Durak: Nun sind wir im Jahr 2002, und mit der Entschuldung ist es nicht so weit herangekommen, wie sich Ihre Organisation und andere es sich wünschen. Woran liegt es?
Kaiser: Es liegt zum einen daran, dass die Gläubiger, die Regierungen, die großen Banken geglaubt haben, dass Verschuldung derzeit nur noch ein Problem für die ärmsten Länder ist, das heißt für eine kleine Zahl von wirtschaftlich nicht besonders schwergewichtigen Ländern in Afrika. Und auf die haben sie das Entschuldungsprogramm, das sie 1999 entwickelt haben, die so genannte Kölner Schuldeninitiative, zugeschnitten. Aber wenn wir uns jetzt die Situation der Länder des Südens ansehen, dann sehen wir, dass die wichtigsten Schuldenprobleme eigentlich diejenigen der Schwellenländer sind, also Argentinien, Brasilien, Uruguay, Venezuela, aber auch von ärmeren Ländern wie Indonesien und Nigeria. Und für diese Länder gibt es praktisch keine Entschuldungsmechanismen.
Durak: Und deshalb ist die Lage dort schwieriger als in Afrika beispielsweise?
Kaiser: Ja, für diese Länder wird nichts getan. In einem Land wie Brasilien, was fast seine gesamten jährlichen Exporteinnahmen für den Schuldendienst aufbringen muss, gibt es keine Möglichkeiten, zu irgendeiner Art von Schuldenreduzierung zu kommen, und es wird erwartet, dass es schlicht und einfach aus seinen Schulden herauswächst. Das ist vollkommen irreal.
Durak: Was sollten die westlichen Industrienationen stattdessen tun?
Kaiser: Nun, es müssen auch für diese Länder Möglichkeiten zur Schuldenreduzierung geschaffen werden. Es hat hier eine Diskussion über solche Mechanismen begonnen, die interessanterweise vom IWF nach dem 11. September angestoßen wurde, indem er selbst einen Vorschlag in die Debatte gebracht hat für einen neuen Entschuldungsmechanismus, in dem alle Forderungen einbezogen werden sollen, und in dem es tendenziell auch gerade um solche Länder gehen soll. Dabei hatte die Argentinien-Krise gerade begonnen oder zeichnete sich ab, und auf diesem Hintergrund gibt es diese Debatte im IWF.
Durak: Nun müsste ja irgendwann entschieden werden, welche Länder sozusagen entschuldet werden oder nicht. Wer soll das entscheiden? IWF, Weltbank?
Kaiser: Das Wichtigste ist, dass eben nicht mehr die Gläubiger ein Verfahren in der Hand haben. Das ist das, was wir praktisch seit Ausbruch der Schuldenkrise 1982 gehabt haben, dass die Gläubiger immer versucht haben, statt einem Land die Möglichkeit zu einem neuen Anfang zu geben, Entschuldung möglich billig zu halten, und das ist ein Prinzip, was beispielsweise im nationalen Insolvenzverfahren nicht angewendet wird, sondern da wird eine Privatperson, die überschuldet ist, so weit entlastet, dass sie tatsächlich einen neuen Anfang machen kann. Und wenn wir uns die Kölner Schuldeninitiative ansehen oder die Möglichkeiten zur Entlastung im Pariser Club, dann hat sich gezeigt, gerade jetzt auch im neuen Bericht der Weltbank, dass es da zuwenig Entlastung gegeben hat. Es muss ein großer Schnitt gemacht werden, der es dem Schuldner ermöglicht, neu anzufangen.
Durak: Nun hat aber der Schuldner auch seinen Teil dazu beizutragen, aus den eigenen Schulden herauszukommen, so schwierig dies auch ist, und in der westlichen Welt, gerade bei Gegnern solcher Dinge, wie Sie sie fordern, bleibt ein Eindruck, dass solche Länder, ob nun in Afrika oder Lateinamerika, was die Entschuldung betrifft ein Fass ohne Boden sind.
Kaiser: Das ist eine etwas seltsame Position, wenn sie gerade aus den Gläubigerländern kommt. Es stimmt natürlich, dass es in vielen Ländern Defizite in der Regierungsführung gibt. Aber diese waren natürlich den Gläubigern zu den Zeiten bekannt, als sie selbst Regierungen wie die nigerianische großzügig mit Krediten ausgestattet haben. Von daher ist die Tatsache, dass es Reformbedarf gibt, dass Regierungsführung wesentlich verbessert werden muss, überhaupt nichts Neues. Es hat nur früher die Gläubiger nicht daran gehindert, solche Regierungen großzügig mit Krediten auszustatten. So gesehen gibt es Reformbedarf auf beiden Seiten.
Durak: Vielen Dank für das Gespräch.
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