Sandra Schulz: Milliarden war einmal die Größenordnung für Rettungspakete; Billion, das ist die neue Dimension. Gestern auf dem Treffen der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer in London, dem G-20-Gipfel, vereinbarten die Staats- und Regierungschefs, sich mit mehr als einer Billion Dollar gegen die Krise zu stemmen. Künftig soll es auch eine bessere Kontrolle der Finanzmärkte geben.
Sind es die richtigen Lehren, die die G-20 gezogen haben? Darüber hat mein Kollege Reinhard Bieck gestern im "Journal vor Mitternacht" mit Heiner Flassbeck gesprochen, dem Chefvolkswirt der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in Genf (UNCTAT). Seine erste Frage war, ob nun alles besser werde.
Heiner Flassbeck: Ein bisschen was wird vielleicht besser, aber historisch war das in meinen Augen nicht. Man hat etwas für die Entwicklungsländer erreicht. Das ist ja immerhin schon etwas, darüber will ich nicht klagen, obwohl bei diesen Mitteln, die der Internationale Währungsfonds gibt, hängt es sehr stark davon ab, wie die vergeben werden, ob die mit negativen Konditionen sozusagen versehen werden oder mit Konditionen, wo die Länder etwas tun müssen, was im Moment ganz falsch ist, nämlich ihre Konjunktur zusätzlich abwürgen. Das ist nämlich der Normalfall beim Internationalen Währungsfonds. Insofern muss man da vorsichtig sein.
Dann haben sie, was positiv ist durch die Bank, diese Sonderziehungsrechte. Das ist nämlich Kredit ohne Konditionen, also ohne solche negativen Begleiterscheinungen. Das ist aber nicht so sehr viel. Und dann gibt es noch ein paar andere Sachen, die nicht so ganz klar sind. Man will nichts mehr unüberwacht lassen. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet. Das ist jedenfalls keine besonders weitreichende Maßnahme. Und dass man die Steueroasen jetzt aufdecken will, hat mit der Finanzkrise, sage ich mal ganz brutal, überhaupt nichts zu tun. Das ist etwas, was die Politiker gut finden und lieben, aber mit der Bekämpfung der Finanzkrise hat das nun unmittelbar überhaupt nichts zu tun.
Reinhard Bieck: Herr Flassbeck, die Zahl fünf Billionen Dollar bis 2010, diese Zahl übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Die gesamte Jahresproduktion der deutschen Automobilindustrie könnte man für schlappe 300 bis 500 Milliarden kaufen. Können Sie diese Summe fünf Billionen Dollar für uns in eine irgendwie nachvollziehbare Relation setzen?
Flassbeck: Na ja, das gesamte Bruttosozialprodukt der Erde liegt etwa bei 50 Billionen. Das sind also zehn Prozent. Über ein paar Jahre verteilt ist das nicht so gewaltig. Dazu hat man auch alles zusammengezählt, was man irgendwie tut - so sehe ich das jedenfalls im Moment -, also auch Bürgschaften und Ähnliches, was man eigentlich nicht so zusammenrechnen darf. Da sind auch Äpfel und Birnen miteinander vermischt. Da muss man sehr vorsichtig sein. Das klingt gewaltig, aber es ist in Wirklichkeit gar nicht so gewaltig.
Bieck: Trotzdem ist es ja eine ungeheuere Summe und wenn Staaten so viel Geld in die Hand nehmen, dann kann man ja die Sorge haben, dass nicht viel mehr dabei herauskommt als Inflation. Teilen Sie diese Sorge?
Flassbeck: Nein, diese Sorge ist völlig unberechtigt. Was die Welt im Moment tut ist ja der Kampf gegen eine Deflation, und das ist die große Gefahr auch weiterhin. Trotz dieser fünf Billionen ist die große Gefahr eine Deflation, in die die Weltwirtschaft rutschen könnte. Man sieht es in Europa, man sieht es in Japan, man sieht es überall, dass wir in der Gefahr sind, jetzt mit steigender Arbeitslosigkeit zumal noch weiter in einen Preisrutsch zu geraten, aus dem dann ganz schwer rauszukommen ist.
Warum? - Weil dann auch irgendwann die Löhne sinken. Aber das ist genau das falsche, wenn die Unternehmen anfangen, die Löhne zu senken. Das ist aus ihrer eigenen Sicht vielleicht verständlich, aber gesamtwirtschaftlich ist das der Weg in die Katastrophe und da muss man dagegenhalten. Man muss jetzt verhindern, dass solche deflationären Akte sich wiederholen, denn sonst, wenn wir mal wirklich in die Deflation geraten und diese Deflation dann auch eine Lohndeflation ist, also Lohnsenkung, dann braucht man viel mehr als fünf Billionen, um da wieder rauszukommen.
Bieck: Was halten Sie denn vom Zeitpunkt dieser Entscheidung? Hat man aufgrund der bereits beschlossenen Konjunkturpakete in den einzelnen Staaten schon genügend Erfahrungen, dass es sich wirklich lohnt, das Geld in die Wirtschaft zu pumpen?
Flassbeck: Na ja, "lohnt" ist eine komische Kategorie. Man muss ja versuchen, von Vornherein zu verhindern, dass die Krise zu einer Depression wird, und ob sich das lohnt, wird man hinterher sehen. Aber jedenfalls muss man als Risikovorsorge so etwas tun. Von "lohnen" kann dann sowieso nicht die Rede sein. Wenn die Staaten vernünftige Dinge tun, sagen wir investieren in Bildung und Umwelt und sonst was, dann sind das ja auch nur vorgezogene Investitionen, die man sonst später gemacht hätte. Insofern ist das nicht so dramatisch.
Wir müssen einfach sehen: Es ist ein großes Spielkasino zusammengebrochen. Unendlich viele Leute auf der Welt sind überschuldet, vor allem diese Spieler, diejenigen, die sich da in Spielen mit Schulden engagiert haben, und das muss jetzt irgendwie wieder repariert werden. Darüber kann man klagen, man kann sagen, dafür geben wir jetzt staatliches Geld aus, aber es geht kein Weg daran vorbei.
Nur wir müssen was daraus lernen, und das fehlt mir auf diesem Londoner Gipfel, denn davon, dass man jetzt die Kasinos schließen will, dass man sagen will, nichts mehr mit Währungsspekulationen, mit Rohstoffspekulationen, nichts mehr mit kreditfinanzierter Aktienspekulation oder Ähnliches, davon ist überhaupt nicht die Rede. Diese Märkte sind nicht mal erwähnt. Auch der schöne deutsche Heuschreckenmarkt ist nicht erwähnt, also diese Private Equity Fonds oder Ähnliches, alles nicht erwähnt.
Es wird nur gesagt, ja, die Hedgefonds will man ein bisschen mehr überwachen, aber das Überwachen alleine hilft ja nicht. Man hat ja gesehen: Banken haben auch gespielt, sogar öffentliche Banken haben gespielt. Man muss das Spielen beenden; die Überwachung alleine reicht überhaupt nicht aus.
Bieck: Wie hätte denn ein Londoner Abschlusskommuniqué aus der Feder von Heiner Flassbeck ausgesehen?
Flassbeck: Das hätte völlig anders ausgesehen. Das wäre sehr viel kürzer gewesen. Das hätte gesagt, wir setzen jetzt eine hochrangige unabhängige Expertengruppe ein, die systematisch dafür sorgt, dass alle reinen Kasinoaktivitäten auf dieser Welt erst mal beschrieben, auch angeschrieben werden auf das schwarze Brett und dann früher oder später oder relativ schnell beseitigt werden, und wir hätten eine koordinierte Aktion der Länder gemacht, auch abhängig von ihrer außenwirtschaftlichen Situation, Defizitländer und Überschussländer etwas abgestimmt, um die Krise zu überwinden. Man hätte auch über Zinsen und Wechselkurse geredet und auch über Rohstoffpreisstabilisierung und Ähnliches. Also es hätte sehr viel anders ausgesehen. Ich glaube, das war nicht der große Wurf, historisch war es mit Sicherheit nicht.
Schulz: Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, im Deutschlandfunk-Interview. Die Fragen stellte Reinhard Bieck.
Sind es die richtigen Lehren, die die G-20 gezogen haben? Darüber hat mein Kollege Reinhard Bieck gestern im "Journal vor Mitternacht" mit Heiner Flassbeck gesprochen, dem Chefvolkswirt der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung in Genf (UNCTAT). Seine erste Frage war, ob nun alles besser werde.
Heiner Flassbeck: Ein bisschen was wird vielleicht besser, aber historisch war das in meinen Augen nicht. Man hat etwas für die Entwicklungsländer erreicht. Das ist ja immerhin schon etwas, darüber will ich nicht klagen, obwohl bei diesen Mitteln, die der Internationale Währungsfonds gibt, hängt es sehr stark davon ab, wie die vergeben werden, ob die mit negativen Konditionen sozusagen versehen werden oder mit Konditionen, wo die Länder etwas tun müssen, was im Moment ganz falsch ist, nämlich ihre Konjunktur zusätzlich abwürgen. Das ist nämlich der Normalfall beim Internationalen Währungsfonds. Insofern muss man da vorsichtig sein.
Dann haben sie, was positiv ist durch die Bank, diese Sonderziehungsrechte. Das ist nämlich Kredit ohne Konditionen, also ohne solche negativen Begleiterscheinungen. Das ist aber nicht so sehr viel. Und dann gibt es noch ein paar andere Sachen, die nicht so ganz klar sind. Man will nichts mehr unüberwacht lassen. Ich weiß nicht genau, was das bedeutet. Das ist jedenfalls keine besonders weitreichende Maßnahme. Und dass man die Steueroasen jetzt aufdecken will, hat mit der Finanzkrise, sage ich mal ganz brutal, überhaupt nichts zu tun. Das ist etwas, was die Politiker gut finden und lieben, aber mit der Bekämpfung der Finanzkrise hat das nun unmittelbar überhaupt nichts zu tun.
Reinhard Bieck: Herr Flassbeck, die Zahl fünf Billionen Dollar bis 2010, diese Zahl übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Die gesamte Jahresproduktion der deutschen Automobilindustrie könnte man für schlappe 300 bis 500 Milliarden kaufen. Können Sie diese Summe fünf Billionen Dollar für uns in eine irgendwie nachvollziehbare Relation setzen?
Flassbeck: Na ja, das gesamte Bruttosozialprodukt der Erde liegt etwa bei 50 Billionen. Das sind also zehn Prozent. Über ein paar Jahre verteilt ist das nicht so gewaltig. Dazu hat man auch alles zusammengezählt, was man irgendwie tut - so sehe ich das jedenfalls im Moment -, also auch Bürgschaften und Ähnliches, was man eigentlich nicht so zusammenrechnen darf. Da sind auch Äpfel und Birnen miteinander vermischt. Da muss man sehr vorsichtig sein. Das klingt gewaltig, aber es ist in Wirklichkeit gar nicht so gewaltig.
Bieck: Trotzdem ist es ja eine ungeheuere Summe und wenn Staaten so viel Geld in die Hand nehmen, dann kann man ja die Sorge haben, dass nicht viel mehr dabei herauskommt als Inflation. Teilen Sie diese Sorge?
Flassbeck: Nein, diese Sorge ist völlig unberechtigt. Was die Welt im Moment tut ist ja der Kampf gegen eine Deflation, und das ist die große Gefahr auch weiterhin. Trotz dieser fünf Billionen ist die große Gefahr eine Deflation, in die die Weltwirtschaft rutschen könnte. Man sieht es in Europa, man sieht es in Japan, man sieht es überall, dass wir in der Gefahr sind, jetzt mit steigender Arbeitslosigkeit zumal noch weiter in einen Preisrutsch zu geraten, aus dem dann ganz schwer rauszukommen ist.
Warum? - Weil dann auch irgendwann die Löhne sinken. Aber das ist genau das falsche, wenn die Unternehmen anfangen, die Löhne zu senken. Das ist aus ihrer eigenen Sicht vielleicht verständlich, aber gesamtwirtschaftlich ist das der Weg in die Katastrophe und da muss man dagegenhalten. Man muss jetzt verhindern, dass solche deflationären Akte sich wiederholen, denn sonst, wenn wir mal wirklich in die Deflation geraten und diese Deflation dann auch eine Lohndeflation ist, also Lohnsenkung, dann braucht man viel mehr als fünf Billionen, um da wieder rauszukommen.
Bieck: Was halten Sie denn vom Zeitpunkt dieser Entscheidung? Hat man aufgrund der bereits beschlossenen Konjunkturpakete in den einzelnen Staaten schon genügend Erfahrungen, dass es sich wirklich lohnt, das Geld in die Wirtschaft zu pumpen?
Flassbeck: Na ja, "lohnt" ist eine komische Kategorie. Man muss ja versuchen, von Vornherein zu verhindern, dass die Krise zu einer Depression wird, und ob sich das lohnt, wird man hinterher sehen. Aber jedenfalls muss man als Risikovorsorge so etwas tun. Von "lohnen" kann dann sowieso nicht die Rede sein. Wenn die Staaten vernünftige Dinge tun, sagen wir investieren in Bildung und Umwelt und sonst was, dann sind das ja auch nur vorgezogene Investitionen, die man sonst später gemacht hätte. Insofern ist das nicht so dramatisch.
Wir müssen einfach sehen: Es ist ein großes Spielkasino zusammengebrochen. Unendlich viele Leute auf der Welt sind überschuldet, vor allem diese Spieler, diejenigen, die sich da in Spielen mit Schulden engagiert haben, und das muss jetzt irgendwie wieder repariert werden. Darüber kann man klagen, man kann sagen, dafür geben wir jetzt staatliches Geld aus, aber es geht kein Weg daran vorbei.
Nur wir müssen was daraus lernen, und das fehlt mir auf diesem Londoner Gipfel, denn davon, dass man jetzt die Kasinos schließen will, dass man sagen will, nichts mehr mit Währungsspekulationen, mit Rohstoffspekulationen, nichts mehr mit kreditfinanzierter Aktienspekulation oder Ähnliches, davon ist überhaupt nicht die Rede. Diese Märkte sind nicht mal erwähnt. Auch der schöne deutsche Heuschreckenmarkt ist nicht erwähnt, also diese Private Equity Fonds oder Ähnliches, alles nicht erwähnt.
Es wird nur gesagt, ja, die Hedgefonds will man ein bisschen mehr überwachen, aber das Überwachen alleine hilft ja nicht. Man hat ja gesehen: Banken haben auch gespielt, sogar öffentliche Banken haben gespielt. Man muss das Spielen beenden; die Überwachung alleine reicht überhaupt nicht aus.
Bieck: Wie hätte denn ein Londoner Abschlusskommuniqué aus der Feder von Heiner Flassbeck ausgesehen?
Flassbeck: Das hätte völlig anders ausgesehen. Das wäre sehr viel kürzer gewesen. Das hätte gesagt, wir setzen jetzt eine hochrangige unabhängige Expertengruppe ein, die systematisch dafür sorgt, dass alle reinen Kasinoaktivitäten auf dieser Welt erst mal beschrieben, auch angeschrieben werden auf das schwarze Brett und dann früher oder später oder relativ schnell beseitigt werden, und wir hätten eine koordinierte Aktion der Länder gemacht, auch abhängig von ihrer außenwirtschaftlichen Situation, Defizitländer und Überschussländer etwas abgestimmt, um die Krise zu überwinden. Man hätte auch über Zinsen und Wechselkurse geredet und auch über Rohstoffpreisstabilisierung und Ähnliches. Also es hätte sehr viel anders ausgesehen. Ich glaube, das war nicht der große Wurf, historisch war es mit Sicherheit nicht.
Schulz: Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung, im Deutschlandfunk-Interview. Die Fragen stellte Reinhard Bieck.
