Samstag, 27. April 2024

Archiv


Der geteilte Professor

Ingenieurwissenschaftler arbeiten nach dem Studium oft für die Wirtschaft. Beim Karlsruher Institut für Technologie dagegen forschen Nachwuchswissenschaftler am eigenen Institut und sind für Wirtschaftsunternehmen tätig. "Shared Professorship" heißt das - und drängt die Frage auf, wie unabhängig die Lehre noch sein kann.

Von Christiane Gorse | 04.07.2011
    "Hier sehen wir jetzt etwas, das sich hochflexibel und auch wandlungsfähig den Marktanforderungen anpassen kann."

    Professor Gisela Lanza steht in einem der zahlreichen Labors des Karlsruher Instituts für Technologie, kurz KIT. Begeistert erklärt sie eines ihrer Steckenpferde: eine Roboterlinie, die die Zukunft des Automobilbaus werden soll. Die große, sehr schlanke Frau ist eine von bislang sechs Nachwuchswissenschaftlern, die eine sogenannte "Shared Professorship" innehaben. Zur einen Hälfte wird sie vom KIT bezahlt, zur anderen von einem Industrie-Partner, in ihrem Fall vom Autohersteller Daimler. (30)

    "Für mich persönlich ist die Shared Professorship die einzigartige Möglichkeit, beide Welten gleichzeitig zu erleben. Das heißt, trotzdem in der Forschung verankert zu bleiben, dort die Arbeiten voranzutreiben, hier ein junges, hoch motiviertes Team zu haben, was an diesen Forschungsideen arbeitet und gleichzeitig, als interner Mitarbeiter von so einer Konzernstruktur wie Daimler AG, Teil davon zu sein."

    Seit 2008 betreut die 38-jährige Wissenschaftlerin einerseits Doktoranden und große Forschungsvorhaben am KIT. Gleichzeitig aber leitet sie Projekte bei Daimler und ist im Konzern an zentralen Strategie-Diskussionen beteiligt. Eigentlich sollte sie abwechselnd ein Jahr fürs KIT arbeiten, ein Jahr für Daimler. In der Praxis aber ist sie hauptsächlich auf der Autobahn, immer unterwegs zwischen den verschiedenen Daimlerwerken und dem KIT in Karlsruhe. Ihre Forschungsthemen reichen von Elektro-Mobilität bis hin zur Organisation von globalen Produktionsketten. Anders als die Meisten musste sie sich nicht sofort zwischen Forschung und Wissenschaft entscheiden. Das KIT sieht noch weitere Vorteile:

    "Für uns als KIT kommt dazu, dass wir sehr eine enge Bindung zur Industrie dadurch herstellen,"

    ... sagt Prof. Volker Saile, Mitglied des erweiterten Präsidiums. Weil diese Nähe zur Industrie aber ein Problem sein kann, legt das KIT wert darauf, dass die Themen grundlegend und langfristig sind.

    "Hier geht es um prinzipielle Fragestellungen. Das ist nicht eine Auftragsabwicklung, das keineswegs. Eben, das ist eine sehr spezielle Art der Zusammenarbeit, die im Wesentlichen die Ingenieure betrifft. Sie haben ähnliche Dinge nicht in den Naturwissenschaften, wie Physik, Chemie, das sind ganz stark ingenieurwissenschaftliche Fragestellungen."

    Alle Shared Professorships sind zeitlich auf vier Jahre begrenzt und bei sehr anwendungsorientierten Fakultäten verankert. Dennoch: Die extreme Nähe von Forschung und Industrie sehen nicht zuletzt Studenten kritisch, wie der Karlsruher Asta-Vorsitzende Tobias Bölz.

    "Was natürlich nicht sein darf, ist, dass die Industrie die Inhalte von Forschung und Lehre bestimmt. Und gerade wenn einzelne Professoren, oder auch Stiftungsprofessoren, da ist natürlich immer ein Interesse dahinter und sobald da größere Summen fließen, hat das immer so ein Geschmäckle."

    Gleichzeitig in der Industrie und in der Forschung zu arbeiten, ist ein inhaltlicher Spagat, dessen ist sich auch Professor Gisela Lanza bewusst. Selbst in solch praxis- orientierten Bereichen wie der Produktionstechnik muss man sich irgendwann für eine Seite entscheiden, sagt sie.

    "Im Unternehmen werden Sie darauf getrimmt, auf Praktikabilität zu schauen, dass möglichst ein positives Ergebnis erreicht wird. Und in der Forschung müssen Sie aber oft auch unkonventionelle Dinge angehen, sonst machen Sie nur immer dasselbe. Wenn Sie innovativ sein wollen, dann müssen Sie auch einmal ausscheren aus dem, was sie normalerweise machen. Und irgendwas versuchen, was nicht naheliegend ist."

    Trotz allem ist seriöse und unabhängige Forschung in den Augen der Wissenschaftlerin möglich. Der Beweis: Vor zwei Jahren bekam sie den Heinz-Maier-Leibnitz-Preis, den die Deutsche Forschungsgemeinschaft zusammen mit dem Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung an Nachwuchswissenschaftler vergibt. Und ihr Ruf auf eine ordentliche Professur gilt schon jetzt als sicher.

    Information der "Campus"-Redaktion: Selbst auf europäischer Ebene soll die Durchlässigkeit von Industrie und Wissenschaft erhöht werden. Derzeit plant die EU-Kommission die Einführung eines "European-Industrial PhD", einer berufsbegleitenden Promotion. Dabei soll nach dänischem Vorbild der Promovierende 50 Prozent für seine Firma arbeiten, die anderen 50 Prozent an einer Hochschule.