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Der Fuchs und die Kamelie

"‘Kann man denn ohne Erklärung einen Menschen ruinieren? Ohne daß man ihm die Möglichkeit gibt, sich zu verteidigen, seine Unschuld zu erklären oder zu beweisen, daß es sich um einen Irrtum handelt?’ - ‘Natürlich’, sagte der Polizist energisch. ‘Mit einem Landsmann kann man das nicht machen, wohl aber mit einem Ausländer. Gehen Sie nur zu einem Rechtsanwalt, der erklärt es Ihnen sofort.’ Er nahm ein Blatt in die Hand und fügte hinzu: ‘In Ihrem Fall ist die Begründung ein einziges Wort: unerwünscht! Damit ist dem Gesetz genüge getan. Sie können jetzt gehen.’ ‘Ich wohne seit dreißig Jahren hier’ - ‘Und da wagen Sie es sich, zu beklagen?’ rief der Polizist. Er war ehrlich entrüstet. ‘Dreißig Jahre lang wurden Sie in einem Land geduldet, das nicht das Ihre ist, und Sie wagen es noch, sich zu beklagen?’"

Robert Schurz |
    Die Szene spielt im Schweizer Tessin, im Ticino, in den dreißiger Jahren; eine ältere Frau weiß nicht, wie ihr geschieht und der Polizist handelt als bloßer Befehlsempfänger. Also sitzt die Frau in der Falle: weder weiß sie einen Ort, wo sie hingehen könnte, noch hat sie hat die Möglichkeit, sich gegen den Ausweisungsbeschluß zu wehren. Ganz arglos ist sie in diese Falle getappt: eines Tages besuchten sie zwei Herren und wurde von ihnen aufgefordert, sich in jenen Häusern etwas umzuhören, in welchen sie ihrer Arbeit als Näherin nachgeht. Doch nichts ist harmlos in dieser Zeit, da in Italien Mussolini die Macht erobert und sein Geheimdienst auch in den Nachbarländern sein Unwesen treibt. In Ignazio Silones Roman "Der Fuchs und die Kamelie" sitzen alle irgendwie in der Falle, denn die Zeit ist voller Fallstricke: nirgends mehr kann man sich ohne ohne große Vorsicht bewegen, überall könnte der Feind lauern. Auch wenn man, wie Daniele, der Held des Romans, ein ausgekochter Fuchs ist. Allerdings jagt dieser Daniele auch einen echten, leibhaften Fuchs.

    "In diesem Augenblick durchbrach der gellende Schrei eines Tieres die nächtliche Stille. Es klang wie das Heulen eines tödlich verletzten Hundes; gleich darauf hörte man das anhaltende Aufflattern verängstigter Hühner. Daniele sprang auf und stürzte in den Garten zum Hühnerhof. Er ließ die Taschenlampe aufleuchten und sah einen prachtvollen Fuchs, der mit einer Pfote in der Falle eingeklemmt war. Das Tier versuchte seine gefangene Pfote frei zu bekommen, wobei es den Rücken wölbte, sich auf die andere Seite stemmte und verzweifelt wand, gereizt durch den Schmerz, das hysterische Gegacker der Hühner im Hof und den grellen Lichtschein, von dem es plötzlich getroffen wurde."

    Daniele hat zwei Feinde: den Fuchs, der jahrelang seine Hühner bedroht, und eben den faschistischen Geheimdienst, der vom nahen Italien aus versucht, die sozialistischen Umtriebe im Ticino, auszuforschen und zu kontrollieren. Und da er ein eingefleischter Sozialist ist, wird er selber zum Gejagten. Ein politisch-historischer Roman also, aber auch eine Familiengeschichte. Denn zu Beginn der Geschichte hat Daniele einen anderen Feind, seinen Vater. Der ist ein typischer Großbauer, der seiner Frau das Lesen verbietet, da seiner Anschicht nach Bücher nur die Phantasie reizen und zu einem unchristlichen Leben führen. Der Vater also veranstaltet regelmäßig Razzien, um nach versteckten Büchern zu fahnden und im Falle des Erfolgs diese in einem rituellen Akt zu verbrennen. Daniele als Reaktion darauf schließt sich alsbald den Sozialisten an, verläßt beim Tod seiner Mutter das väterliche Haus und wird Mechaniker. Der Bruch zwischen Vater und Sohn scheint unüberwindlich. Ignozio Silone, selbst ein italienischer Emigrant in der Schweiz, verschachtelt so einen Klassen- und einen Familien-Konflikt geschickt ineinander.

    "Er packte die Axt, die auf dem Holzstoß lag, und begann, dem Fuchs so gewaltig Schläge zu versetzen, als sollte er eine Eiche fällen. Immer wieder und mit zunehmender Heftigkeit traf er ihn auf den Rücken, auf den Kopf, in den Leib, auf die Pfoten und schlug immer noch zu, als er ihn schon in einen blutigen Brei verwandelt hatte."

    Denn nicht nur der Fuchs sitzt in der Falle, auch Daniele, der hier die aufgestaute Wut eines scheinbar mißlungenen Lebens an dem armen Tier ausläßt. Er hat sich nämlich mit dem Vater kurz vor dessen Tod ausgesöhnt und den Hof übernommen, und nun sitzt er hier, als "Roter" unter den Bauern, die ihn nicht als ihresgleichen akzeptieren wollen. Der Lichtblick seines Lebens ist seine schöne und resolute Tochter Silvia, die ganz nach seinem Geschmack geraten ist, und gerade sie muß sich in einen Angehörigen des faschistischen Geheimdienstes verlieben. Daniele hat klare Ansichten, er unterscheidet zwischen sozialistischer, also anständiger und faschistischer, also unanständiger Gesinnung.

    "‘Ich glaube nicht, daß der Mann, den ich gewählt habe, kein anständiger Mensch ist.’ - ‘Er hat die Möglichkeit, jederzeit mit einem regulären Paß diese verdammte Grenze zu überschreiten. Daraus kann ich schon meine Schlüsse ziehen.’ - ‘Er beschäftigt sich nicht mit Politik.’ - ‘In einer Diktatur ist das eines der bequemsten Mittel, um kein anständiger Mensch zu sein.’ Silvia antwortete mit einem Achselzucken."

    Auch die Tochter sitzt in der Falle, denn bevor sie noch weiß, mit wem sie es zu tun hat, zerstört sie mit dieser Verbindung ihr inniges Verhältnis zum Vater. Die Falle schnappt zu, als ihr Geliebter in Danieles Haus subversive Schriften, revolutionäre Flugblätter und sonstiges belastendes Material entdeckt. Prompt macht er sich aus dem Staub und im Nachhinein scheint alles von langer Hand vorbereitet gewesen zu sein: der Unfall in der Nähe von Danieles Haus, die Verführung der Tochter, die Hausdurchsuchung. Doch nur scheinbar, denn Silones Roman nimmt eine recht unerwartete Wendung, die gegen Stereotype gewendet ist. Überhaupt meidet Silone, der zwar eindeutig aus sozialistischer Perspektive schreibt, die gewohnten Schemata; er übersieht weder die Brüche in der eigenen Weltanschauung, noch beugt er sich dogmatischen Richtlinien. Jede Idee wird daran gemessen, wie sie in die Praxis umgesetzt wird, selbst faschistische Schlagworte.

    "‘Ich weiß wohl’, antwortete er. ‘Das Ziel meinst du. Aber auch sie haben, theoretisch gesprochen, ein hohes Ideal. Wenn man es unvoringenommen überdenkt, sind Vaterland, Ordnung und Tradition schließlich keine verächtlichen Worte. Erst die Gewalt gibt ihnen einen falschen Ton und macht sie uns verhaßt.’"

    In Silones "Der Fuchs und die Kamelie" - eher eine längere Novelle denn ein Roman - wird ein Stück jüngerer Geschichte lebendig. Die Dominanz familiärer Ereignisse sorgt dafür, daß das ganze nicht zu einem Lehrstück gerät. Spannend wird die Lektüre durch die zentrale Metapher der Falle: man weiß bis zum Ende nicht, wer nun wirklich in ihr sitzt. Es wäre wohl nicht ganz richtig, von einem Lesevergnügen zu sprechen - dafür ist der Inhalt zu ernst. Ansonsten aber trifft die Bezeichnung: man liest schnell und hat hinterher nicht jenes Gefühl der Leere, das einen oft bei anderen schnell gelesenen Büchern befällt.