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Der Führer bestimmt Germany's Next Top Model

Wenn man Szenen und Zitate aus Heiner Müllers Stück "Die Schlacht" mit denen der Pro7-Sendung Germany's Next Top Model zusammenwürfelt, dann kommt "Top Müller Schlacht" heraus. Zum Lachen regt das Stück an, aber nicht zum Denken.

Von Hartmut Krug |
    Man hätte gewarnt sein können, denn es gab ein Vorspiel. Vor das aufsteigende Zuschauerrund in der weißen Arena, die für die letzten Monate der Intendanz Sebastian Hartmanns in den Zuschauerraum gebaut wurde, trat zum sogenannten "Vorglühen" Guillaume Paoli, seines Zeichens Hausphilosoph des Leipziger Centraltheaters. Paolis Denken vor Publikum erwies sich aber nur als mattes Vorplaudern von Gemeinplätzen zur Möglichkeit und Unmöglichkeit, Gemeinschaft im Theater und überhaupt zu erreichen. Als dann die Darsteller zu Thomas Thiemes "Top Müller Schlacht" mit der Liedzeile "Deutschland einig Vaterland" aus der DDR-Nationalhymne einmarschierten, war endgültig klar: hier wird Konzepttheater geboten. Gekleidet in Glitzerjacketts, auf den Stirnen Ziffern, Hakenkreuze, SS-Runen oder einen Russenstern, so marschierte das Personal von "Germanys Next Top Model"-Fernsehshow ins leere Rund. Eine ältere Darstellerin verkündete als Heidi Klum den in die Runde der letzten Drei gekommenen ihre Urteile, während ihre Assistenten Thomas und Thomas gegen Metrosexualität wetterten und Heidi mit Worthülsen assistierten:

    Gesang:
    "Deutsche Jugend, deutsches Streben, unsres Volks, in dir vereint."
    Heidi:
    "Es war super. Was sagt ihr dazu, Thomas und Thomas."
    Thomas:
    "Amelie. Es war super, es war mega, es war Wahnsinn."

    Pures Kabarett war das, anfangs urkomisch, später eher angestrengt. Die drei Kandidatinnen waren, sagen wir mal, unscheinbar, und zwei von ihnen waren zudem kleine Männer. Auf sie alle prasselte das hohle Vokabular einer Leistungsideologie nieder, wie sie solche Fernsehwettbewerbe entwickelt haben.

    Thomas Thieme trat, in der Hand die rote Pappmappe, in der zu DDR-Zeiten Urkunden überreicht wurden, als Supergast Lady Gaga auf und verlas einen Text privater Verwirrtheit über das Gefühl, sich am Rande des Ruhms zu fühlen.

    Plötzlich aber fielen Thomas und Thomas über Heidis Kopf hinweg in einen merkwürdigen Dialog:

    "Zwischen uns geht ein Messer, und das heißt Verrat. Und der bist du, der das geschmiedet hat."
    "Und bin ich der, meine Hand ist rot. Gib mir, was ich bitte, meinen Tod.
    Mach´s selber."
    "Könnt ich´s Bruder, wär´s getan. Ich bin nicht der, der ich war.
    Was geht´s mich an."
    "Beim Generalstreik war ich auch dabei. Am Brandenburger Tor im Heilgeschrei. Die Wahrheit. Im Hemd stand ich mit dir."
    "Dein Hemd ist braun. Das ist die Wahrheit. Jetzt und hier."
    "Heidi. Heidi, drei Monate Vollgas. Da waren so tolle Erfahrungen dabei."

    Die Szene "Die Nacht der langen Messer" aus Heiner Müllers "Die Schlacht", dem Großteil des weiterhin komödiantisch bewegten Publikums deutlich nicht bekannt, irritierte dieses noch nicht sonderlich. Doch bald wurde deutlicher: es wird eine tiefere Bedeutungsebene eingezogen. Arbeiterkampflieder auf Deutsch oder Russisch verwiesen auf eine kommunistische Ideologie, weitere Szenen aus Müllers "Schlacht" auf die faschistische, und alles wurde durchschossen mit Ideologie-Zitaten einer Fernsehleistungsgesellschaft.

    Thiemes Inszenierung wurde angekündigt mit einem Zitat von Heiner Müller, in dem dieser die Revolution in Deutschland nicht 1989, sondern 1984 mit der Einführung des Privatfernsehens stattfinden lässt. Thieme setzt nun den Leistungs-Terror des Privatfernsehens als die heute dominierende Ideologie gegen die beiden politischen Ideologien der Vergangenheit. Wenn der im Gestapokeller Gefolterte seinen Bruder auffordert, ihn zu erschießen, feuert der Bruder den Chor an, von "Spaniens Himmel" zu singen. Und wenn in der Szene "Kleinbürgerhochzeit" der Mann beim Herannahen der Russen seine Familie in deren Freitod schießen will, wird das mit Sprüchen aus der Top-Model-Show kommentiert. Also, - es war eine schöne Zeit, aber es hat nicht gereicht, aber es war Vollgas drin. Und wenn in Müllers Szene "Das Laken" ein Wehrmachtssoldat sich wegen der Russen seine Uniform vom Leibe reißt, wird er wie die drei Topmodels zu Beginn gelobt wegen seines "ultimativen quick change".

    So durchmischen sich immer mehr die Zitatebenen, - mal wird gefordert, mein Führer, sag uns endlich, wer "Germanys Next Top Model" ist, mal wird behauptet, 18.000 Bewerberinnen hungerten für den Endsieg. Das kurzschlüssige Konzept des Abends ist klar, aber es geht nicht auf. Weder inhaltlich noch theatralisch. Man wird zum Lachen, aber nicht zum Denken angeregt. Zudem werden Müllers Texte sprachlich unbewältigte Texte gestisch verhaspelt, und ihre Verwebung mit den Fernsehsprechhülsen ergibt keine weitergehende Erkenntnis. Hier scheitern alle, auch Heidi. Die liegt schließlich am Boden und ruft nach Seal, ihrem Exmann. Worauf es statt wie zuvor bei Müller "Hitler kaputt, jetzt Frieden" nun heißt, "Heidi kaputt, nun Frieden." Nun ja.