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Der gute Hacker aus Berlin

Mit dem Portal WikiLeaks, der Person Julian Assange und anderen Whisteblowern sind einige handfeste Staatsaffären verbunden. Bester Stoff also für Hollywood, den Regisseur Bill Condon für seinen Film "Inside WikiLeaks" verarbeitete. Mit dabei: der deutsche Schauspieler Daniel Brühl.

Von Hartwig Tegeler | 30.10.2013
    Das ist die Geschichte: ehemaliger australischer Hacker namens Julian Assange gründet Internet-Plattform für Whistleblower.

    "Also, was ist der neue Leak, den Sie im Ärmel haben? Muss was Wichtiges sein bei so viel Interesse der CIA."

    Julian Assange, charismatisch, besessen. Sein engster Mitarbeiter - Daniel Domscheit-Berg - genialer Techniker mit intaktem ethisch-moralischem Fundament. Auf deren engste Zusammenarbeit folgen Verwerfungen, Streits, das Zerwürfnis. Der eine sitzt am Ende ungebrochen im Exil der ecuadorianischen Botschaft in London. Der andere bekommt die Hübsche, die ihn immer schon vor dem Australier gewarnt hatte. - Die Geschichte. Des Spielfilms.

    Wer ist Julian Assange? Was ist seine historische Bedeutung? - Eine schwierige Frage, umso komplizierter, wenn sie nicht nur in, sondern mit einem Spielfilm gestellt und versuchsweise beantwortet wird. Wobei, nicht zu vergessen: Die zentralen Veröffentlichungen von WikiLeaks über den Afghanistan- und Irakkrieg gerade mal drei Jahre zurückliegen. 2010. "Inside WikiLeaks", der Film, erzählt seine Geschichte basierend auf den Büchern von Domscheidt-Berg und zweier britischer Journalisten entlang der Fakten - sind die schon gesichert oder eher noch nicht? -, gleichzeitig ist dies aber auch ein Thriller in der Tradition von Alan J. Pakulas "Die Unbestechlichen", dem Film über den Watergate-Skandal von Anfang der 1970er Jahre mit Robert Redford und Dustin Hoffman.

    "Die wollen uns platt machen. Los raus aus Skype. Alles abschalten. - Alle Telefone aus!"

    Wer ist Julian Assange? Welche historische Bedeutung hat WikiLeaks? Man könnte die Frage, angesichts dieses Films, aber auch anders stellen: Was bleibt zurück nach dem Spielfilm "Inside WikiLeaks"? Was gräbt sich ein?
    Zunächst das Gesicht des Schauspielers, der einen genialen wie hochgradig neurotischen Sherlock Holmes darstellte, der als Bösewicht im letzten "Star Trek"-Film Kirk, Spock, Scotty und Uhura genüsslich an die Wand spielte: Benedict Cumberbatch, der Julian Assange in "Inside WikiLeaks" als egomanischen wie genialen Aktivisten "gibt". Aber den Sherlock-Holmes- und Star-Treck-Touch kann Cumberbatch mit seinen weißen Assange-Haaren eben doch am Ende nicht loswerden.

    "Wir gewinnen einen Informationskrieg, der weit bedeutender ist als unsere bisherigen Allianzen mit den Mainstream-Medien. Und du willst das alles wegwerfen, weil du Angst hast, dass ein US-Informant vielleicht zu Schaden kommt."

    "Es geht immer um Menschen, Julian, und ihr Leben steht auf dem Spiel."

    Was bleibt noch hängen? Daniel Brühl, klar, als Daniel Domscheit-Berg, der gute Hacker aus Berlin mit diesem danielbrühlschen "guter wie empörter Schwiegersohn"-Touch.

    "Ich dachte, es ginge um den Schutz von Whistleblowern."

    Und dann bleibt da noch zurück der emotionale Eindruck einer Szene, eigentlich nur am Rande, aber eine mit Laura Linney und Stanley Tucci. Beide sind im Film als Mitarbeiter der US-Administration sozusagen Assanges größte Gegner in diesem großen Informationskrieg. Sie sind im Film an sich Nebenfiguren. Und trotzdem - hat das mit dem Spiel von Tucci und Linney zu tun, mit einer Frisur, einem Lächeln, einer Berührung, wer weiß? -, trotzdem rührt diese Szene emotional an, wenn Laura Linney wegen der Assange-Veröffentlichungen ihren Job in Washington verliert und mit Kollege Stanley Tucci in ihrem leer geräumten Büro einen letzten Whiskey trinkt. Spätestens hier wird klar, wie die emotionale Wirkung eines Spielfilms schwer zu kontrollieren ist, wo scheinbar Nebensächliches auf einmal Wucht bekommt. Es geht gar nichts anders, wie brisant die Ereignisse auch sein mögen, welche politische Bedeutung sie auch haben mögen: Im Spielfilm werden sie psychologisiert. Und so läuft am Ende hier alles, die ganze Geschichte von WikiLeaks, schlicht auf die Frage nach der Größe des Egos von Julian Assange hinaus.

    "Das sind Informationen, die die Welt wissen muss. Also, wenn du das nächste Mal glaubst, mich belehren zu müssen über diese Organisation, versuch dich bitte zu erinnern, wieso ich sie gegründet habe. Und wieso ich dich eingestellt habe als Hilfe für mich."

    Spielfilm ist Emotion, kann nicht anders sein. Aber was ist das für ein Film, in dem ein letzter Whiskey zweier Arbeitskollegen intensiver nachwirkt als dieses Video, das wir im Film nur als Schnipsel sehen. Dieses von WikiLeaks veröffentlichte grauenhafte, brutale Video aus einem Apache-Kampfhubschrauber im Irak, in dem ja gezeigt wurde, wie US-Kampfpiloten wie in einem Computerspiel gnadenlos Zivilisten abknallen. Das ganz zu zeigen - ungeschnitten -, das hätte die Erzähl-Dramaturgie von "Inside WikiLeaks - Die fünfte Gewalt" vollkommen aus dem Ruder geworfen. Nur hätte das diesem bemühten und letztendlich vollkommen unpolitischen Thriller, den wir jetzt zu sehen bekommen, es hätte ihm ziemlich gut getan!