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Der Getreue des Obersten Sowjet

Demokratie war unter dem georgischen Ex-Präsidenten Eduard Schewardnadse nur ein Wort auf dem Papier. Doch als die Zeichen der Zeit umschlugen, trat er ohne Widerstand zurück. Heute lebt er immer noch im Präsidentenpalast, zurückgezogen vom politischen Leben.

Von Gesine Dornblüth |
    Mit der Entscheidung, sofort zurückzutreten und keine Gewalt gegen das Volk anzuwenden, hat Eduard Schewardnadse sich nachträglich Respekt verschafft: national und international: Der frühere amerikanische Präsident George Bush senior schrieb dem georgischen Ex-Präsidenten, er habe viel Großes geleistet, habe großen Anteil an der deutschen Einheit, an der Demokratisierung Osteuropas, am Abzug sowjetischer Truppen aus Afghanistan gehabt. Schewardnadses größte Heldentat aber sei sein Rücktritt gewesen.

    Der Ex-Präsident schreibt seine Memoiren. Besucher empfängt er nach wie vor im dunkelblauen Dreiteiler. Nur die Schuhe sind ein wenig ausgebeult. Eduard Schewardnadse nimmt in einem tiefen Ledersessel Platz, schlägt die Beine übereinander. Sein Arbeitszimmer ist leicht überheizt. Ein schwerer Schreibtisch steht in der Ecke, darauf lose Blätter, fünf Telefone und eine halb leer getrunkene Tasse Tee:
    "Ich nenne das, was geschehen ist, nicht "Rosenrevolution". Das war ein
    gewöhnlicher Umsturz. Er passierte während der Sitzung des Obersten Sowjet. Ich beendete gerade meine Rede, da drang eine große Gruppe in den Plenarsaal ein, 100, 150 Leute. Einige waren bewaffnet, andere nicht. Sie stürmten direkt zum Rednerpult. Ich bin schwierigen Situationen nie aus dem Weg gegangen, aber dies Mal war ich gezwungen, meinen Personenschützern zu gehorchen. Die hakten mich unter und brachten mich hinaus."

    Schewardnadse lehnt sich im Sessel zurück, faltet die Hände vor dem Bauch. Das Staatsoberhaupt nahm zwar für sich in Anspruch, einer Demokratie vorzustehen. Die existierte allerdings nur auf dem Papier, und das Parlament hatte so gut wie nichts zu sagen. Dass er noch immer vom "Obersten Sowjet" spricht, zeigt, dass er den Wechsel von der Sowjetunion zur Demokratie nie wirklich vollzogen hat.

    "Am nächsten Tag wollte ich mich mit denen treffen, mit diesen, nennen wir sie: "Oppositionellen". Ich will sie nicht meine "Gegner" nennen. Sie kamen hier her. Aber einer von ihnen, der heutige Präsident, wurde sehr ausfallend mir gegenüber. Ich habe ihm gesagt: Mit dir rede ich erst, wenn du dich beruhigt hast."

    Schewardnadse lächelt versonnen. Er selbst hatte den Nachwuchspolitiker Saakaschwili einst nach Kräften gefördert. Das entscheidende Treffen mit den Anführern der Revolution war dann zwei Tage später. Sie kamen zu dritt: Micheil Saakaschwili, der heutige Präsident; Zurab Schwania, der dann Regierungschef wurde; und Nino Burdschanadze, die derzeitige Parlamentspräsidentin.

    "Ich sagte: "Was machen wir jetzt, Kinder?" Ich nenne sie so, weil sie noch jung sind. "Ich nehme jeden Vorschlag an." Sie haben sich erst ein bisschen geziert, dann sagten sie: "Am besten wäre natürlich der Rücktritt des Präsidenten. Wir sind aber bei Ihnen groß geworden, es ist uns unangenehm, Ihnen das vorzuschlagen." Ich habe gesagt: "Macht euch keine Gedanken, ich habe schon gestern Nacht beschlossen, zurückzutreten. Ich bin vom heutigen Tag an nicht mehr Präsident. Ihr müsst euch jetzt überlegen, was das Land benötigt, was ihr tun wollt. Wenn ihr mich braucht, ruft an, ich bin jederzeit bereit, euch zu helfen."
    Ich muss sagen: Das hatten sie nicht erwartet."

    Angerufen oder gar um Rat gefragt haben ihn diese "jungen Leute" nie. Seit dem Tod seiner Frau Nanuli vor einem halben Jahr lebt der 77-jährige allein in der Villa, umsorgt nur von ein paar jungen Assistenten und einer Haushälterin.

    "Ich treffe fast jeden Tag Journalisten, und ich weiß genau, was die von mir hören wollen: Dass sich die Situation in Georgien nach meinem Rücktritt verschlechtert hat. Solche Äußerungen erlaube ich mir nie. Diese jungen Leute sind kluge Politiker. Sie haben nur Pech gehabt. Letztes Jahr gab es eine Missernte. Wenn die Ernte dieses Jahr besser wird, dann werden die Menschen auch bald besser leben.
    Die einfachen Leute sagen jetzt manchmal: "Es wäre besser gewesen, wenn Schewardnadse Präsident geblieben wäre. Damals ging es uns besser." Aber das Volk findet immer einen Grund, auf die Regierung zu schimpfen. Auch auf die neue."

    Schwerfällig steht Schewardnadse auf, geht zu einer Wand mit gerahmten Fotos. Sie zeigen den "kaukasischen Fuchs", wie der weißhaarige Mann aufgrund seiner politischen Finessen genannt wird, mit Jacques Chirac und mit George Bush senior, mit Bill Clinton und dessen Frau Hillary, lachend mit Hans-Dietrich Genscher in dessen früherer Schule. Mit dem ehemaligen Bundesaußenminister verbindet ihn seit den 2 plus 4 Verhandlungen über die deutsche Einheit eine enge persönliche Freundschaft.

    Neben dem Schreibtisch hängt das Foto einer schlanken jungen Frau: Nanuli Schewardnadse in Studienjahren. Sie ist auf dem Grundstück vor der Villa begraben.

    "Das war das einzige, worum ich die jungen Leute gebeten habe: Erlaubt mir, sie hier zu beerdigen. Ich gehe jeden Morgen zu ihr hinaus. So habe ich das Gefühl, dass sie noch immer bei mir ist. Wir haben uns sehr geliebt…
    Ich lebe gut hier. Ich zahle weder für den Strom, noch für die Heizung. Ich zahle gar nichts. Das Haus hat viele gemütliche Zimmer. "

    Saakaschwili hat dem Volk versprochen, dass Schewardnadse nicht angetastet wird, dass er in der Villa bleiben darf und eine hohe Rente bekommt. Die bekomme ich übrigens nicht. Aber das ist nicht so schlimm. Ich verstehe, dass die kein Geld haben. Also sagen Sie ihnen bitte nicht, dass ich mich beklage.
    Überhaupt, wenn Sie Vertreter der Regierung treffen, richten Sie ihnen aus, dass ich nichts gegen sie habe. Zwischen uns gibt es keine Probleme.