Können Polizeifotos Kunst sein? Natürlich - es kommt immer darauf an, wer da fotografiert. In Los Angeles jedenfalls, in der Stadt, die Hollywood beherbergt, ist jeder Polizeifotograf vollgesogen mit Filmbildern, oft arbeitet er sogar nebenbei beim Film. Merrick Morton, der aus dem Hangar des Stadtarchivs die in der Hitze vergammelnden Negative des "L.A. Police Department" gerettet hat, ist selber ein Beispiel für diese Doppelexistenz. Was er in den Archiven fand, ist einerseits Sozialgeschichte: der Selbstmörder, die geschlagene Frau, der Autounfall, die Opfer eines Mafia-Mordes - in den sehr unterschiedlichen Kulissen der zwanziger, dreißiger, vierziger, fünfziger Jahre. Man erfährt auf diesen Bildern eine Menge über Unterschichtsgewalt und Wirtschaftskrise, über die Prohibition und die Lust am Glücksspiel, über Enttäuschung und Eifersucht, ganz real.
Andererseits sind diese Schwarzweiß-Aufnahmen aber nicht "irgendwie" gemacht, sondern komponiert. Es sind ihre Lakonie, ihre Coolness und Nüchternheit, ihr Understatement, die den geschulten Blick des Fotografen verraten: Einschusslöcher in der Autoscheibe, eine schräge hohe Aufsicht aus der Totalen auf den Tatort, einen Villenvorort, wo noch die mit weißem Tuch bedeckte Leiche des Mafia-Anwalts Sam Rummel vor der Garage liegt - sowas macht man beim Film vom Kran aus; die Leere der Industrielandschaften und die Bedrohlichkeit der Hinterhöfe, das Gerippe der Feuertreppen: es sind lauter Filmszenen, Bilder aus einer nicht gedrehten schwarzen Serie, und der Kurator Tobia Bezzola, der diesen Schatz jetzt in Zürich ausstellt, weist nachdrücklich auf die innige Verbindung von Polizei und Film, auf die innere Verwandtschaft von kriminalistischer Spürarbeit, Feinarbeit und dem fotografischem Verfahren hin:
"Hollywood hatte ab den 30er Jahren schon Polizisten als Berater, die natürlich die Regisseure und die Ausstatter instruieren, wie sowas auszusehen habe; und umgekehrt gab es auch personelle Verflechtungen - bis heute: Rick (Merrick Morton), mit dem wir die Ausstellung gemacht haben, hat also einen Halbtages-Job bei der Polizei und einen Halbtages-Job bei den Studios, er arbeitet auch für Miramax und Dreamworks und macht Film-Stills auf dem Set. Es ging gar nicht anders, als dass diese Fotografen dann auch diese Sichtweise, diesen Blick, diese Arbeitsweise hin- und hertrugen, vom Set auf den Tatort, vom Tatort auf den Filmset. Und das gibt dann für uns diesen Effekt der Verschleifung, dass wir diese realen Situationen sehen und denken, das sei ein Humphrey-Borgar-Film."
Tobia Bezzola hat eher zufällig (so entsteht Kunstgeschichte!), während einer Kuratoren-Tagung in den USA, von den ausgegrabenen Polizeifotos aus Los Angeles gehört; er flog sofort hin, sah - und erkannte die Qualität dieser Arbeiten, die man in L.A. selbst offenbar nur unzureichend zu schätzen wusste, einfach, weil man dort überhäuft ist mit filmischen Klischees. Hier aber handelt es sich um finstere, virtuos beleuchtete Sozialgeschichte, um Alkoholschmuggel, Auftragsmorde, herumliegende Kleidungsstücke als Beweismittel, die in der neorealistischen Manier der Zeitungsreportage kunstvoll abgelichtet sind.
Für die Züricher Ausstellung wurden 100 der geretteten (und manchmal beschädigten) Negative neu abgezogen und in eine thematische Ordnung gebracht, und dabei werden dann auch die Handschriften einzelner Polizeifotografen deutlich: die Herren Hoewner, Munns und vor allem Driver stellen nicht Realität nach, sie inszenieren, sie verdeutlichen sie. Die Ausstellungstexte suggerieren eine Nähe dieser Fotos zum Surrealismus mit seinem Interesse am Abgründigen, an der Mythologie des Verbrechens. Die These ist etwas gewagt. Einleuchtender scheint mir die Verbindung zur Konzeptfotografie der 1960er Jahre: Ed Ruschas leere Parkplätze und Stadtlandschaften wirken wie direkte Nachfolger mancher dieser Polizeifotos.
Ihre Wirksamkeit aber beziehen diese Bilder aus der bitteren Realität, die sie erzählen: der einsame Tote unter der Brücke im Regen, die Blutspur im Wohnzimmer, das Portrait einer geschlagenen Frau als Unterschichts-Madonna, der Finger eines Schwarzen (in Großaufnahme) während des polizeilichen Fingerabdrucks. Rassismus, Kampf, soziale Not. Fotos aus Amerika. Virtuos und ohne Trost.
Andererseits sind diese Schwarzweiß-Aufnahmen aber nicht "irgendwie" gemacht, sondern komponiert. Es sind ihre Lakonie, ihre Coolness und Nüchternheit, ihr Understatement, die den geschulten Blick des Fotografen verraten: Einschusslöcher in der Autoscheibe, eine schräge hohe Aufsicht aus der Totalen auf den Tatort, einen Villenvorort, wo noch die mit weißem Tuch bedeckte Leiche des Mafia-Anwalts Sam Rummel vor der Garage liegt - sowas macht man beim Film vom Kran aus; die Leere der Industrielandschaften und die Bedrohlichkeit der Hinterhöfe, das Gerippe der Feuertreppen: es sind lauter Filmszenen, Bilder aus einer nicht gedrehten schwarzen Serie, und der Kurator Tobia Bezzola, der diesen Schatz jetzt in Zürich ausstellt, weist nachdrücklich auf die innige Verbindung von Polizei und Film, auf die innere Verwandtschaft von kriminalistischer Spürarbeit, Feinarbeit und dem fotografischem Verfahren hin:
"Hollywood hatte ab den 30er Jahren schon Polizisten als Berater, die natürlich die Regisseure und die Ausstatter instruieren, wie sowas auszusehen habe; und umgekehrt gab es auch personelle Verflechtungen - bis heute: Rick (Merrick Morton), mit dem wir die Ausstellung gemacht haben, hat also einen Halbtages-Job bei der Polizei und einen Halbtages-Job bei den Studios, er arbeitet auch für Miramax und Dreamworks und macht Film-Stills auf dem Set. Es ging gar nicht anders, als dass diese Fotografen dann auch diese Sichtweise, diesen Blick, diese Arbeitsweise hin- und hertrugen, vom Set auf den Tatort, vom Tatort auf den Filmset. Und das gibt dann für uns diesen Effekt der Verschleifung, dass wir diese realen Situationen sehen und denken, das sei ein Humphrey-Borgar-Film."
Tobia Bezzola hat eher zufällig (so entsteht Kunstgeschichte!), während einer Kuratoren-Tagung in den USA, von den ausgegrabenen Polizeifotos aus Los Angeles gehört; er flog sofort hin, sah - und erkannte die Qualität dieser Arbeiten, die man in L.A. selbst offenbar nur unzureichend zu schätzen wusste, einfach, weil man dort überhäuft ist mit filmischen Klischees. Hier aber handelt es sich um finstere, virtuos beleuchtete Sozialgeschichte, um Alkoholschmuggel, Auftragsmorde, herumliegende Kleidungsstücke als Beweismittel, die in der neorealistischen Manier der Zeitungsreportage kunstvoll abgelichtet sind.
Für die Züricher Ausstellung wurden 100 der geretteten (und manchmal beschädigten) Negative neu abgezogen und in eine thematische Ordnung gebracht, und dabei werden dann auch die Handschriften einzelner Polizeifotografen deutlich: die Herren Hoewner, Munns und vor allem Driver stellen nicht Realität nach, sie inszenieren, sie verdeutlichen sie. Die Ausstellungstexte suggerieren eine Nähe dieser Fotos zum Surrealismus mit seinem Interesse am Abgründigen, an der Mythologie des Verbrechens. Die These ist etwas gewagt. Einleuchtender scheint mir die Verbindung zur Konzeptfotografie der 1960er Jahre: Ed Ruschas leere Parkplätze und Stadtlandschaften wirken wie direkte Nachfolger mancher dieser Polizeifotos.
Ihre Wirksamkeit aber beziehen diese Bilder aus der bitteren Realität, die sie erzählen: der einsame Tote unter der Brücke im Regen, die Blutspur im Wohnzimmer, das Portrait einer geschlagenen Frau als Unterschichts-Madonna, der Finger eines Schwarzen (in Großaufnahme) während des polizeilichen Fingerabdrucks. Rassismus, Kampf, soziale Not. Fotos aus Amerika. Virtuos und ohne Trost.