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"Der geteilte Himmel" an der Schaubühne
Die Suche nach dem Paradies

Armin Petras hat Christa Wolfs Buch "Der geteilte Himmel" an der Berliner Schaubühne inszeniert - ein starkes Selbstfindungsdrama in kurzen 90 Minuten.

Von Karin Fischer |
    "Es gibt verschiedene Ideen, wie man leben sollte." - "Jeden von uns gibt es zwei Mal. Als Möglichkeit, als Unmöglichkeit." - "Klar sind wir materiell. Aber das Leben gibt es nur ein Mal."
    Das Treffen von Rita und Manfred in Westberlin ist an den Anfang des Stücks gesetzt, hier aber ist es eine Rückblende, gesprochen nach dem Fall der Mauer. Die ausgewählten Sätze von Christa Wolf klingen jederzeit frisch, wie nicht gealtert, und sie eröffnen den bekannten historischen Horizont - Manfred wird in der Erzählung die DDR verlassen, Rita will bleiben, der Mauerbau beendet auch die "doppelte Möglichkeit". Vor allem aber eröffnen diese Sätze einen poetischen Raum, den das Stück nie mehr verlassen wird. Denn Regisseur Armin Petras hat die ganze ideologische Auseinandersetzung aus der Frühzeit der DDR weggelassen, das menschelnde Brigadewesen, Manfreds Eltern, Ritas festen Glauben an das Modell einer neuen Gesellschaft oder die im Buch für damalige Verhältnisse mutig geführte Diskussion über "Fehler" beim Aufbau des Sozialismus. Petras zeigt die Liebesgeschichte als steinigen Weg Ritas zu sich selbst.
    "Ich will keinen Winter. Die Berührung der Wunde vermeiden. Freundlich sein. Verstehen, dass man unendlich an der Liebe leiden kann, aber dass das für einen selber nicht in Frage kommt. Und den Dichtern folgen, die Schweres leicht machen."
    Für das Schwere schleppen die drei Schauspieler nach der ersten Szene eimerweise Glaskiesel auf die Bühne, die als erhöhtes Podest wie ein Laufsteg zwei Zuschauerblöcke trennt. Ein schönes, kluges Bild für den mühseligen Wiederaufbau nach dem Krieg wie für den unsicheren Boden, auf dem Rita in ihrem Kummer und nach dem Selbstmordversuch auf den Schienen des Waggonbauwerks wieder gehen lernen muss. Auf die vier umlaufenden weißen Wände um das Publikum herum werden Bilder projiziert, schwarz-weiße Landschaften, blasse Filmaufnahmen von Trabis, natürlich der Sternenhimmel, oder Szenen, die irgendwo hinter der Bühne stattfinden: Rita und Manfred im Schlafzimmer und in der Küche, wo Manfred mit einem Bunsenbrenner und rauchenden Glaskaraffen hantiert. Auf der Bühne selbst bleibt der Abstand der Figuren groß, die Sätze lange fragend: "Was braucht der Mensch?"; "Wer soll das denn sein, Alle?".
    Das schmerzhafte Erwachen eines Ich aus dem Wir
    Jule Böwe als Rita hat anfangs eine silberhelle Mädchenstimme, die zu diesen Fragen passt, die sie aber auch in große Erwachsenheit und Entschlossenheit umkippen lassen kann. Sie schafft es mühelos, den politischen Ernst nicht zu naiv und die Verzweiflung nicht zu bodenlos aussehen zu lassen. Kay Bartholomäus Schulze als Arzt unterstützt Ritas stockende Fahndung nach sich selbst unter anderem mit einem Tonbandgerät. Der Manfred des Tilman Strauß darf sich auch mal den Frust über die Versammlungen aus dem Leib brüllen und sein Leiden an der Parolenhaftigkeit dieser Neuen Welt, gibt meist den abgeklärten Realisten und rechnet nur einmal mit den Mitläufern aus der Nazizeit ab:
    "Dieselben Darsteller in denselben Rollen, nur dass die Kostüme umgenäht wurden. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Irgendwann verschwand der Mann mit dem Bärtchen aus dem Wohnzimmer und wurde durch eine Landschaft ersetzt. Und noch ein paar Monate später hatte mein Vater dann das neue Parteiabzeichen im Knopfloch."
    Das Paradies, das der Sozialismus versprach und schon im Jetzt und Hier haben wollte, gab es nie. Wenn überhaupt, existiert es in der Liebe. Und die dauert häufig nicht ewig, auch ganz ohne Berliner Mauer. Die "Schwierigkeit, Ich zu sagen", hat Christa Wolf in ihren Büchern immer wieder und in vielen unterschiedlichen Dimensionen thematisiert. Armin Petras zeigt das schmerzhafte Erwachen eines Ich aus dem Wir. Das Wir, das die Liebe war, nicht der Sozialismus. Am Ende des Stücks, beim Wiedersehen nach dem Mauerfall, angedeutet durch ein Feuerwerk und das berühmte Schabowski-Zitat, steht abgeklärte Fremdheit. Ein starkes Selbstfindungsdrama in kurzen 90 Minuten.