten und faschistischen Regimegegner kümmerten, berichtet der Monsignore, hätten sich gewundert:

    "Sie sagten ihm, dass er doch nicht religiös sei, doch Gramsci bestand auf einen Besuch des Jesuskindes. Schließlich ließ er sich auch die Sterbesakramente geben."

    Ein Unding für die immer noch vielen Anhänger des 1891 geborenen Gramsci. Der Philosoph und Politiker begann als Sozialist und Journalist und kämpfte Anfang der 20er Jahre gegen den reformistischen Flügel seiner Partei. Dieser Kampf und seine radikale Position machte ihn schließlich zum Gründungsvater der Kommunistischen Partei Italiens, der KPI – 1921 in Folge eines tumultuösen Kongresses der sozialistischen Partei, aus der die kommunistische Fraktion austrat. 1922 reiste Gramsci nach Moskau, verkehrte mit Lenin und allen anderen Promis der jungen Sowjetunion. 1926 wurde er verhaftet und zwei Jahre später zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt. Eine Haftstrafe, die auf 10 Jahre reduziert wurde, aber der schlechte Gesundheitszustand des Kommunisten führte schließlich zu seinem frühzeitigen Tod. Mit der Kirche hatte der Revolutionär nie etwas im Sinn. Im Gegenteil. Er wollte sie abschaffen. Der Erzbischof, der nun von einer späten Bekehrung spricht, weist aber darauf hin, dass er die Information von der Bekehrung von jener Schwester habe, die sich 1937 um den kranken Gramsci gekümmert hätten:

    "Diese Nonne arbeitete für einen hohen Geistlichen innerhalb der vatikanischen Verwaltung und war sicherlich keine Phantastin! Sie erlebte Gramscis Ende hautnah mit und von ihr weiß ich das alles."

    Ein Sturm der Entrüstung entlädt sich nun gegen den Erzbischof und die gesamte katholische Presse Italiens, die ausführlich über den "Fall Gramsci” berichtet. Dabei ist auch die Rede von einem anderen katholischen Geistlichen, der bereits 1976 von der vermeintlichen Bekehrung Gramscis sprach. Auch dieser Priester wusste von einem Kuss des Kommunisten auf die Füße der hölzernen Jesusskulptur.
    Giuseppe Vacca von der römischen Gramsci-Stiftung findet Behauptungen dieser Art unglaublich:

    "Hier wird versucht, die eigenen Überzeugungen anderen Menschen aufzupfropfen. Es wäre sicherlich nichts Dramatisches, wenn Gramsci sich bekehrt hätte, doch es liegen keinerlei dokumentarische Beweise oder Indizien vor, die das belegen könnten. In keiner Weise. Das ist doch alles nur Rhetorik, um das Erinnern an Gramsci in eine bestimmte Richtung zu lenken."

    Der Fall Gramsci und seiner Bekehrung wühlt die Gemüter auf und sorgt für scharfe Kritik gegen die katholische Kirche seitens der Linken, der Kommunisten und weiter Teile der Intellektuellen. Tatsache ist, und das gefällt vielen italienischen Linken in keiner Weise, dass sich in der Vergangenheit immer wieder gestandene Kommunisten kurz vor ihrem Tode zum Katholizismus bekehrt haben. Der wohl prominenteste Fall der letzten Jahrzehnte ist der des einst strammkommunistischen Malers Renato Guttuso, 1912 bis 1987, von dem auch in deutschen Museen zahlreiche Gemälde hängen. Das prominente KPI-Mitglied wurde in den letzten Monaten vor seinem Tod und während einer schweren Krankheit von verschiedenen Kardinälen des Vatikans und von dem Christdemokraten Giulio Andreotti aufgesucht. Sie versuchten – erfolgreich - den Ungläubigen von der Heilsbotschaft der Kirche zu überzeugen, weiß der Fernsehjournalist Bruno Vespa, der verschiedene Sendungen zum Fall Guttuso moderierte:

    "Viele politische Bücher jener Jahre berichten über diese Bekehrung des Kommunisten Guttuso. Man kann sogar dokumentarisch nachweisen, dass er in die katholische Kirche eingetreten ist und die Sakramente empfing, kurz vor seinem Tod. Er verzichtete auf seine Geliebte und kehrte zu seiner Ehefrau zurück. Er wurde ein gläubiger Katholik, das ist nachweislich. Es scheint, dass Guttuso nicht zum Glauben überredet wurde, sondern zu ihm zurückfand."

    Genau das wird jetzt auch seitens der Kirche im Fall Gramsci behauptet. Tatsache ist, dass so mancher italienischer Kommunist im hohen Alter und im Angesicht seines Endes seinen Frieden mit der Kirche schloss. Eine Realität, die von den politischen Nachkommen der vor einigen Jahren zu einer sozialdemokratischen