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Der große Coup des Konrad Kujau

Die Publikation der vermeintlichen Hitler-Tagebücher sollte ein totales Desaster für das Magazin "Stern" werden. Neben der Blamage und der Entlassung einiger Verantwortlicher blieb ein Verlust von mehr als neun Millionen Mark und des Vertrauens von Millionen Leserinnen und Lesern. Wie konnte es zu dieser publizistischen Pleite kommen?

Von Rainer Burchardt | 25.04.2008
    " Ich glaube schon, ... dass die Behauptung, die Geschichte des Dritten Reiches müsse zum Teil umgeschrieben werden, gerechtfertigt ist. "

    Peter Koch, damals Chefredakteur des "Stern", Ende April 1983, wenige Tage, bevor der Schwindel mit den Hitler-Tagebüchern aufflog. Ein Jahrhundertsatz, der gleichermaßen die fatale Fehleinschätzung einer, wie es damals hieß, "sensationstrunkenen Redaktion" widerspiegelt wie auch die damit verbundene Anmaßung, im Besitz ganz neuer historischer Wahrheiten zu sein. Ganz davon abgesehen, dass ausgerechnet ein bis dato als linksliberal geltendes Blatt bereit war, Selbstrechtfertigungen des Führers und Verführers von Nazi-Deutschland bedenkenlos Platz einzuräumen. Wahrlich ein totales Desaster für den Stern, der bereits eine weltweite Vermarktungskampagne begonnen und damit auf einen Millionengewinn spekuliert hatte. Was zum Schluss neben der Blamage und der Entlassung einiger Verantwortlicher blieb, war ein Verlust von mehr als neun Millionen Mark und des Vertrauens von Millionen Leserinnen und Lesern. Wie konnte es zu dieser publizistischen Pleite kommen, wie konnte man einem Reporter namens Gerd Heidemann trauen, der dem Stern erst eines und dann fließbandmäßig jene Machwerke lieferte, die ihm der Fälscher Konrad Kujau zukommen ließ? In einer seiner seltenen Stellungnahmen schilderte Kujau 1999, ein Jahr vor seinem Tod, im Deutschlandfunk den Beginn dieser fatal-freundschaftlichen Geschäftsbeziehung zwischen Fanatiker und Fälscher:

    " Der Stern-Reporter Heidemann ist in Geldnot, und er taucht bei meinem Bekannten, eben diesem, der das Buch unter Verschluss hat, das Hitlertagebuch, auf und will ihm einige Sachen seines Schiffes verkaufen. Man wird sich scheinbar handelseinig. Beim Verabschieden sagt der Bekannte, 'jetzt zeige ich Ihnen eine Rarität' und holt das eine Hitlertagebuch aus seinem Tresor. Der Sternreporter wird kreideweiß. Er beginnt, mich zu suchen. Er sucht einen Mann, der die größte Pickelhaubensammlung hatte in der Bundesrepublik. Ein weiterer Bekannter gibt ihm meine Rufnummer, Heidemann verspricht ihm dafür 200.000 Mark. Da wartet der heute noch drauf. Und er tauchte noch am selben Abend bei mir auf, das war der 27. Januar 1981. Spontan sagte er plötzlich, ich biete Ihnen zwei Millionen abzüglich zehn Prozent Vermittlungsprovision, also 1,8 Millionen, wenn Sie mir die Hitlertagebücher liefern. Und so lieferte ich im Zeitraum von zwei Jahren und drei Monaten 62 Kladden. "

    Seufert: " Es haben ja nur ganz wenige Leute von dem Projekt gewusst. Es stand ja von Anfang an bei Gruner und Jahr die Welt auf dem Kopf. "

    Der Publizist Michael Seufert, seinerzeit Stern-Redakteur und Leiter des Ressorts "Deutschland aktuell", der von Herausgeber Henri Nannen nach dem Auffliegen des Schwindels mit der Recherche über die Hintergründe des Skandals beauftragt wurde:

    " Die beiden Redakteure Heidemann und Walde, die sind ja nicht zur Chefredaktion gegangen, sondern direkt zum Vorstand. Hintergrund war, dass der damalige Chefredakteur Peter Koch Heidemann aufgrund leidvoller Erfahrungen gesagt hatte, er solle die Finger von der 'Hitler-Scheiße' lassen. Und aus diesem Grunde hat man gesagt, mit unserem fabelhaften Tagebuch-Projekt können wir bei unserer Chefredaktion nicht landen, und deshalb sind sie sofort zum Vorstand gegangen, und der Vorstandsvorsitzende hat sofort Chefredakteur gespielt und hat gesagt, okay, die zwei Millionen geben wir aus für das Projekt, und Heidemann kriegt schon mal am ersten Tag 200.000 Mark in bar in die Hand gedrückt. "

    Aus den 200.000 Mark wurden letztlich 9,34 Millionen, und bis heute ist nicht klar, wo die Summen letztlich abgeblieben sind. Viel höher jedoch war der Preis, den die Hamburger Illustrierte im Besonderen und der deutsche Recherche-Journalismus im Allgemeinen zahlen musste: Nämlich den Verlust an Glaubwürdigkeit durch diese Geschichte von Fälschung, Gaunereien, Sensationsgier und letztlich auch faktischer Rechtfertigung einer historischen Revision. Doch der Reihe nach: Der notorisch in Geldnöten befindliche Star-Reporter des Magazins, Gerd Heidemann, der inzwischen als Besitzer der Göring-Yacht "Carin II" mehr als nur Sammler nationalsozialistischer Militaria geworden war, taucht eines Tages gemeinsam mit dem damaligen Stern-Redakteur Thomas Walde, verantwortlich für Serien, beim Vorstandsvorsitzenden des Gruner und Jahr Verlags, Gerd Schulte Hillen auf und bietet die Tagebücher Adolf Hitlers an. Die Verlagsleitung steigt auf die Sache ein und schließt, glatt an der Chefredaktion vorbei, einen Vertrag mit den beiden Journalisten, die eine abenteuerlich anmutende Geschichte aufgetischt hatten. Heidemann besaß bis dahin durchaus das Vertrauen der Verlagsleitung, denn man wusste, dass er in der Redaktion als ein "gewiefter Spürhund" galt. Michael Seufert:

    " Ein ganz leiser, stiller Mensch, der in jeder Lebenslage Schach spielt, ein erfahrener Kriegsreporter auch preisgekrönt, der ist dann irgendwann abgedriftet, als er nach dem Kauf der Göring-Yacht "Carin II" immer mehr mit ehemaligen Nazis zusammenkam, also mit diesen SS-Generälen usw. und tief in die Sammlerszene eintauchte, weil er ja immer auf der Jagd nach Göring-Devotionalien war, um sein Schiff weiter auszustatten. Und das, kombiniert mit erheblichen Finanzsorgen, weil das Schiff immer teurer wurde für ihn, und niemand sich fand, der es haben wollte, hat Heidemann dann immer tiefer im braunen Sumpf versinken lassen. "

    Und so präsentiert Heidemann der Verlagsleitung eine gleichermaßen abenteuerliche wie vielversprechende Story über den angeblichen Fund der Hitlertagebücher. Danach stammten die Bücher aus einem Flugzeugwrack einer in Ostdeutschland abgestürzten JU 52; die Tagebücher sollten bei Kriegsende offenbar in Sicherheit gebracht werden. Heidemann sei bei Recherchen für eine andere Nazi-Story auf den Bücherfund gestoßen und habe sich vor Ort selbst informiert. Den Kontakt habe er über einen Mittelsmann zu einem angeblichen DDR-General namens Fischer knüpfen können. Fischer entpuppte sich letztendlich als der geniale Fälscher Konrad Kujau aus dem Schwäbischen, der zwei Jahre lang, so lange währte die Beschaffungsperiode, eifrig produzierte und kassierte. Stern-Herausgeber Henri Nannen erfährt von dem Treiben der Verlagsleitung zunächst ebenso wenig wie die Chefredaktion:

    " Der war am Anfang nicht informiert, in doppelter Weise, nicht als Herausgeber und nicht als Vorstandsmitglied. Da hat der Vorstandsvorsitzende gleich zwei Mal gegen die Verträge verstoßen. Nannen hat es ebenso erfahren wie die Chefredakteure, hat sich dann die Bücher mal vorgenommen und hat darin gelesen und gesagt, das sei ja stinklangweilig. Da müsse jemand ran wie Joachim Fest oder Sebastian Haffner, aber das wurde dann verwehrt, weil der Verlag mit den Redakteuren Verträge abgeschlossen hatte, die ihnen die exklusive Auswertung der Tagebücher zusicherte und darüber hinaus zu reichen Leuten machte. Was natürlich fatal war, denn wenn die ihren Job richtig gemacht hätten, dann hätten sie sofort gemerkt, dass mit den Tagebüchern was faul war, aber dann wäre der Traum vom großen Geld aus gewesen. "

    Tatsächlich bemühte sich der Verlag im Vorfeld um, wie sich nachträglich herausstellt, allerdings untaugliche Beurteilungen über die Echtheit des Materials. Diese Operation läuft unter strengster Geheimhaltung ab, um vor der Veröffentlichung der Kreis der Mitwisser möglichst klein zu halten. Michael Seufert:

    " Es sind ja Gutachter eingeschaltet, beauftragt worden, die großes Renommee hatten. Das LKA Rheinland-Pfalz hat Hitler mit Kujau verglichen und hat festgestellt, es spricht alles dafür, dass das echt ist. Die anderen Gutachter, die haben mehr Vergleichschriften verlangt, und es gibt ganz wenig zweifelsfreies Hitlermaterial. Und da haben dann Walde und Heidemann dafür gesorgt, dass die mit weiteren Schriften, Vergleichsschriften ausgestattet wurden. Bloß, die kamen alle von Kujau, und die haben zum Schluss nachher Kujau mit Kujau verglichen, und es war klar, dass das Ergebnis dann positiv ist. "

    Dazu noch einmal Konrad Kujau:

    " Heidemann rief mich an und sagte, wir haben ein Gutachten, die Tagebücher sind echt. Und ich sagte mir, 'bist du denn der Scheiß-Hitler?', es geht doch nicht an, dass diese Leute die Tagebücher alle für echt halten. Ich war noch im Begriff, das letzte Tagebuch zu fertigen, gucke ich mir die Heute-Sendung an im ZDF, und plötzlich erscheint der Stern als erste Meldung. Die Sensation war perfekt, Hitlers Tagebücher sind gefunden worden. Ich rief Heidemann an und sagte, 'du pass auf, das ist eine Nummer zu groß, jetzt kriegen wir Knast, und ich sprach von fünf Jahren. Und viel weniger ist es ja auch nicht geworden, bei mir waren es viereinhalb. "

    Als der Stern dann letztlich am 25.April 1983 mit der sensationellen Ankündigung der Hitler-Tagebücher an die Öffentlichkeit geht, überschlagen sich die Ereignisse. Während einer legendären Pressekonferenz im Hamburg äußert ausgerechnet der heute als Hitler-Verehrer und Holocaust-Leugner verurteilte, damals jedoch noch als seriös geltende britische Historiker David Irving Zweifel an der Echtheit, Zweifel, die er damals auch bei einer Fernsehdiskussion anmeldete.

    " Die Indizien liegen auf der Hand. Erstens, und das werden auch alle Hitler-Biographen bestätigen, niemand, nicht die Sekretärinnen, die Adjutanten, die Ordonanzen haben je gesehen, dass Adolf Hitler je ein Tagebuch geschrieben hat. Zweitens stimmt es mich sehr bedenklich, dass alle Proben gleichsam laufen unverändert über 13 Jahre von 1932 bis zum Ende des Krieges. Auch nach dem 20. Juli, dem schweren Bombenattentat gegen sein Leben, das auch seine rechte Hand getroffen hat, schreibt er weiter.... Es gibt kein einziges Handschreiben Hitlers nach dem20. Juli. Er hat nur noch Unterschriften geleistet. Drittens: Ich bedauere auch, dass keine chemische Untersuchung der Tinte vorgenommen wurde. Das kann der Stern jetzt nachholen. Viertens: In dem gleichen Fund sind Dokumente, die meines Erachtens glatte Fälschungen sind. "

    Auch andere Wissenschaftler meldeten sich zu Wort. Der renommierte britische Historiker Hugh Trevor-Roper, der anfangs die Bücher noch für wahrscheinlich echt gehalten hatte, revozierte nun, der Deutsche Eberhard Jäckel, selbst nicht in eigener Sache ohne Fehlurteil, sah nun ebenfalls eine Fälschung, während Stern-Chefredakteur Peter Koch weiter wacker die Wahrheitsversion verteidigte und sich und sein Blatt geradezu in der Pflicht sah, die allenthalben bezweifelten Inhalte unters Volk zu bringen.

    " Ich finde, die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf, den Inhalt dieser Tagebücher zu erfahren, und das weltweite Echo darauf, bis hin nach Australien beweist, dass das Interesse da ist und dass eine erwachsene Öffentlichkeit für sich zu Recht die Information aus erster Hand präsentiert haben will. "

    Und so ließ sich der Stern nicht beirren und hielt an seiner Absicht fest, den angeblichen Sensationsfund auszuschlachten - obwohl die immer stärker werdenden Zweifel inzwischen auch die Führungsetage erreicht hatten. Doch immer noch vertraute man der Spürnase Heidemann und dessen redaktionellem Betreuer Walde, wenngleich zumindest diesen beiden irgendwann selbst Zweifel oder Skrupel gekommen sein müssen. Michael Seufert:

    " Also, die Fahrlässigkeit war riesengroß. Heidemann und Walde haben von Anfang an eine Fülle von ernstzunehmenden Hinweisen gehabt bzw. gefunden, dass die Tagebücher nicht stimmen konnten. Heidemann hatte ja beste Beziehungen zu ehemaligen SS-Generälen, er war mit ihnen befreundet, die waren seine Trauzeugen, denen hat er im Vertrauen die Tagebücher auch gezeigt, und er ist darauf hingewiesen worden, dass bestimmte Sachen gar nicht stimmen können. Von diesen Leuten, die das selbst erlebt hatten, die sagten, das stimmt nicht. Das hat man kurz diskutiert, und dann haben Heidemann und Walde sich darauf geeinigt, dann hat der Führer sich eben geirrt. "

    Selbst als die ersten Expertengutachten mit der Hiobsbotschaft "Fälschungen" eintreffen, ist man beim Stern noch zögerlich. Ja, Herausgeber Henri Nannen, der auch das darauffolgende Heft nicht verhindert, schreibt voller Selbstgewissheit und Überheblichkeit in seiner wöchentlichen Kolumne:

    " Der Streit um die Echtheit der Hitlertagebücher war vorauszusehen. Nicht vorauszusehen waren die unsachlichen Verdächtigungen, die Kübel von Unrat, über die "Stern"-Redaktion geschüttet von Besserwissern, Neidern, Konkurrenten und politischen Hassern. Ich meine es ist an der Zeit, aufzuräumen mit der moralischen Verlogenheit, die da aus allen Ecken kriecht.....Solange wir aber guten Glaubens sind, drucken wir weiter. "

    Die Katastrophe nahm ihren Lauf, weil der Vorstandsvorsitzende Chefredakteur spielte. Die eigentlichen Chefredakteure, Peter Koch und Felix Schmidt, wagten nicht zu intervenieren, nachdem sie eher zufällig vom Deal der Verlagsleitung erfahren hatten. Koch nämlich hatte zuvor den Kauf von brisantem Hintergrundmaterial über die Neue-Heimat-Affäre aus falsch begründetem Misstrauen gegen den Informanten abgelehnt. Der Spiegel war es, der die Affäre dann enthüllen sollte - der Stern war blamiert. Michael Seufert:

    " Das war nun wirklich der schwere Fehler von Peter Koch, was er auch schwer bereut hat. Seitdem er eine lame duck war, er konnte nicht sagen, also diese Hitler Tagebücher kommen mir komisch vor, da steigen wir aus. Dazu hatte er nicht mehr die Kraft. "

    Sehr wohl hat Koch allerdings noch die Kraft, von New York aus, wo er einen Schriftgutachter eingeschaltet hatte, dessen ernüchterndes Ergebnis nach Hamburg zu signalisieren. Mit der Bemerkung "Das war's dann ja wohl", informiert er Schulte-Hillen, dass der Gutachter Rendell eine eindeutige Fälschung konstatiert habe. Schulte-Hillen bittet beide so schnell wie möglich nach Hamburg zu kommen. Ansonsten gibt es jedoch vorläufig keine Konsequenzen. Inzwischen sind auch das Bundesarchiv, das Bundeskriminalamt und das Bundesamt für Materialprüfung in Berlin zu ähnlichen Ergebnissen gelangt. Fast das gesamte Material, Tinte, Papier, Kordeln stamme überwiegend aus der Nachkriegszeit, selbst die Initialen auf den Tagebuch-Einbänden, die statt AH für Adolf Hitler als FH zu lesen sind, stellen sich als dilettantische Fälschung heraus. Wie leichtfertig ist man beim Stern eigentlich gewesen, um selbst auf einen derart plumpen Fehler hereinzufallen? Erich Kuby, einst selbst jahrelang Stern-Redakteur, hat in einem Buch über den "Fall Stern" dazu angemerkt:

    " Die politische Brisanz der Tagebücher, wären sie echt gewesen, hat die Redaktion zwei Wochen lang nicht realisiert. Es entstand ein geradezu erotisches Verhältnis zu diesem NS-Müll, dessen Echtheit nicht infrage gestellt wurde. "

    Am 6. Mai 1983 schließlich platzt die Bombe. Das Bundesarchiv gibt gegen Mittag seine unzweifelhafte Stellungnahme heraus, sie wird wenig später vom damaligen CSU-Bundesinnenminister Friedrich Zimmermann nicht ohne sichtbare Schadenfreude verkündet:

    " Aufgrund der Inhaltsanalyse und der kriminaltechnischen und naturwissenschaftlichen Untersuchungen ist das Bundesarchiv zu der Überzeugung gekommen, dass die ihm überreichten Unterlagen nicht von der Hand Hitlers stammen können, sondern in der Nachkriegszeit hergestellt worden sind. Ich bedauere zutiefst, dass diese Untersuchungen nicht vom Stern vor der Veröffentlichung unternommen worden sind. "

    Einen Tag später treten die Chefredakteure Peter Koch und Felix Schmidt zurück. Was folgt, sind zunächst einmal erregte Redakteursversammlungen, in deren Verlauf auch der Rücktritt des Vorstandsvorsitzenden Gert Schulte-Hillen und des Herausgebers Henri Nannen gefordert wird. Beide bekennen sich zu ihrer Verantwortung und ziehen nach einer Schamfrist die nötigen persönlichen Konsequenzen. Gegen Heidemann werden Strafanzeigen erlassen, ihm wird fristlos gekündigt. Dieser hatte sich offensichtlich nach Süddeutschland abgesetzt. Der spätere Spiegel-Chefredakteur Stefan Aust enthüllt in der ARD-Sendung Panorama den Namen des Fälschers Konrad Kujau. Das publizistische Kartenhaus bricht endgültig zusammen. Henri Nannen fordert persönlich den Ressortleiter Michael Seufert auf, umgehend und ohne Rücksicht auf Verluste sämtliche Hintergründe der Affäre zu recherchieren und zu veröffentlichen. Der Stern betreibt öffentliche Selbstreinigung. Seufert und sein Team machen sich an die Arbeit, sie hören zunächst Heidemann, der freiwillig nach Hamburg gekommen war, nachdem er die neuesten Meldungen gehört hatte.

    " Ich war damals Leiter des Ressorts 'Deutschland aktuell', und wir waren sozusagen die schnelle Recherchetruppe. Und es hat sich ja auch gezeigt, dass wir innerhalb von drei Stunden die wichtigste Information herausbekommen haben, dass dieser angebliche Herr Fischer mit seinem Generalsbruder in der DDR nicht Fischer hieß sondern Kujau. Damit brach die ganze Beschaffungsgeschichte, die Heidemann immer wieder erzählte, total zusammen. Und wir haben dann auch sehr schnell, ein Kollege in Löbau und in Köthen, da sollte ja dieser Generalsbruder wohnen, herausgekriegt, dass er nicht General war, sondern Gepäckträger und Hilfspolizist der Bahnpolizei. Und je besser wir recherchierten, um so dämlicher standen wir da. Also: das Gelächter blieb uns im Halse stecken und wandelte sich immer wieder in Wut. "

    Es mag für Heidemann selbst die größte Überraschung gewesen sein, dass sein vermeintlicher Coup bei den Verlagsoberen auf so fruchtbaren Boden fiel. Wie sind heute, 25 Jahre danach, die Spätfolgen zu bewerten? Noch einmal hat der Stern den größten Flop der deutschen Pressegeschichte im eigenen Blatt durch Michael Seufert wiederbelebt. Zeichen für eine bewältigte Vergangenheit?

    " Es gehört einfach mit zur Geschichte des Stern, diese große Pleite, wie es zur Geschichte des Stern gehört, unvergessene Geschichten veröffentlicht zu haben wie, 'Ich habe abgetrieben' oder der Einsatz für die neue Ostpolitik oder für Datenschutz, das gehört eben auch zur Geschichte des Stern, und ich glaube, der Stern hat diese Lektion gründlich gelernt, und nach 25 Jahren ist ja kein Verantwortlicher mehr im Verlag oder in der Redaktion, und das hat mit dem Stern heute aktuell nichts mehr zu tun, es gehört aber zur Geschichte des Stern. "