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Der Getreidegigant

In der kommenden Woche wird sich eine Konferenz der Agrarminister aus dem Kreis der G-20-Staaten mit den klimabedingten Problemen der Agrarmärkte beschäftigen. In Teil Drei unserer Serie porträtieren wir Europas größten Agrarhändler Baywa - der sich glänzend behauptet.

Von Lisa Weiß |
    "Also, mir ham jetzt von dem Landwirt Stefan Nunner von Kösching Weizen aufgekauft und der liefert den heute an. Als Erstes fahrt er über die Fuhrwerkswaage, da wird gewogen."

    19.220 Kilo Weizen sind es diesmal, liest Josef Mair, der Betriebsleiter der Baywa-Niederlassung im oberbayerischen Großmehring von der Waage ab. Jetzt müssen er und seine Mitarbeiter noch die Qualität der Ware prüfen.

    Mit einer Art Staubsauger saugen sie an drei, vier verschiedenen Stellen auf dem Anhänger Weizen ein - diese Probe wird jetzt im kleinen Labor daneben auf ihre Qualität getestet. Danach entscheidet sich, ob das Getreide zum Brotbacken geeignet ist - oder doch nur Viehfutter. Bauer Stefan Nunner wartet geduldig; er kennt das Prozedere, er verkauft oft sein Getreide an die Baywa:

    "Des is ja a Riesenkonzern, und wenn de earnane Hausaufgaben machen, hams aa de besten Kontrakte für uns Landwirte zu bieten."

    Auch wenn der große Konzern dem Bauern diesmal wieder das beste Angebot gemacht hat - Nunner muss sich diesmal mit weniger Geld als ausgemacht zufriedengeben. Die Probe zeigt: Der Stärkegehalt stimmt nicht; der Weizen ist nur Viehfutter. Eine Folge des letzten verregneten Sommers, sagt Betriebsleiter Mair: "Nachdem die Qualitäten jetzt festgestellt worden sind, lädt der Bauer das Getreide in die Gosse."
    Der Weizen wird dann gereinigt und gelagert. Bis zu 16.000 Tonnen Weizen, Raps und Mais können in Großmehring untergebracht werden. Diese Kapazität ist auch nötig, sagt der Betriebsleiter: In der Erntezeit liefern Bauern rund um die Uhr Getreide ab; jetzt, in der Nachsaison sind es rund zehn pro Tag. Lang wird der Weizen dort ohnehin nicht liegen: Die BayWa hat das Getreide des Landwirts schon längst weiterverkauft. In wenigen Wochen wird es per Zug zum Bestimmungsort in die Schweiz transportiert. Die BayWa hatte bereits vor der Anlieferung des Getreides einen Kontrakt mit Bauer Nunner geschlossen, sagt Mair:

    "Dieser Bauer der hat jetzt zum Beispiel die Ware verkauft vor acht Wochen. Dieser Bauer hat aber zeitgleich gleich wieder an Weizen verkauft für die neue Ernte."

    Mit solchen sogenannten Sofortkontrakten sichert die Baywa sich Getreidemengen, die sie garantiert weiterverkaufen kann. Und die Bauern sichern den Preis ab, den sie für die Ernte bekommen. Denn die Getreidepreise schwanken täglich – Weizen wird an der Warenterminbörse in Paris gehandelt. Da werden auch die Bauern zu Spekulanten – und fragen täglich bei Josef Mair nach dem Preis: "Da missma heid schaun, was d'Börse macht, weil geschtan iss a bissl runtergangen." "Das war jetzt grad a Bauer, der wollte an Preis wieder wissen."
    Mit Nahrungsmitteln an der Börse handeln? Das ruft böse Erinnerungen hervor: an Agrarspekulanten, die tonnenweise Weizen kaufen und weiterverkaufen – rein per Mausklick, ohne echtes Interesse an der Ware und ohne, dass der Weizen faktisch den Lagerort wechselt. Damit treiben sie die Preise für Grundnahrungsmittel künstlich in die Höhe – und in Entwicklungsländern werden Nahrungsmittel knapp. Ein solches Vorgehen liege der Baywa fern, versichert der Vorstandsvorsitzende der BayWa AG, Klaus Josef Lutz:

    "Die BayWa handelt nicht virtuell. Wir handeln reell, das heißt jeder Kontrakt, der von unseren Händlern abgeschlossen wird, ist unterlegt mit Getreide - jetzt zum Beispiel im Getreidehandel. Es gibt keine Derivate, keine Zertifikate, keine Optionspapiere oder Ähnliches, mit so was arbeiten wir nicht. Das Einzige, was wir machen zur Absicherung der Preise auch für unsere Bauern: Dass wir an der MATIF, an der Warenterminbörse in Paris, unsere Preise "hedgen", nennt man das, also absichern."

    Aber auch diese Termingeschäfte zur Absicherung sind zwar für Firmen wie die BayWa fast unverzichtbar, aber unter Experten umstritten. Denn auch diese Geschäfte begünstigen Spekulanten: Während die Firmen damit eine Art Versicherung gegen Kursschwankungen haben, sind sie gleichzeitig auf Finanzinvestoren angewiesen, die mit ihnen ein Warentermingeschäft abschließen.
    Zurück von der Welt der Finanzmärkte in die Heimat der Baywa: Bayern. Hier wurde sie 1923 als Aktiengesellschaft gegründet, entstanden ist sie aus dem bayerischen Genossenschaftswesen. Noch heute halten Genossenschaftsbanken 60 Prozent der Aktien, auch die drei großen Geschäftsfelder Agrar, Bau und Energie haben ihre Wurzeln im Genossenschaftswesen. Man orientierte sich an den Bedürfnissen der genossenschaftlich organisierten Bauern.

    Und entsprechend verwurzelt ist der Konzern in der Bevölkerung. Auf dem Land kennt in Bayern so gut wie jeder die BayWa, sie ist fast schon ein Teil Bayerns – im positiven wie im negativen Sinn. Die bayerische Gruppe Biermösl Blosn hat vor fast 30 Jahren sogar die Bayernhymne auf die BayWa umgedichtet: "Gott mit dir, du Land der Baywa, deutscher Dünger aus Phosphat. Über deinen weiten Fluren liegt Chemie von früh bis spaat."

    Mit der Abwandlung wollte die Biermösl Blasn auf den übertriebenen Einsatz von chemischem Dünger aufmerksam machen. Und auf die Allmacht der BayWa auf dem Gebiet des Landhandels. Heute kann der Vorstandsvorsitzende Lutz über die Parodie lachen:

    "Ich persönlich sehe das insofern gelassen, weil ich glaube, man kann als Unternehmen schon stolz sein, wenn eine Künstlergruppe die bayerische Hymne sozusagen auf unser Unternehmen, auf die BayWa umtextet. Ich kann nur schmunzeln und ich glaube, man kann auch ein Stück weit stolz drauf sein."

    Aber erst kürzlich hatte die BayWa wieder mit negativen Schlagzeilen zu kämpfen: Der Konzern tauchte auf Platz zwei der Liste der EU-Agrarsubventionsempfänger auf; der Bund für Umwelt und Naturschutz kritisierte, dass die BayWa Millionen kassiere, während der durchschnittliche Landwirt mit Kleckerbeträgen abgespeist werde.

    BayWa-Chef Lutz hält dagegen: Man habe im Jahr 2010 gar keine Agrarsubventionen bekommen. Nur Getreide an den Staat verkauft und die Lagerung für den Staat übernommen:

    "Dafür haben wir insgesamt in 2010 einen Erlös von 13,4 Millionen Euro erzielt. Insofern sind diese Äußerungen falsch, sie sind eine Lüge, und sie sind auch eine absolute Unverschämtheit unserem Unternehmen, den Aktionären und den Mitarbeitern gegenüber."

    Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung sagt: Die BayWa hat das Geld bekommen im Rahmen von Interventionen, also staatlichen Ankäufen von Getreide, um den Markt zu stabilisieren. Diese Zahlungen müssen zwar in der Subventionsliste auftauchen, sind aber rechtlich gesehen keine Subventionen. Doch auch diese Diskussion beweist wieder: An der BayWa kommt im Agrarbereich in Deutschland fast niemand vorbei – schon gar nicht der Staat. Entsprechend auch das Ergebnis 2010. Trotz Wirtschaftskrise ein sattes Plus, sagt Lutz:

    "Was uns letztes Jahr sehr geholfen hat, war das Segment Agrar. Wir haben ja letztes Jahr schon steigende Rohstoffpreise gehabt. Und das Zweite ist der Sektor Energie. Wir haben ja in den letzten Jahren massiv im Bereich erneuerbare Energien als Dienstleistungsunternehmen investiert und waren letztes Jahr sehr erfolgreich."

    Und auch für 2011 ist die BayWa optimistisch. Bereits im ersten Quartal hat der Konzern fast zwei Milliarden Euro Umsatz gemacht, Tendenz: steigend.