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Der große Unterschied. Gegen die Spaltung von Menschen in Männer und Frauen

Das Buch beginnt und endet mit einem Traum der Verfasserin: Auf den ersten Seiten skizziert die 1942 geborene Feministin das Bild einer Frau, die ohne ständige Angst vor Gewalt leben und ihren Beruf ungehindert ausüben kann. Die Autorin beschreibt einen Mann, der neben einer Frau auf einer Parkbank sitzt und sein weibliches Gegenüber jenseits der Geschlechterrolle wahrnimmt und respektiert. Adam und Eva zusammen im Park: Wer hier wen verführt und ob nun Eva aus der Rippe Adams stammt oder umgekehrt das sollte irgendwann keine Rolle mehr spielen. Alice Schwarzer stellt das happy end im Geschlechterkampf an den Anfang ihres Buches. Doch die paradisische Vision vom gleichberechtigten Zusammenleben von Mann und Frau ist bis jetzt noch nicht Realität. Wir seien zwar der Hölle der präemanzipatorischen `Heimchen am Herd- Ära` entkommen !- doch Grund zur Beruhigung gibt es noch lange nicht:

Claudia Cosmo |
    "Ich träume von einer Welt, und ich glaube, ich bin nicht die einzige, in der dieser winzige biologische Unterschied, den es zwischen uns gibt, dieses eine Chromosom, nicht länger Vorwand ist für die Zuweisung sehr unterschiedlicher Rollen in der Welt. Da ist ja in den letzten 30 Jahren viel passiert, aber man schafft nicht in 30 Jahren 4000 Männergesellschaft. Das Verhältnis zwischen den Geschlechtern ist ein Machtverhältnis. Der erste Schritt, das zu ändern, ist das einzugestehen."

    Macht, Gewalt, Sex und Erniedrigung gehören zu den Schlüsselworten, die sich durch alle sechs Kapitel des Buches ziehen. Persönliche Erfahrungswerte und Beobachtungen belegt Alice Schwarzer durch repräsentative Statistiken und Forschungsergebnisse. Die Aussage, die gegen Frauen ausgeübte Männergewalt sei der Kern für das Machtverhältnis zwischen beiden, wird zum Beispiel durch eine UNO- Statistik bekräftigt: Darin heißt es, daß 99% der Welt im Besitz von Männern sei.

    Daher ist der noch vor 25 Jahren konstatierte kleine, biologische Unterschied im Jahr 2000 zum großen mutiert. Dieser große Unterschied sei nicht von Natur aus gegeben, sondern künstlich geschaffen. Durch verinnerlichte geschlechtsspezifische Verhaltensweisen, ist es scheinbar immer noch so, daß der Mann entscheidet und die Frau duldend reagiert. Um sich aber dem Vorwurf der Generalisierung zu entziehen, hat Alice Schwarzer stets Positivbeispiele zur Hand. Unter den Männern gibt es auch diejenigen, die den Frauen keine Steine in den Weg legen wollen:

    "Ich sehe so eine Art 3/3 - Männergesellschaft. Das erste Drittel findet, Frauen sind auch Menschen und ist bereit mitzuziehen. Das zweite Drittel schlawinert sich so durch. Das dritte Drittel hat verstanden und hält ganz hart dagegen. Ich würde gern dazu beitragen, den Frauen Mut zu machen, auf das erste Drittel zu setzen und das zweite drittel vielleicht noch ranwachsen zu lassen. Das dritte Drittel, diese Machos, die muß man einfach aussterben lassen, die lohnen sich nicht."

    Da `Der Große Unterschied` nicht nur eine Bilanz über 30 Jahre Frauenemanzipation darstellt, sondern auch einen Anstoß zum Umdenken geben soll, analysiert die Verfasserin nicht nur das Fehlverhalten der Männer. Auch die Frauen werden zur Verantwortung gezogen. Durch das sogenannte `Präsidentin Barbie- Dilemma` tragen die Frauen dazu bei, daß die Kluft zwischen den Geschlechtern größer wird: Genauso wie die dürre Plastikpuppe wollen Frauen Karriere machen, auf eigenen Beinen stehen, aber gleichzeitig den Männern gefallen. Das führt langfristig zu Rivalitäten unter den Frauen und verhindert gleichzeitig die Chancen auf Gleichberechtigung. Denn was gefällt entscheiden die Männer:

    "Eine amerikanische Feministin hat einmal gesagt, der erste Schritt, den wir jetzt zu machen haben, ist der der Versöhnung unter den Frauen. Es gibt Frauen, die hoffen bei den Männern anzukommen, indem sie sich von anderen Frauen distanzieren und sie sogar verraten. Ich finde, daß diese Frauen tragische Fälle sind. Meine Lebenserfahrung hat mir gezeigt, daß die Männer diese Art von Frauen zwar benutzten, aber nicht achten."

    Alice Schwarzer Talent ist es, komplexe Sachverhalte in einem angenehmen Plauderton zu vermitteln. Sie spannt den Bogen von der Diskussion über Abtreibung in den 70er Jahren bis hin zur pseudo- Girlie- Bewegung Ende der 90er und wehrt sich nach Kräften gegen den häufigen Vorwurf, sie habe die Sache mit der Frauendiskriminierung bloß erfunden. Daß dem so nicht ist zeigt Alice Schwarzer durch den Bezug auf ihre Wegbegleiterin und Freundin Simone de Beauvoir. Die Autorin des `anderen Geschlechts` erkannte schon damals, daß die Ehe und der Entschluß Kinder zu bekommen für die Frau meist der Weg in die Unfreiheit und Unterdrückung darstellen kann.

    Im schockierenden Teil des Buches kommt das Thema Sexualgewalt zur Sprache. Schwarzer berichtet über Prostitution, Geschlechtsverstümmelung und Frauenmord. Schwarzers Kampfansage gilt der Pornographie. Dem Fotografen Helmut Newton liest sie die Levithen. Seine Aufnahmen zelebrierten die Lust an Gewalt. Bei ihm ginge es auch nur- ich zitiere- ums Bumsen, rammeln und Ficken.

    "Pornographie hat nichts mit Sexualität oder Erotik zu tun. Pornographie ist die Verknüpfung von Lust auf Sex mit Lust auf Erniedrigung und Lust auf Gewalt. Pornographie ist die Propagierung von Frauen- und Kinderhaß. Und ich meine, daß der Frauen- und Kinderhaß genauso ernst genommen werden muß wie der Antisemitismus und der allgemeine Fremdenhaß."

    `Der große Unterschied` soll in erster Linie jungen Frauen Mut machen, ihren Lebensweg selbstbewußt zu bestreiten, indem sie von der älterer Frauengeneration lernen. Es geht Alice Schwarzer in ihrem Buch nicht in erster Linie darum, Statistiken miteinander zu vergleichen, um dann zu dem Ergebnis zu kommen, daß die Probleme der Frauen immer noch die gleichen sind. Vielmehr ist `Der große Unterschied` so eine Art Orientierungsbasis. Denn je besser Frauen über vorherrschende Formen von Diskriminierungen informiert sind, desto besser können sie reagieren. Alice Schwarzer sieht nicht die Notwendigkeit wie vor 30 Jahren eifrig Frauenzentren zu eröffnen, aber sie wünscht sich und uns für die Zukunft ein neues Zusammenhalten:

    "Ich setze sehr auf die jungen Frauen. Ich finde das ganze Gerede, sie seien unpolitisch ganz und gar haltlos. Und es ist an uns, an der Generation, die schon einiges erlebt hat, ihnen zu sagen: Achtung ! Hier könnt ihr von uns lernen und fangt nicht wieder von Null an, stellt euch auf unsere Schulter. Ich hoffe, daß das Buch dazu beiträgt. Ich sehe es auch als Schulterschluß zwischen den Frauengenerationen... und ein Brückenschlag zu den Männern."

    Alice Schwarzers Buch `Der große Unterschied` ist ein Mix aus Sachbuch, kämpferischem Essay und psychosozialer Analyse. Für Leserinnen eine Ermutigung und für Männer eine Aufforderung, sich für die Sache der Frauen stark zu machen. Fazit: Trotz aller Fortschritte im Verhältnis von Frau und Mann ist der große Unterschied zwischen den Geschlechtern noch nicht beseitigt.

    Alice Schwarzer erscheint ihren Leserinnen nicht mehr so verbittert wie einst. Sie schlägt versöhnliche Töne an. Und uns jüngeren Frauen gegenüber nimmt sie eine geradezu mütterliche Haltung ein.