Das zumindest ist die Meinung von Francis Fukuyama in seinem neuen Buch. Denn der amerikanische Politologe ist nicht bereit, den Verfall der Werte einfach als einen unumkehrbaren Prozess zu sehen, der mit dem Verlust einer höheren Wahrheit in Verbindung steht. Was Nietzsche den "Tod Gottes" nannte, reicht Fukuyama nicht aus, um den großen sozialen Bruch, der sich - seiner Meinung nach - seit den 60er Jahren in fast allen westlichen Industrienationen vollzog, zu erklären. Er sieht hier "machtvolle Kräfte im Hintergrund wirken' und glaubt sie allerdings weder bei Göttern noch in einem höheren Schicksal zu finden, sondern in Wirtschaftsprozessen und im technischem Fortschritt. Unmerklich erorbert Fukuyama mit seinem Pragmatismus und großen Ansprüchen das Terrain der Philosophie.
Dadurch, dass Fukuyama jedoch überhaupt eine Gefahr in der sozialen Entwicklung erkennt, revidiert er - zum Teil zumindest - eine These, die ihn vor zehn Jahren berühmt gemacht hat. Damals, zu Zeiten des Mauerfalls, hatte er in Anlehnung an Hegel das"Ende der Geschichte" ausgerufen. Er verkündete, dass früher oder später das einzige politische System, das überleben werde, die moderne Demokratie sei. Die ökonomischen Prozesse führten geradezu zwingend auf die Demokratie zu. Nun schränkt er zunächst seinen Optimismus ein. Da heißt es:
"Bei der ethischen und sozialen Entwicklung ist die gleiche fortschrittliche Richtung indes nicht so zwingend. Die liberalen Demokratien neigen dazu, einem exzessiven lndividualismus anheimzufallen, und dies ist vielleicht ihre langfristig gefährlichste Schwachstelle."
Die Schwachstelle Mensch könnte zum Sand im Getriebe des schönen Endes der Geschichte werden. Denn Fukuyama stellt nun fest, dass es nicht nur zum Wesen der dynamischen Wirtschaft gehört, auf die Demokratie zuzusteuern, sondern dass technischer und ökonomischer Fortschritt immer auch die bestehenden sozialen Bindungen zerreißt. Und mit diesem Wandel - konkret dem Übergang vom lndustriezeitalter zur lnformationsgeselischaft - erklärt Fukuyama dann auch das, was erden "großen Bruch" nennt.
Der große Bruch ereignete sich seit den sechziger Jahren in Form von radikaler Individualisierung, Zerfall von Vertrauen und informellen Werten, oder - in den Worten Fukuyamas - als Verlust von "Sozialkapital". Eine Aussage, die weder besonders neu noch originell ist. Dennoch nimmt der Autor sich einen beträchtlichen Teil seines Buches Zeit, diesen Zerfall der gemeinsamen Werte anhand von angestiegenen Kriminalstatistiken, Scheidungsraten und Umfragen zu belegen und zu zeigen, dass es sich dabei um ein Phänomen handelt, das fast alle westlichen Industrienationen in den letzten 40 Jahren ergriffen hatte.
Nun ist es nicht gerade die Art des notorischen Optimisten Fukuyama, Schwarzmalerei zu betreiben. Seine wichtigste Botschaft lautet ja: Alles wird gut, und daher haben die vielen negativen Zahlen auch ihren tieferen Sinn: Aus ihnen versucht Fukuyama - ganz nebenbei - herauszulesen, dass es seit den 90er Jahren wieder aufwärts geht mit dem Sozialkapital. Aus der Stagnation auf hohem Niveau bei Scheidungsraten und Kriminalstatistiken meint er, eine Trendwende erkennen zu können. Weil nun der große Umbruch zum lnformationszeitalter geschafft sei, habe sich die Gesellschaft an die neuen Bedingungen angepasst und steuere in einem Selbstheilungsprozeß der extremen Individualisierung entgegen. Das ist die eigentliche These Fukuyamas: Wir haben den Übergang zur Informationsgesellschaft geschafft, und deshalb sind wir aus dem Gröbsten raus. Und keinem anderen Zweck als diese These zu stützen dient auch der zweite Teil seines Buches. Hier geht Fukuyama der Frage nach, wie soziale Ordnung und informelle Normen entstehen, und findet vor allem zwei Argumente, die seinen Zwecken dienen.
Erstens: Die Soziobiologie habe bewiesen, was schon Aristoteles behauptet hatte: Der Mensch ist von Natur aus ein staatenbildendes Wesen und kein Individualist. In den menschlichen Genen sei nämlich die Gemeinschaftlichkeit angelegt. Daher sei es auch ein menschlicher Trieb, Sozialkapital spontan hervorzubringen.
Zweitens: Die postindustrielle Gesellschaft braucht für ihre Wirtschaft genau dieses Sozialkapital nötiger denn je, weil auf Vertrauen beruhende Managementstrukturen heutzutage einfach effizienter sind. Dort nämlich, wo die Wirtschaft auf dem Austausch von Wissen und Information basiert, können Netzwerke mit gemeinsamen informellen Normen die Transaktionskosten immens reduzieren. Und wenn der Markt diese Vertrauensnetzwerke braucht, so Fukuyamas Hypothese, wird er, auf den genetischen Möglichkeiten des Menschen aufbauend, diese auch erzeugen.
Indem Francis Fukuyama die Ökonomie als letzten Grund für globale Entwicklungen heranzieht, will er zwar fortschrittlich sein, im Kern bleiben seine Argumente aber konservativ. Und sie sind längst nicht so neu, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Nicht selten schlägt Fukuyamas Pragmatismus sogar in Banalität um, wenn er etwa mit voller Oberzeugung schreibt:
"Aber Eitem haben auch ein starkes natürliches Interesse am Wohlergehen ihrer Kinder. Wenn man ihnen klar macht, dass ihr Verhaften die Lebenschancen ihrer Kinder ernsthaft beeinträchtigt, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach vemünftig sein und bereit ihr Verhalten so zu ändem, dass sie ihren Kindern damit helfen."
Da fragt man sich doch, warum noch niemand den Eltern gesagt hat, dass sie, wenn sie sich scheiden lassen oder sogar arbeiten gehen, auch mal an ihre Kinder denken sollten. Wunderbar hätten damit all die großen sozialen Probleme verhindert werden können! Denn die kaputten Familienverhältnisse sind es, bei denen Fukuyama letztlich immer wieder landet, so viel er auch sonst anführen mag. Die Familie sei zerstört worden durch die Erfindung der Pille und die Möglichkeit für Frauen, einem Beruf nachzugehen - nicht mehr verbirgt sich hinter dem, was für Fukuyama der Obergang zur lnformationsgesellschaft ist.
Fukuyamas Plus ist zugleich sein Handicap. Er hat keine Scheu, an große Fragen mit den unterschiedlichsten Mitteln aus den verschiedensten Disziplinen heranzugehen. Der Politologe bedient sich bedenkenlos der Ergebnisse der Soziologie, genauso wie der Ökonomie, der Anthropologie, der Biologie und der Philosophie. Da erhält man ganz nebenbei und mit Leichtigkeit eine knappe Einführung in die Spieltheorie oder in die Diskussion um moderne Netzwerke.
Fukuyama liefert im Detail selbst keine Ergebnisse, er trägt sie zusammen. Und das ist durchaus gut so, wenn jemand einmal größere Zusammenhänge herstellt. Nur bleibt Fukuyama damit leider immer an der Oberfläche. Man braucht nur ein klein wenig daran zu kratzen, und die großen Ansprüche zerplatzen wie eine Seifenblase.
Dadurch, dass Fukuyama jedoch überhaupt eine Gefahr in der sozialen Entwicklung erkennt, revidiert er - zum Teil zumindest - eine These, die ihn vor zehn Jahren berühmt gemacht hat. Damals, zu Zeiten des Mauerfalls, hatte er in Anlehnung an Hegel das"Ende der Geschichte" ausgerufen. Er verkündete, dass früher oder später das einzige politische System, das überleben werde, die moderne Demokratie sei. Die ökonomischen Prozesse führten geradezu zwingend auf die Demokratie zu. Nun schränkt er zunächst seinen Optimismus ein. Da heißt es:
"Bei der ethischen und sozialen Entwicklung ist die gleiche fortschrittliche Richtung indes nicht so zwingend. Die liberalen Demokratien neigen dazu, einem exzessiven lndividualismus anheimzufallen, und dies ist vielleicht ihre langfristig gefährlichste Schwachstelle."
Die Schwachstelle Mensch könnte zum Sand im Getriebe des schönen Endes der Geschichte werden. Denn Fukuyama stellt nun fest, dass es nicht nur zum Wesen der dynamischen Wirtschaft gehört, auf die Demokratie zuzusteuern, sondern dass technischer und ökonomischer Fortschritt immer auch die bestehenden sozialen Bindungen zerreißt. Und mit diesem Wandel - konkret dem Übergang vom lndustriezeitalter zur lnformationsgeselischaft - erklärt Fukuyama dann auch das, was erden "großen Bruch" nennt.
Der große Bruch ereignete sich seit den sechziger Jahren in Form von radikaler Individualisierung, Zerfall von Vertrauen und informellen Werten, oder - in den Worten Fukuyamas - als Verlust von "Sozialkapital". Eine Aussage, die weder besonders neu noch originell ist. Dennoch nimmt der Autor sich einen beträchtlichen Teil seines Buches Zeit, diesen Zerfall der gemeinsamen Werte anhand von angestiegenen Kriminalstatistiken, Scheidungsraten und Umfragen zu belegen und zu zeigen, dass es sich dabei um ein Phänomen handelt, das fast alle westlichen Industrienationen in den letzten 40 Jahren ergriffen hatte.
Nun ist es nicht gerade die Art des notorischen Optimisten Fukuyama, Schwarzmalerei zu betreiben. Seine wichtigste Botschaft lautet ja: Alles wird gut, und daher haben die vielen negativen Zahlen auch ihren tieferen Sinn: Aus ihnen versucht Fukuyama - ganz nebenbei - herauszulesen, dass es seit den 90er Jahren wieder aufwärts geht mit dem Sozialkapital. Aus der Stagnation auf hohem Niveau bei Scheidungsraten und Kriminalstatistiken meint er, eine Trendwende erkennen zu können. Weil nun der große Umbruch zum lnformationszeitalter geschafft sei, habe sich die Gesellschaft an die neuen Bedingungen angepasst und steuere in einem Selbstheilungsprozeß der extremen Individualisierung entgegen. Das ist die eigentliche These Fukuyamas: Wir haben den Übergang zur Informationsgesellschaft geschafft, und deshalb sind wir aus dem Gröbsten raus. Und keinem anderen Zweck als diese These zu stützen dient auch der zweite Teil seines Buches. Hier geht Fukuyama der Frage nach, wie soziale Ordnung und informelle Normen entstehen, und findet vor allem zwei Argumente, die seinen Zwecken dienen.
Erstens: Die Soziobiologie habe bewiesen, was schon Aristoteles behauptet hatte: Der Mensch ist von Natur aus ein staatenbildendes Wesen und kein Individualist. In den menschlichen Genen sei nämlich die Gemeinschaftlichkeit angelegt. Daher sei es auch ein menschlicher Trieb, Sozialkapital spontan hervorzubringen.
Zweitens: Die postindustrielle Gesellschaft braucht für ihre Wirtschaft genau dieses Sozialkapital nötiger denn je, weil auf Vertrauen beruhende Managementstrukturen heutzutage einfach effizienter sind. Dort nämlich, wo die Wirtschaft auf dem Austausch von Wissen und Information basiert, können Netzwerke mit gemeinsamen informellen Normen die Transaktionskosten immens reduzieren. Und wenn der Markt diese Vertrauensnetzwerke braucht, so Fukuyamas Hypothese, wird er, auf den genetischen Möglichkeiten des Menschen aufbauend, diese auch erzeugen.
Indem Francis Fukuyama die Ökonomie als letzten Grund für globale Entwicklungen heranzieht, will er zwar fortschrittlich sein, im Kern bleiben seine Argumente aber konservativ. Und sie sind längst nicht so neu, wie es auf den ersten Blick scheinen mag. Nicht selten schlägt Fukuyamas Pragmatismus sogar in Banalität um, wenn er etwa mit voller Oberzeugung schreibt:
"Aber Eitem haben auch ein starkes natürliches Interesse am Wohlergehen ihrer Kinder. Wenn man ihnen klar macht, dass ihr Verhaften die Lebenschancen ihrer Kinder ernsthaft beeinträchtigt, werden sie aller Wahrscheinlichkeit nach vemünftig sein und bereit ihr Verhalten so zu ändem, dass sie ihren Kindern damit helfen."
Da fragt man sich doch, warum noch niemand den Eltern gesagt hat, dass sie, wenn sie sich scheiden lassen oder sogar arbeiten gehen, auch mal an ihre Kinder denken sollten. Wunderbar hätten damit all die großen sozialen Probleme verhindert werden können! Denn die kaputten Familienverhältnisse sind es, bei denen Fukuyama letztlich immer wieder landet, so viel er auch sonst anführen mag. Die Familie sei zerstört worden durch die Erfindung der Pille und die Möglichkeit für Frauen, einem Beruf nachzugehen - nicht mehr verbirgt sich hinter dem, was für Fukuyama der Obergang zur lnformationsgesellschaft ist.
Fukuyamas Plus ist zugleich sein Handicap. Er hat keine Scheu, an große Fragen mit den unterschiedlichsten Mitteln aus den verschiedensten Disziplinen heranzugehen. Der Politologe bedient sich bedenkenlos der Ergebnisse der Soziologie, genauso wie der Ökonomie, der Anthropologie, der Biologie und der Philosophie. Da erhält man ganz nebenbei und mit Leichtigkeit eine knappe Einführung in die Spieltheorie oder in die Diskussion um moderne Netzwerke.
Fukuyama liefert im Detail selbst keine Ergebnisse, er trägt sie zusammen. Und das ist durchaus gut so, wenn jemand einmal größere Zusammenhänge herstellt. Nur bleibt Fukuyama damit leider immer an der Oberfläche. Man braucht nur ein klein wenig daran zu kratzen, und die großen Ansprüche zerplatzen wie eine Seifenblase.