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"Der Gott des Gemetzels"

Die französische Theaterautorin Yasmina Reza gelang vor zwölf Jahren mit ihrem Theaterstück "Kunst" der große Durchbruch. Es wurde zu einem ähnlich erfolgreichen Theater-Dauerbrenner wie Patrick Süskinds "Kontrabass". Das verlangt nach mehr, nach Fortsetzung. Und die heißt "Der Gott des Gemetzels". In Bochum inszenierte Burghart Klaußner das Stück über den Irrsinn der Ehehölle.

Von Dorothea Marcus | 28.04.2007
    Die Reilles und die Houillés sind zwei höchst zivilisierte Ehepaare - mit brutalen Elfjährigen als Söhnen. Der eine hat dem anderen zwei Zähne ausgeschlagen, und die Eltern begehen ein Versöhnungstreffen, um ein Versicherungsformular auszufüllen. Ein Waffenstillstand, der eigentlich eine heimliche Kriegserklärung ist:

    "Am 3. November um 17 Uhr 30 schlug Ferdinand Reille, elf Jahre, bewaffnet mit einem Stock, nach einer verbalen Auseinandersetzung unserem Sohn Bruno Houillé ins Gesicht. Die Folgen dieser Tat sind neben einer geschwollenen Oberlippe zwei abgebrochene Schneidezähne, beim rechten Schneidezahn einhergehend mit Schädigung des Nervs.

    Bewaffnet?

    Bewaffnet gefällt Ihnen nicht, aha, was sollen wir sagen, Michel, ausgestattet, ausgerüstet, ausgestattet mit einem Stock, ist Ihnen das recht?

    Ausgestattet ja.

    Ausgestattet mit einem Stock.

    Zum Glück gibt es immer noch die Kunst des zivilisierten Umgangs miteinander, oder?"

    Bewaffnet oder nicht - ein falsches Wort genügt, damit das Treffen aus dem Ruder läuft. Immer wieder versucht Gutmenschin Veronique, die Wogen zu glätten - und peitscht sie mit moralischen Urteilen weiter auf. Bald spuckt Anwaltsgattin Annette den Versöhnungskuchen auf die prachtvollen Kunstbände der Gastgeberin. Dann versucht ihr dauerndertelefonierender Mann einen Pharmaskandal um ein Medikament zu vertuschen, das just die Mutter des Hausherren einnimmt - bis Annette das Handy ihres korrupten Mannes ins Blumenwasser wirft. "Aber das ist doch mein ganzes Leben"! winselt er - das bringt die Ehe- und Zivilisationsmisere schön auf den Punkt.

    Immer schneller bilden sich neue Kriegskoalitionen, fliegen Handtaschen und Tulpen, fallen sich die Ehepartner verbal und körperlich in den Rücken. Zum Schluss ist ein Wohnzimmer verwüstet und liegen zwei Ehen in Scherben. Ein Boulevard-Kracher voller Pointen - und gleichzeitig ein pessimistisches Stück über die menschliche Logik der Eskalation und die allgegenwärtige Gewalt, die dicht unter dem Firnis der Zivilisation liegt. Und darüber, dass Vergehen in der Familienzelle denen in der globalisierten Welt um nichts nachstehen.

    Während in Zürich alle Beteiligten ungemütlich stehen mussten, haben Regisseur und Bühnenbildner in Bochum die Regieanweisung "keine überflüssigen Elemente" nicht ganz beachtet: Wir sehen Servierwagen, einen Wohnzimmertisch bedeckt mit Kunstbänden, zwei Tulpenvasen auf weißem Flokati unter einem schicken, schiefen Bühnenpavillon.

    Imogen Kogge gibt Veronique im unförmigen lila Hausfrauenkleid, als mütterlich und politisch korrektes Rechthabetier. Sie schreibt ein Buch über Massaker in Darfur und teilt die Welt in Täter und Opfer, um das Böse bloß nicht zu relativieren - und mischt doch in ihrem eigenen Kuchen Äpfel und Birnen.

    Felix Vörtler als ihr Mann Michel richtet sich im hemdsärmeligen Freizeitlook zunächst behäbig und gutmütig unter ihrem Pantoffel ein, um sich dann als sein eigenes Leben hassender Choleriker zu entpuppen, der auch noch den Hamster der Tochter ausgesetzt hat. Ulli Maier und Klauss Weiss geben das zunächst glatte Businesspaar mit Dreiteiler, Trenchcoat und Highheels - und sind in Wirklichkeit Alkoholikerin und skrupelloser Mafiosi - der allerdings am sympathischsten von allen die Wahrheit ausspricht:

    "Es braucht eine Lehrzeit, um Gnade durch Recht ersetzen zu können! Ursprünglich herrschte das Recht des Stärkeren.

    Bei den den Neandertalern vielleicht, nicht bei uns! Ich glaube an den Gott des Gemetzels. Das ist der einzige Gott, der seit Anbeginn unbeschränkt herrscht."

    Eine saubere, korrekte Inszenierung, der man keinen Vorwurf machen kann. Und doch fehlt in Bochum etwas zum Theater-Irrsinn, der in Zürich so rasant und psychologisch detailverliebt begeistert hat: Die Schauspieler wirken verlangsamt und zuweilen unkonzentriert, die Pointen zünden nicht ganz. Die Alkoholikerin wirkt nicht unbeherrscht genug, die Hausherrin versteckt ihre Verzweiflung und Hysterie unter zu großer Ruhe - und so wird die Eskalation von Burkhart Klaußner nicht entschieden genug auf die Spitze getrieben. Trotz dieses etwas halbherzigen Schlachtfelds ertönen aber laute Bravo-Rufe in Bochum: das Stück über die Illusion des Humanismus wird seinen Siegeszug um die Welt gewiss antreten.