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Der gefälschte Himmel

Ein Mehltau von Genetiv-Metaphern liegt über diesem Romandebüt: schön anzusehen, doch für die Lebensbedingungen der zarten Fabel-Pflanze mittelfristig nicht von Vorteil. Richard Obermayr steckt im Bilderstau fest in einem verlassenen Hotel an der normannischen Küste, die Erinnerung an Großvater und Mutter beschwörend, mehr muß ja auch nicht geschehen, und alles was dazu in Augenschein genommen wird, erhält die Aura einer Reliquie im Kerzenglanz. Das Wärmeziel dieses Unternehmens lautet natürlich Initiation, doch generiert es nur ungedeihliche Kälte. Immerhin, wie Obermayr schreibt, man friert hier sehr begabt.

Guido Graf |
    Den 28jährigen Obermayr wegen fortgesetzten Verstoßes gegen das heilige Ornament-Verdikt eines Adolf Loos in die Grusel- oder Schmollecke der Anti-Modernisten zu verstoßen, legt sein Buch verdächtig nahe. Möglicherweise zu sehr, als daß man darauf hereinfallen sollte. Der unbedingte, aber auch weitgehend ironiefreie Wille zu Pracht und Brokat erregt Bewunderung. Es gehört schon eine gehörige Protion Mut und Konsequenz dazu, das auf 365 Seiten durchzuhalten. Grund, darin nicht nur spätpubertäres Geblähe zu sehen, hegt allerdings in der Schwierigkeit, zwischen Wahn und Naivität dieser Anstrengung zu unterscheiden.

    Die Intensität von Obermayrs auf die Sinne gestimmter Prosa, unterversichert gegen die erodierende Kraft der Lyrismen, und eine Art sprachlicher Religiösität wechseln sich unvermittelt ab. Jeder verdrechselte, sich im Bildergestöber des Buches nur isolierende Satz scheint Bewunderung provozieren zu wollen, ein Kalkül, das sich als virtuose Emphase mißversteht. Als Sprachbildner ist Obermayr praktizierender Fundamentalist, der Gestus wiegt mehr als die Praxis - die Praxis des Schreibens und des Erzählens. Gleichwohl beweist er oft genug, daß er mit dem Feinbesteck umgehen kann. Doch handelt es sich nicht um falsche Nachsicht, das Gespreize dagegen zu halten, als das sich seine Prosa auf Dauer darstellt. Der von Beginn an hochgetönte und forcierte Sog der Sprache, so man denn sich auf ihn einläßt, zieht die Aufmerksamkeit ab, die für den Leser notwendig wäre, um dem folgen zu können und zu wollen, was Obermayr erzählen will. Er wagt so oft die kühnen Bilder, die sich doch zu einer Erinnerungsgeschichte, einer Genealogie seiner selbst verdichten sollen, und landet wieder und wieder nur bei Preziosen.

    Warum das so ist, erklärt Obermayr allerdings auch, möglicherweise nicht ganz frei. Da ist der natürlich übergroße Vater, mächtig und fern, in Besitz von Wissen und Technik. Seinen Wünschen kann der Junge nie genügen. Die Mutter dagegen erscheint warm, weich und nah, ihre Stimme ist gegenwärtig, sie verspricht, den Hunger des Kindes zu stillen. Um diese banale Tradition noch manifest zu machen, kommt auch der Großvater ins Spiel: "Meinen noch leeren Körper füllte meine Mutter in Gebeten mit den Knochen ihres Vaters auf. Als noch jedes Wort in jeden Mund paßte, gab sie mir seine Stimme (...) denn ich habe eine Mutter, die auf dem Bild, dem einzigen ihres Vaters, mich zu erkennen glaubt." Mit dieser prächtigen Rechtfertigung seines Inzestwunsches kann der Junge gar nicht anders, als Dichter zu werden. Mit ordentlich verschraubtem Zweifels-Parlando versucht Obermayr, seine Selbstfigur auch in ihrer Lächerlichkeit zu zeigen, wenn er seinem so vehement ausgestellten Leiden an der Welt nicht sonderlich viel Tiefgang zugesteht. Doch ist das alles andere als ironisch. Es verstärkt nur die Grabespracht, die der junge Dichter wie eine Monstranz vor sich herträgt, gekleidet in ein aufdringlich gemustertes Büßergewand. An das Muster wird man sich erinnern, es gibt sie ja, die sowas tragen.