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Der GAU im Unterricht

Erdbebenkatastrophe, Tsunami und die Angst vor dem nuklearen GAU sind derzeit auch Thema an Deutschlands Schulen. Im Lehrplan gibt es dazu keine Vorschriften, doch Schulleiter und Lehrer gehen auf die Fragen und Ängste der Kinder ein - wie beispielsweise in Frankfurt.

Von Anke Petermann | 17.03.2011
    Üblicherweise erzählen die Grundschüler im so genannten Montagskreis an der Ludwig-Richter-Schule von Ausflügen und anderen Wochenenderlebnissen, doch Anfang dieser Woche sprachen viele von der Erdbebenkatastrophe in Japan. Immer noch wirkt das im Unterricht nach. Fabian hat in Radio und Fernsehen schon eine Menge aufgeschnappt und vieles auch mit den Eltern besprochen.

    "Da ist durch das Erdbeben und die Flutwelle sind halt die Kühlungen kaputt gegangen und die Japaner versuchen dort mit Meerwasser, die Sachen in dem AKW zu kühlen, aber das hat ja jetzt auch nicht so richtig funktioniert, weil da ist etwas explodiert – zwei Sachen – deshalb geht man davon aus, dass das halt nicht funktioniert hat, sonst wäre das nicht explodiert."

    Schulleiter Erhard Claudy funktioniert derzeit Vertretungsstunden und Arbeitsgemeinschaften zu Gesprächsforen über Japan um, weil er spürt, dass die Kinder Fragen und Ängste haben, gerade auch was die atomare Bedrohung angeht. Der zehnjährige Fabian ist beunruhigt.

    "Ja schon, weil man denkt, das kann in Deutschland ja auch passieren bei den Atomkraftwerken, die sagen natürlich immer, Deutschland ist kein Erdbebengebiet und hier können keine Tsunamis hinkommen, aber 'n bisschen Angst hat man schon, ob die Radioaktivität so stark ist, dass es nach Deutschland kommt."

    In Kunst malt ein Mädchen eine gelbe Wolke – auch sie fürchtet sich vor radioaktiven Strahlen. Drittklässler sorgen sich um die neue Mitschülerin, die mit ihrer Familie aus Tokio nach Frankfurt kommen soll, weil der Vater hier eine Stelle antritt:

    "Die haben mich heute Morgen gefragt, kommt das Mädchen jetzt, kommt das aus Tokio raus,"

    so Schulleiter Erhard Claudy. Er versucht zu beruhigen, ohne zu verharmlosen. Kann es bei uns auch ein so schlimmes Erdbeben geben, fragen ihn die Kinder. Seine Antwort:

    "Nein kann man nicht generell sagen. Das wäre vermessen zu sagen bei uns gibt es so ein Beben nicht. Aber es ist äußerst unwahrscheinlich. Und es ist unwahrscheinlich, dass diese radioaktive Wolke zu uns kommen kann - das ist zu weit weg."

    Radioaktive Strahlung – Pauline, Fabian und Lara sehen darin eine schwer fassbare Bedrohung:

    "- Also, ich verstehe es nicht richtig, aber ich höre halt oft schon (davon)."
    - "Also in "logo!" habe ich halt auch gehört, dass man das nicht riechen, nicht schmecken, nicht sehen kann, deshalb kann man sich nicht gut vor schützen, selber."

    - "Man muss halt dahin gehen, wo die sagen, wo das nicht hinkommt, wenn man kann. Ja, ich habe auch Angst um die Leute da in Tokio."

    Erleichtert sind die Zehnjährigen der 4a, dass sie auch im Unterricht ihre Ängste ansprechen und Fragen loswerden können.

    "- "Ich find’s auch schlimm, aber man muss auch darüber reden, denn mich interessiert schon, was da passiert."
    - "Ich find’, das muss man jetzt nicht jeden Tag besprechen, aber es ist gut, wenn man mal darüber redet.""


    Auch in Chemie an der Hauptschule ist die japanische Reaktorkatastrophe Thema, Erhard Claudy unterrichtet dort Achtklässler:

    "Ja, die haben mich direkt gefragt - Radioaktivität wie funktioniert das, und da bin ich drauf eingegangen, und dann kamen auch viele Fragen und auch Sorgen mit Bestrahlung. Ich mache im Moment Ernährungslehre in Chemie, und dann kamen wir darauf zu sprechen, was bedeutet es, und dann kam von mir - Tschernobyl mit dem Essen, dass man dann keine Salat essen konnte, frisch, und das war gerade so die Zeit, wo man das überall kaufen konnte, und das war für die dann ganz scher vorstellbar, so eingeschränkt zu sein in der Bewegungsfreiheit, jetzt nicht irgendwo draußen rumhängen zu können, sondern da musste man eben drin bleiben."

    Im April1986 kurz nach der Atomkatastrophe von Tschernobyl fuhr Erhard Claudy mit einer vierten Klasse ins Landschulheim Wegscheide nach Bad Orb. Sollte man überhaupt fahren, war damals die Frage.

    "Dann haben wir mit den Eltern damals gemeinsam überlegt, wir machen die Fahrt. Zu Hause müssen sie auch drin bleiben, können auch nichts Frisches essen, und damals kam dann von der Wegscheide die Garantie, dass sie keine frischen Sachen kochen, sondern wirklich nur Konserven, dass der Sportplatz immer gemäht wird, falls man doch mal ne Stunde hingehen will, und dann haben die Eltern gesagt, o.k. dann sind die Kinder auch ein bisschen abgelenkt, denn damals war die Angst bei uns ja sehr viel größer, weil wir direkt mit betroffen waren. Das war dann doch eine traurige Klassenfahrt, aber für die Kinder war es dann ne Art von Ablenkung, die ihnen vielleicht gut getan hat."

    Eine Katastrophe weder zu verniedlichen, noch Panik zu schüren – diese Gratwanderung ist dem Leiter der Frankfurter Ludwig–Richter-Schule seit ein paar Jahrzehnten vertraut.


    Links:

    http://schau-hin.info/ - eine Initiative des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Partnerschaft mit dem Telekommunikationsunternehmen Vodafone, den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD und ZDF sowie der Programmzeitschrift TV Spielfilm - Tipps, wie man mit Kindern über die Katastrophe redet

    www.tivi.de www.tivi.delogo!-Kindernachrichten im KI.KA