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Der genormte Geisteswissenschaftler

Im Normalfall stößt man bei Automobilzulieferern darauf oder bei Herstellern von Tierfutter: ein Zertifikat, das den Unternehmen attestiert, ein System eingeführt zu haben. Eines, das dem Qualitätsmanagement dient. Und das den Anforderungen der entsprechenden Deutschen Industrie Norm entspricht. Ein DIN-Zertifkat haben aber auch ein Dutzend deutsche Lehrstühle und zwei private Fachhochschulen, vor allem aus dem technischen oder wirtschaftlichen Bereich. An der Universität Leipzig sitzt der nach eigenen Angaben einzige geisteswissenschaftliche DIN-Professor.

22.04.2003
    Ein Beitrag von Carsten Heckmann

    Wenn Jörg Knoll einen Studenten prüft, dann sieht er das als Lernprozess. Der Professor für Erwachsenenpädagogik spricht zuvor ausführlich mit dem Prüfling. Er räumt ihm während der Prüfung große Freiräume ein. Anschließend sind Vorschläge zur Verbesserung erwünscht. Für Knolls nächste Prüfungsvorbereitung. Denn er dreht sich im Kreis – im Qualitätsentwicklungskreis. Planen, realisieren, auswerten und Konsequenzen ziehen – so wird an Knolls Lehrstuhl stets gearbeitet. Dieses System entspricht einer Norm, der DIN EN ISO 9001. Das hat sich der Professor durch ein Zertifikat offiziell bescheinigen lassen.

    Unsere Zertifizierung ist erwachsen aus den Bedürfnissen der Praxis in der Erwachsenenbildung hier in Leipzig und in Sachsen. Es gab Mitte der 90er Jahre eine ganze Reihe von Einrichtungen, die ein Qualitätsmanagementsystem einrichten wollten, weil sie sich erwarteten, dass dann ihre Chancen im Bildungsbereich besser sind. Wir wurden um Beratung gebeten und ich hatte den Eindruck, wir können besser beraten, wenn wir am eigenen Leibe erfahren haben, was das eigentlich heißt.

    Also machte sich Knoll an die Arbeit. Seitdem geschieht an seinem Lehrstuhl nichts mehr zufällig. Selbst das Fehlen von Zufälligkeiten wird überwacht. Einmal im Jahr vergewissert sich ein externer Prüfer, dass Knoll und Kollegen weiterhin nach ihrem Qualitätssystem handeln. Dabei ist immer der Weg das Ziel. Das weiß auch Jörg Knoll:

    Ich finde, das ist schon eminent viel, wenn Verfahren immer wieder bewusst und optimal gestaltet werden. Sie sind ja die Voraussetzung dafür, dass ein sinnvolles Ergebnis entsteht.

    Voraussetzung ja, Garantie nein – sagen die Kritiker der Zertifizierung. Sie bezeichnen das Verfahren auch gern als untauglich für die Wissenschaft. Bildung sei kein Produkt wie jedes andere, und Studierende seien keine Kunden. Auch Jörg Knoll vermeidet den Begriff "Kunden" offiziell, spricht seinen Studierenden allerdings eine kundenähnliche Rolle für sein Lehrangebot zu.

    Was aber interessant ist, ist, dass diese Studierenden, wenn man sie jetzt mal als Kunden sieht, mitbeteiligt sind daran, dass dieses Angebot auch wirklich zum Erfolg führt, dass sie dann auch wirklich was davon haben und was lernen. Das ist dann die eigene Verantwortung, die da eintritt.

    Eine Verantwortung, die den Studierenden so oft es geht vor Augen geführt wird. Zum Beispiel, wenn sie auf dem Anmeldebogen für ein Seminar eintragen müssen, warum sie es besuchen wollen. Die Studentin Yvonne Rietz ist sogar verantwortlich für das große Ganze. Die 23-Jährige fungiert als Beauftragte für das Qualitätsmanagement. Sie achtet auf die Dokumentation, führt neue Mitarbeiter ein, dient auch ihren Kommilitonen als Ansprechpartnerin.

    Mir gefällt an meiner Arbeit am Lehrstuhl besonders, dass es mit den Mitarbeiten ein sehr schönes Zusammenarbeiten ist, dass es immer ein "wir" gibt, dass wir schauen: wo wollen wir hin, welche Entwicklungen gibt es hier am Lehrstuhl, und das auch immer im Blick gehalten wird. Es hat nie für mich einen Moment gegeben der Stagnation, sondern immer auch diese Ziele, die hier am Lehrstuhl verwirklicht werden. Und dass man Sachen zusammen annimmt und angeht und die auch wirklich schafft und versucht, sie umzusetzen.

    Dabei wird jeder Schritt zu jedem Qualitätsziel fleißig dokumentiert. Es gibt Menschen, die nennen das Bürokratisierung. DIN-Professor Knoll beteuert, er setze die Norm nicht buchstabengetreu, sondern kreativ um. Sollte es seinen Studenten dennoch zuviel werden mit dem Papierkram, können sie sich auf einem speziellen Papier darüber beklagen: dem "Formblatt zur Korrektur und Verbesserung".