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Der fünfte Berliner Sektor

506 Aufführungen des Broadway-Musicals "Der Fiedler auf dem Dach" standen von 1971 bis 1988 auf dem Spielplan der Komischen Oper in Berlin. Die Premiere am 23. Januar 1971 wurde zu einem unvergesslichen Erlebnis. Auf der Bühne gezeigt wurde in einer Inszenierung des legendären Theaterleiters Walter Felsenstein das anrührende Schicksal des jüdischen Milchmanns Tewje, seiner Familie und seiner jüdischen Dorfgemeinschaft.

Von Lothar Weber | 16.05.2009
    Die Aufführung verdeutlichte einmal mehr den ungewöhnlichen Status der Komischen Oper - von Theaterfreunden der geteilten Vier-Sektoren-Stadt augenzwinkernd auch "Fünfter Berliner Sektor" genannt. Geografisch stand die Komische Oper auf der östlichen Seite des "Eisernen Vorhangs". Aber ihr Selbstverständnis, ihre Wirkung und Ausstrahlung hatten mit dem territorialen Standort nur wenig gemein. In seiner "Langen Nacht" zeichnet der Autor "Traditionen des Milchmanns Tewje" nach - mit Blick auf Felsenstein-Produktionen aus den Jahren vor und nach dem Bau der Berliner Mauer bis hin zur Inszenierung des "Fiedler auf dem Dach", bei der er dem Regisseur assistierte.
    Walter Felsenstein (* 30. Mai 1901 in Wien; † 8. Oktober 1975 in Berlin) war ein österreichischer Regisseur. Er gründete die Komische Oper in Berlin und war bis 1975 deren Intendant. mehr… http://de.wikipedia.org/wiki/Walter_Felsenstein
    Clemens Kohl: Walter Felsenstein in Bildern
    Werkstatt Musiktheater

    Herausgegeben von Aksina Raphael
    Fotos von Clemens Kohl
    Henschel Verlag, 2005
    Zurzeit nur antiquarisch oder in Bibliotheken erhältlich

    "Werkstatt Musiktheater" ist ein ungewöhnliches Buch über den großen künstlerischen Reformer und bedeutenden Regisseur Walter Felsenstein, dem neben Wieland Wagner wohl bedeutendsten Opernregisseur der Nachkriegszeit in Deutschland. Am 5. Juni 1947 wird Felsenstein in Berlin die Lizenz für die "Komische Oper" überreicht und damit die Berufung zum Intendanten und Chefregisseur. Gemeinsam mit einem unvergesslichen Ensemble prägte er an diesem Ort eine neue Form des Musiktheaters, die zu Weltruhm gelangte. In eindrucksvollen Fotografien dokumentiert der vorliegende Bildband viele Jahre der Probenarbeit Walter Felsensteins in der Komischen Oper und seine spektakuläre Filmarbeit. Es ist die Hommage an einen grandiosen Schöpfer und Humanisten der Bühne und macht die ungeheure Intensität seiner Arbeitsweise und die fürsorgliche Nähe zu den Künstlern sichtbar.

    Walter Felsenstein: Die Pflicht, die Wahrheit zu finden
    Briefe und Schriften eines Theatermannes

    Aus Materialien des Felsenstein-Archivs der Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg
    Herausgegeben von Ilse Koban
    Suhrkamp 2005

    1947 gründete Walter Felsenstein die Komische Oper in Berlin und wurde dann deren erster Intendant. Damit hatte er sich die Möglichkeit geschaffen, seine Idee von Musiktheater umzusetzen, die geprägt war von der Forderung, dass "alles Sichtbare Musik und alles Hörbare Handlung" sein muss. Doch nicht nur zu Oper und Musiktheater äußerte er sich häufig und umfassend, sondern zu allen Fragen des Theaters.

    In diesem von Ilse Kobßn zusammengestellten Band sind Briefe, Aufsätze und Essays versammelt, die ein lebendiges Bild von den Ideen und der praktischen Arbeitsweise dieses großen Theaterschaffenden des 20. Jahrhunderts vermitteln. Eine Zeittafel, eine Auswahlbibliographie, ein Personen- und ein Werkregister runden den Band ab.

    Walter Felsenstein Edition
    12 DVD-Videos, O. m. U.
    Arthaus Musik, 2007

    Walter Felsenstein (1901 - 1975), Begründer und Intendant der Komischen Oper Berlin, war einer der großen kreativen Theaterregisseure des 20. Jahrhunderts. Seine Bedeutung für die Wiederbelebung der Oper als theatralische Kunstform ist immens. Das Schaffen dieses genialen Künstlers umfasste über 190 Inszenierungen und war den Werken, ihren Schöpfern, dem Ensemble und dem Publikum gleichermaßen verpflichtet. Diese Edition vereint 7 Opernfilme, die rare Dokumente und Zeugnisse der Theaterarbeit eines Mannes sind, der mit seinen legendären Inszenierungen ein internationales Publikum über Jahrzehnte faszinierte. Erstmals sind diese Filme in digitaler, aufwändig restaurierter Fassung wieder erlebbar. Die konsequente Arbeit Felsensteins an einer musikalisch-szenischen Bildsprache des Opernfilmes ist auch heute noch wegweisend. Staunend erfahren wir, wie klar, intensiv und wertvoll Oper im Film, Oper als Film ist. Ein künstlerisches Vermächtnis für Generationen!
    Scholem Alejchem (auch: Scholem Alechem / Schalom Alechem / Shalom Aleichem / Schulem Aleichem usw. = hebräisch Friede sei mit euch, Pseudonym von Schalom Yakov Rabinowitsch / Schalom ben Menachem Nachum Rabbinowicz / Shalom Rabinovitz usw., auch der jüdische Mark Twainbgenannt ; * 2. März 1859 in Perejaslaw; gest. am 13. Mai 1916 in New York) war einer der bedeutendsten jiddischsprachigen Schriftsteller und gilt neben Mendele und Perez als der dritte Klassiker der jiddischen Literatur. mehr...

    Alejchem Scholem: Tewje, der Milchmann
    Aus dem Jiddischen von Armin Eidherr
    Manesse Bibliothek der Weltliteratur, 2002

    "Wenn ich einmal reich wär ", singt der Milchmann Tewje im Musical "Anatevka", das auf Scholem Alejchems jiddischem Schicksalsroman basiert. Arm an Geld, reich an Kindern, träumt Tewje von einem erfüllten Leben ohne Entbehrungen und Demütigungen. Doch das Schicksal will es anders und stellt seinen Glauben auf eine schwere Probe.

    Tewje ist ein moderner Hiob - eine Dulderseele, die wahrlich allen Grund hätte, mit Gott zu hadern: Nach einem unverhofften Geldsegen wendet sich plötzlich das Blatt. Er muss mitansehen, wie seine Familie auseinanderbricht, wie sich das ganze Dorf gegen ihn stellt. So bleibt er am Ende allein in der Welt zurück, mit nichts als seinem Gottvertrauen und einem unerschütterlichen Humor. Scholem Alejchem hat durch sein berührendes Hauptwerk das Jiddische erstmals in den Rang einer Literatursprache erhoben und der ostjüdischen Welt mit ihren Archetypen ein Denkmal gesetzt. Hinter dem privaten Schicksal Tewjes und der schtetl-Idylle von 1900 zeichnet sich schon der Wahnsinn des bevorstehenden Weltenbrandes ab, von ferne kündigen sich Revolutionen, Pogrome, Vertreibungen an. Doch im "Tewje" ist all diesen Bedrohungen ein humanes, verschmitztes Trotzdem entgegengestellt, das Trotzdem des wahren Humoristen, der selbst unter Tränen noch lacht. Mit der Neuübersetzung nach mehr als achtzig Jahren liegt der Roman nun zum ersten Mal in einer vollständigen deutschen Fassung vor.

    Anatevka (engl. Originaltitel Fiddler on the Roof, dt.: Der Fiedler auf dem Dach) ist ein Musical nach dem Roman "Tewje, der Milchmann" von Scholem Alejchem. mehr...

    Auszug aus dem Manuskript
    Es geschah am 23. Januar 1971: In der damaligen "Hauptstadt der DDR", im Ostteil Berlins zog die Felsenstein-Inszenierung vom "Fiedler auf dem Dach" in die Komische Oper ein. Der Premierenabend wurde zum unvergesslichen Erlebnis für alle, die vor, auf und hinter der Bühne das Glück hatten, dabei zu sein: eine Felsenstein-Premiere, die den besonderen Status der Komischen Oper deutlich machte und die von den Theaterfreunden der geteilten Vier-Sektoren-Stadt augenzwinkernd auch als '"ünfter Berliner Sektor" bezeichnet wurde.

    Geografisch gesehen befand sich die Komische Oper zwar auf dem Boden Ostberlins, aber gestalterisch zeigte sie ein unabhängiges Gesicht. Das präsentierte sie insbesondere bei der Aufführung des Broadway-Musicals "Der Fiedler auf dem Dach". Inhalt und Interpretationsweise wirkten gegenüber dem landläufigen Theaterbetrieb der DDR, der einem "sozialistischen Realismus" huldigen musste, wie ein Sprengsatz.
    Mit der Hauptpartie des Tewje im "Fiedler auf dem Dach" wurde Rudolf Asmus betraut - ein Protagonist der Komischen Oper - und ein Publikumsliebling: Als Bartolo im "Barbier von Sevilla", als Zettel im "Sommernachtstraum", als Popolani in "Ritter Blaubart", als Förster im "Schlauen Füchslein", als vierfach "böser Geist" des Dichters Hoffmann in "Hoffmanns Erzählungen" und - last but not least - als Tewje.

    Wir wollen heute - wie es im Untertitel der Langen Nacht heißt - von Konzeptions- und Aufführungstraditionen erzählen, die an der Komischen Oper Berlin zur Bühnenexistenz des Milchmanns Tewje geführt haben, an jenem Ostberliner "Kunsttempel", dem der österreichische Staatsbürgers Felsenstein in den Jahren vor und nach dem Bau der Berliner Mauer, zu Zeiten des Kalten Krieges und des "Eisernen Vorhangs" vorstand.
    Die Komische Oper in Berlin: komische-oper-berlin.de

    Am 23. Dezember 1947 wurde die Komische Oper eröffnet - mit der "Fledermaus" in der Regie des Intendanten Walter Felsenstein (1901-1975). Felsenstein verwirklichte hier seine Vorstellung von realistischem Musiktheater. Ein Interview mit dem Sohn Felsensteins,dem Schauspieler und Kapitän Christoph Felsenstein.
    Weiterer Artikel zur Komischen Oper Berlin

    Auszug aus dem Manuskript
    Die Zuschauer, mehrheitlich DDR-Bürger, lauschten mit angehaltenem Atem dem Dialog zwischen Tewje und dem russischen Dorfgendarm.
    Gendarm: "Oh, Tewje, ich habe eine kleine Neuigkeit für dich. Und ich glaube, ich sollte sie dir sagen - als ein Freund."
    Tewje: "Ja, Euer Ehren?"
    Gendarm: "Und ich sage es dir, weil ich dich mag. Du bist ein bescheidener, ehrlicher Kerl - auch wenn du ein Jude bist."
    Tewje: "Wie oft nur erhält man ein derartiges Kompliment. Und die Neuigkeiten?"
    Gendarm: "Wir haben Anweisung erhalten, dass in nächster Zeit in diesem Bezirk eine kleine inoffizielle Belästigung stattfinden muss."
    Tewje: "Wie klein?"
    Gendarm: "Nicht zu ernstlich. Nur damit man sehen kann, dass wir unsere Pflicht getan haben. Was mich betrifft, ich weiß auch nicht, warum immer diese Unruhe zwischen den Menschen sein muss, aber ich dachte, ich sage es dir - und du kannst es den anderen sagen."
    Tewje: "Danke, Euer Ehren. Sie sind ein guter Mensch. Wenn ich es mir erlauben darf: Schade, dass Sie kein Jude sind."
    Gendarm: "Siehst du, dass mag ich an dir, Tewje: Immer zu einem kleinen Spaß aufgelegt."
    Tewje: "Danke, Euer Ehren. Auf Wiedersehen. Lieber Gott, musste eine solche Nachricht kommen, ausgerechnet heute? Es heißt, wir sind das auserwählte Volk. Aber könntest Du Dir nicht ab und zu ein anderes Volk auserwählen?"
    Zu Probenbeginn stellten die Beteiligten fest, dass die zwölfjährige Naziherrschaft mit ihrem Vernichtungsfeldzug gegen jüdisches Leben und jüdische Kultur, aber auch die sich anschließende judenunfreundliche, offen antizionistische DDR-Politik dazu geführt hatten, dass es kaum noch Erinnerungen an jüdische Sitten und Gebräuche gab. Hilfe bei der Erarbeitung folkloristischer Bühnenszenen und traditioneller Tänze kam aus Warschau und Budapest, aber auch von der kleinen jüdischen Gemeinde in der damaligen "Hauptstadt der DDR".
    Während des mehrmonatigen Inszenierungs-Prozesses kursierten vor und hinter den Kulissen die abenteuerlichsten Gerüchte. Noch kurz vor dem Premierentermin fragten sich viele: "Spielen wir - oder spielen wir nicht?"

    Die Ostberliner Ministerien für Kultur und Äußeres und die für die Theater zuständige Abteilung im ZK der SED setzten gemäß der offiziellen Lesart "pro-jüdisch" mit 'pro-israelisch" gleich. Liebend gern hätten sie gesehen, dass das Inszenierungsvorhaben scheitert. Aber sie scheuten davor zurück, ein direktes Aufführungsverbot auszusprechen. Sie warteten ab, warteten gespannt auf ein Eingreifen des "Großen Bruders" in Gestalt der Sowjetischen Botschaft in der DDR. Schließlich - wenn auch zur Zarenzeit - spielte das Musical auf dem Territorium der damaligen Sowjetunion - und zeigte Misshandlung und Vertreibung jüdischer Menschen durch präfaschistoide russische Gendarmen und Kleinbürger.
    Am Hauptprobentag saß das Ensemble fiebernd in den Garderoben und wartete - wartete auf seinen Intendanten und Chefregisseur. Felsenstein saß weniger als 100 Meter Luftlinie entfernt mit seinem Freund, dem sowjetischen Botschafter Abrassimow zusammen und lektorierte mit ihm das Musicaltextbuch. Jeder Satz, ja: jedes gesprochene Wort, wurde erwogen, wurde buchstäblich auf die Goldwaage gelegt.

    Nach zwei Stunden - die den Wartenden im Opernhaus wie eine halbe Ewigkeit vorkamen - kehrte der Intendant von seinem Canossa-Gang zurück - mit dem erlösenden Satz: "Wir spielen, aber…"

    Das Aber waren Textänderungen, die der sowjetische Botschafter zur Bedingung gemacht hatte: So durfte der Name der Stadt Kiew nicht genannt werden - in der Aufführung hieß sie nun "Jeguptz". Das war zwar das gleiche - aber auf jiddisch. Oder der Begriff "Pogrom": Auf sowjetisches Verlangen wurde er umschrieben mit "eine inoffizielle Belästigung". Und das jüdische Fluchtziel Amerika wurde ersatzlos gestrichen.
    Lothar Weber, der Autor der Langen Nacht, assistierte seinerzeit Walter Felsenstein bei der Inszenierung des "Fiedler auf dem Dach". Er erinnert sich an den Premièrenabend:
    "Unvergesslich bleibt mir, wie das Publikum auf Tewjes ergreifenden Song 'Wenn ich einmal reich wär' reagiert hat.. Vom Beginn der Aufführung hatte sich im restlos ausverkauften Zuschauerraum eine knisternde atmosphärische Spannung aufgebaut. Während des Tewjesongs herrschte atemlose Stille. Als Asmus mit 'Wär' ich doch ein reicher Mann!‘ endete, brach im Zuschauerraum - einem Gewitterschlag ähnlich - ein unbeschreiblicher Jubelsturm los. Das Publikum raste, es spendete 'Standing Ovations', Besucher hatten Tränen in den Augen. Die Komische Oper erfuhr demonstrative Zustimmung für die humanistische Botschaft dieser Felsenstein-Inszenierung. In seiner Loge im abgedunkelten Zuschauerraum saß der Intendant - von Beginn an hochgradig nervös. Ihm zur Rechten seine Frau Maria. Links saß ich mit einem Schreibblock, um seine Premierenkritik für den Vorstellungsbericht zu notieren. Als der unbeschreibliche Jubel aufbrandete, suchten Felsensteins Hände Kontakt nach rechts und nach links. Der ungeheure Druck und die nervliche Anspannung der letzten Wochen wichen einem großen, stillen Glücksgefühl."

    Archiv Darstellende Kunst: Walter Felsenstein Archiv

    Rudolf Asmus, deutscher Opernsänger (Bass-Bariton) der Berliner Komischen Oper. Nach einem Gesangsstudium debütierte er auf der Bühne in Ostrava und gelangte über Engagements in Brünn 1953 an das Prager Nationaltheater. 1956 holte ihn Walter Felsenstein, der Gründer und Intendant der Komischen Oper nach Berlin. Hier feierte der Sänger große nationale wie auch internationale Erfolge in diversen Operninszenierungen. mehr...
    Auszug aus dem Manuskript
    Der Besucheransturm auf den Fiedler ließ über Jahre nicht nach. Vor ausverkauften Repertoire-Vorstellungen wurden an der geschlossenen Theaterkasse Schilder hochgehalten mit der Aufschrift: "Biete 100 DM für eine Karte!" Man beachte: Ein blauer Westhunderter wurde da illegalerweise in Ost-Berlin geboten! Gemessen an den anerkannt niedrigen Theaterkartenpreisen in der DDR fast schon eine wucherische Versuchung für so manchen braven Bürger, der zwar eine sozialistisch preiswerte und mühevoll erstandene Eintrittskarte in seinen Händen hielt, aber kein ihm die Wunder pseudokapitalistischer Intershops erschließendes Westgeld.
    Nach einer gewissen Reifezeit sahen sich führende SED-Funktionäre genötigt, die nicht ins sozialistische Weltbild passende und trotzdem ungemein beliebte Fiedler-Inszenierung nicht länger zu schneiden, sondern zu begnadigen.
    Rudolf Asmus: "Eine Schlange von der Komischen Oper bis um die Ecke in die Friedrichstraße in Viererreihen. Und wir durften nur zwei Karten verkaufen - und Vorbestellungen waren für sechs oder sieben Jahre - also: unwahrscheinlich. Da konnte das Kulturministerium auch irgendwie nicht schweigen. Ich weiß, dass zuerst Alexander Abusch kam in die Vorstellung. Das war also die erste Schwalbe. Und eines Tages kam der Professor Hager und dadurch sind wir salonfähig geworden. Es ist zu einem Volksstück erklärt worden, weil die Arbeiterklasse also sehr zufrieden war mit dem Stück und sie würde es sehen - und in den Fabriken wollten die Arbeiter unbedingt es sehen, also: Jeder wollte nur Fiedler sehen. Also, das war wie eine Droge."

    Als sich am 17. Juni 1988, nach der 506. und letzten Aufführung des "Fiedler auf dem Dach" die Theatercourtine vor Valerij Leventals Bühnenbild senkte, hatten mehr als eine halbe Million Besucher aus Ost und West diese Aufführung gesehen - oder zutreffender gesagt: erfahren. Sie alle verließen reich beschenkt die Komische Oper. Ein offizielles "Staatstheater der DDR" hatte sich einmal mehr als ein humanistisches Gewissen der ostdeutschen Theaterlandschaft erwiesen, als "Fünfter Berliner Sektor".
    Das Schlusswort gehört Rudolf Asmus, Felsensteins Tewje:
    "Der Chef hat immer gesagt: 'Wir haben keine Vergangenheit - wir haben nur die Zukunft.' Er hat vielleicht recht, aber ich weiß, dass das nicht umsonst war: Das Herz-Blut, was da floss, floss nicht umsonst, weil - auch wenn die Courtine schon so lange unten ist - lebt die Erinnerung und das Erlebnis noch in den Leuten weiter. Und das ist schon sehr viel."