Donnerstag, 16. Mai 2024

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Der gelbe Bleistift

Sie sind jung, sie sind gut angezogen, und sie bedienen in perfekter Weise ein Bedürfnis, das die Feuilletons in Zeiten scheinbarer Ereignislosigkeit an sie herantragen: der "Club der jungen Dichter", jene Schar von "Grass-Enkeln", die "Pop-Literaten", die "endlich wieder Texte schreiben, welche man auch lesen mag".

Enno Stahl | 30.05.2000
    Christian Kracht ist an sich gar nicht mehr so jung (Jahrgang 1966), und er wird gewissermaßen als eine Art Ahnherr dieser literarischen Trend-Kultur gesetzt, die sich mittlerweile zu einer schreibenden Massenbewegung ausgewachsen Gleichzeitig wird er von manchen als die genuine und ernsthafte Variante gegen die vielzähligen Epigonen und Newcomer ausgespielt. Da fragt man sich, welcher Seite er denn nun wirklich zuzuschlagen ist: Pop- oder E-Kultur? Nach der Lektüre seines neuen Buches, einer Sammlung asiatischer Reisebeschreibungen möchte man meinen: keiner von beiden.

    Die Ausgangssituation ist zumeist so: Kracht hockt im Reichen-Distrikt Bangkoks und schlürft Singapore Slings, bevor er sich aufmacht in eines der umliegenden Armenhäuser. Recht süffig beschreibt er sodann die Oberfläche, welche ihm in Phnom Penh, Laos, Baku oder Tokyo begegnet, ein Konglomerat aus eigenen Befindlichkeiten, nicht unschicken Wahrnehmungen und hier und da sogar recherchierten Hintergrund-Informationen - quasi Hunter S. Thompson in der 'Very-Light Version'.

    Bereits der Erzähler in seinem Erstling 'Faserland' frönte einem neuzeitlichen Snobismus - der einerseits mit gespielter Naivität registriert, was vor sich geht, ohne es großartig zu werten; andererseits durchaus Distanzen aufbaut, die aus einer klassischen Dandy-Attitüde ä la Walter Serner herrühren.

    Die Dandy-Existenz ist immer eine inszenierte; und bei Kracht hat man stark den Eindruck, als würde hier noch eine Ironisierung dieser bereits durch und durch ironischen Perspektive aufgebaut. Seien es die genüsslichen Hinweise auf seine neo-koloniahstische Lebensweise: "Ja, ihr glaubt natürlich, der Kracht sitzt immer nur cocktail-trinkend auf der Terrasse des Hotel Oriental", was auf den fingierten Charakter dieser Zustandsbeschreibung abhobt.

    Oder seien es die steten beiläufigen Erwähnungen einer nicht näher bezeichneten "Begleiterin", die durch exquisite Intelligenz und stilistische Brillianz markiert ist, aber rein gar nicht in ihren Grundzügen oder ihren Beziehungen zum Erzähler, dass man geneigt ist, sie als bloße Fiktion zu sehen. Eine Fiktion, derer es bedarf, um die Inszenierung der Dandy-Figur funktionabel zu gestalten.

    Kurz: Der "Reportagecharakter" ist fraglich: Wieviel ist authentisch, wieviel ist Pose? Handelt es sich wirklich um "authentische" Reiseberichte oder geht es mehr um eine literarische Qualität, die man in ihrem dokumentarischen Wert eher niedrig veranschlagen muss? Im Endeffekt erfährt man jedenfalls wenig über die bereisten Stationen, aber sehr viel über Kracht selbst, mehr, als man tatsächlich wissen möchte.

    Der scheinbare Gleichmut des Dandys lässt ihn unterschiedslos mit germanophilen Intellektuellen in Aserbaidschan zechen, Panzerabwehrraketen im nördlichen Pakistan verballern oder überflüssigen Hippie-Hass auf die Goa-Aussteiger niederkübeln. Eigentlich ist es alles ein und dasselbe: leer und leidenschaftslos.

    Und vor allen Dingen ohne Position. Das genau ist der Punkt, der belegt, dass es sich bei Kracht ebenso wenig wie bei seinen Mitstreitern um echte Pop-Kultur handelt. Die subversive, ironische Brechung, deren sie bedarf, findet hier nicht statt. Denn dazu braucht es eine feste Ausgangsbasis, die das pseudo-affirmative Codieren und Umcodieren von Realitätsbereichen bewerkstelligt. Nur sehr selten gelingt es Kracht in diese Sphären vorzudringen, etwa wenn er angesichts des feingewirkten Tweedstoffes der Flugzeugsitze der All Nippon Airways Rückschlüsse tätigt über den prinzipiellen ästhetischen Purismus und Perferktionismus der Japaner.

    Im Buch gibt es eine Geschichte "Tristesse Royale", deren Titel quasi programmatisch ist für die beschriebene Tendenz. Der Erzähler und seine Freunde haben aus Spaß an einer Berliner Demo teil genommen, danach fliegt er nach Phnom Penh und wird wenige Stunden später Zeuge einer Demonstration, bei der es tatsächlich um etwas geht - das simple Überlcben. Kracht resümiert nüchtern: "Was uns vor wenigen Stunden in Berhn noch als herrlich subversive Tat vorgekommen war, nämlich das wahflose Mitmarschieren bei unsinnigen Demonstrationen, hielt uns hier mit einem lastwagengroßen Spiegel unser wahres Gesicht vor: Wir waren feige Popper. Und wir erkannten: hier in Kambodscha hört die Pop-Kultur aus" Sehr richtige Erkenntnis. Möglicherweise besagt sie aber auch, dass bereits das "wahllose Mitmarschieren bei unsinnigen Demonstrationen" kaum mehr Pop ist, sondern Pubertät. In einer Phase vollendeter Beliebigkeit ist eine beliebige Reaktion eben auch nur beliebig.

    Dass die Kracht'sche Prosa nun auch nicht gerade tiefschürfend daher kommt, als aussichtsreicher Kandidat für den "Botho-Strauß"-Award in Sachen Essayistik, versteht sich von selbst. Sie ist stilistisch elegant, bloßes Reisefeuilleton, Gebrauchs- und Verbrauchsliteratur, die uns bereits in zwei Jahren nicht weiter kümmern muss.