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Der Goethe der Landschaftsgärtnerei

Spätestens seit seine Parkanlagen in Muskau und Branitz in das Weltkulturerbe aufgenommen wurden, steht der Name des heute vor 220 Jahren geborenen Fürsten Hermann von Pückler für mehr als eine Speiseeis-Kreation. Von ausgedehnten Englandreisen hatte Hermann Ludwig Heinrich Graf Pückler, seit 1811 Standesherr in der Oberlausitz, die Ideen für natürliche Landschaftsparks mitgebracht. Deren Realisierung jedoch führte in die finanzielle Katastrophe. Formell ließ sich Pückler deshalb von seiner Frau Lucie scheiden - mit dem Ziel, eine reiche Engländerin zu heiraten. Auf seiner dreijährigen Reise durch Großbritannien schrieb der preußische Fürst die "Briefe eines Verstorbenen" - und etablierte sich damit als Reiseschriftsteller.

Von Jochen Stöckmann | 30.10.2005
    Nicht nur mit Schillerlocke und Bismarck-Hering ehrt Deutschland seine großen Geister - auch mit dem Fürst-Pückler-Eis. Aber wer kennt ihn heute noch, den Fürsten Hermann von Pückler-Muskau? Immerhin ein Freigeist, Weltenbummler und Lebemann, ein Schriftsteller und Gartenkünstler, der bis Mitte des 19. Jahrhunderts die Welt in Atem hielt: Als schneidiger Kavallerieoffizier galoppierte der "tolle Pückler" durch Dresden, mit einem Gespann von vier gezähmten Hirschen fuhr er in Berlin vor, verunsicherte und belustigte als Mitgiftjäger "Prince Pickle" die vornehmsten Kreise Englands - und drang orientalisch gewandet unter dem Pseudonym "Semilasso" auf Reisen bis weit nach Afrika vor. Ein Zeitgenosse wie der Ägyptologe Georg Ebers schwärmte noch:

    "Seine Gestalt war hoch und von edlem Wuchse. Man hätte ihn für einen hochgebildeten hohen Militär halten können, wenn dem nicht eine gewisse leichte Bequemlichkeit der Formen entgegengetreten wäre. Seinen Mund umspielte oft ein sarkastisches Lächeln, doch die übrigen Züge waren von wohlwollender Freundlichkeit, die manches junge Frauenherz zu schnellerem Schlag gezwungen haben muß. Er ist auch viel und heiß geliebt worden."

    Das schrieb Ebers 1893, da war Pückler bereits zwei Jahrzehnte tot, begraben unter einer von Wasser umgebenen Erdpyramide im Gartenreich von Muskau und Branitz. Eine großartige Parkanlage, die Pückler den Beinamen "Goethe der Landschaftsgärtnerei" eingetragen hatte - und an deren Besichtigung ein Großschriftsteller des 20. Jahrhunderts, Arno Schmidt, sich nur noch widerwillig erinnerte:

    "Es ist Jahre her, daß wir Oberprimaner jenen sommerlichen Schulausflug in die Riesen=Parklandschaft unternahmen, die einst jenes unwichtig=merkwürdige Seifenblasenwesen, das sich 'Fürst Pückler’ nannte, angelegt hatte (ganz recht: ‚Der=mit=dem=Eis’)."

    Dabei entsprach dem sprunghaften Wesen des Fürsten durchaus nicht klebrige Eiscrème, sondern der befreiende "Pückler-Schlag". Mit diesem Kunstgriff riß der vornehme Landschaftsgärtner Mauern, Gitter und Zäune nieder, schuf weite Sichtachsen in seinen englischen Parks. Mit schwungvollen Naturkompositionen verabschiedete der "Grüne Fürst" die starre, bisweilen kleinkarierte Geometrie des Barock. Auf seinen ausgedehnten Ländereien in der Lausitz bettete der hoffnungslos verschuldete Standesherr das fürstliche Schloß und die Bauerndörfer, Zwingburg und Bürger-Stadt, Bergwerk und Kurbad in eine blühende Landschaft ein - kein romantisches Idyll, sondern die handfest begehbare "Bildergalerie" eines aufgeklärten Gemeinwesens. Diese fortschrittliche Botschaft allerdings verknüpft kaum jemand mit dem Namen Pückler. Karl Hillebrand, immerhin Teilnehmer der bürgerlichen Revolution von 1848, fällt nach der Lektüre von Pücklers Reiseberichten, den "Briefen eines Verstorbenen", "Tutti Frutti" und "Semilasso in Afrika" das vernichtende Urteil:

    "Ausdrucksweise, Gedanken, Gefühle, alles erscheint marklos und charakterlos. Es ist, als fehle der molluskenartigen Masse der Knochenunterbau."

    Das ist in den Augen des Nietzsche-Freundes Hillebrand die schlimmste Verfehlung von Pückler, diesem charmanten und geistvollen Windbeutel: Obwohl hochdekorierter Stabsoffizier, legte der am 30. Oktober 1785 geborene Sproß aus uraltem Adelsgeschlecht keinen Wert auf kernig-deutsche "Identität", kokettierte sogar damit, daß mehr als nur zwei Seelen in seiner aristokratischen Männerbrust wohnen. Amouren und erotische Eskapaden bestimmten den "sultanistischen" Lebensstil eines preußischen Fürsten: Pückler läßt sich im besten Einvernehmen von seiner Ehefrau Lucie, Tochter des Kanzlers Hardenberg, scheiden - um in beider Interesse eilends auf die Jagd nach einer lukrativen Mitgift zwecks Sanierung der Muskauer Finanzen zu gehen. Pückler kauft in Abessinien eine bildhübsche Sklavin frei - und hält sie sich ungeniert als "Nebenfrau". Pückler versteht andererseits auch, die Form zu wahren, denn er beherrscht die Kompositionsregeln der äußeren Eleganz wie kein Zweiter. Und macht die Selbstinszenierung als Fürst und Hansdampf, Landschaftsgärtner oder Frauenheld, Diplomat und Pferdenarr zur irritierenden Kunst, die wohl nur große Geister wie Goethe recht zu schätzen wissen:

    "Es wirkt so angenehm erheiternd, ein wohlgesinntes Weltkind zu sehen, welches den Widerstreit von Wollen und Vollbringen auf das Anmutigste darstellt. Die besten Vorsätze werden im Lauf des Tages umgangen, vielleicht das Gegenteil getan."