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Der gute Mann für gutes Geld

Am 31. Januar 2006 wird US-Notenbankchef Alan Greenspan durch Ben Bernanke, einen Wirtschaftsprofessor aus Princeton, ersetzt. Eine Ära geht zu Ende. Über 18 Jahre leitete Greenspan die Geschicke der weltgrößten Volkswirtschaft, ohne sich je auf ein kompromisslerisches Minimum reduzieren zu lassen.

Von Beatrice Uerlings |
    Blitzumfrage vor dem neoklassizistischen Säulentempel der US-Notenbank FED in Washington.

    "He ist the superstar of finances! Without him, the world would be in a bad shape, you know…"

    So willkürlich die Stichprobe auch sein mag: Sie bestätigt alle Umfragen, die je über Alan Greenspan gemacht wurden und die - während dessen 18-jähriger Amtszeit - eine erstaunliche Konsistenz bewahrt haben: Drei Viertel der Amerikaner betrachten den scheidenden Notenbankchef als den weltweit zweitwichtigsten Mann nach dem US-Präsidenten. Ebenso viele behalten seine Amtsperiode als eine Zeit des Wohlstands in Erinnerung.

    Auch bei den Börsianern, Bänkern und Volkswirten genießt der 79-Jährige einen Kultstatus, wie ihn kein Notenbankchef der Welt je erreicht hat.

    Wenn Greenspan in der für ihn so typischen Schildkrötenhaltung den Hals nach vorne streckte und durch die Glasbausteine seiner Hornbrille vom Rednerpult herab ins Publikum blickte, schaute die globale Finanzwelt zu ihm auf. Obwohl das Jahresgehalt des Notenbankchefs mit umgerechnet 150.000 Euro gerade zu lächerlich war, gemessen an den Vergütungen der Investmentbroker, wurde jeder Halbsatz, den seine schmalen Lippen dahinnuschelten, ehrfürchtig empfangen, interpretiert, gewogen und gedeutet. Seine Verdikte konnten die Märkte rund um den Globus aus den Angeln heben.

    Anirvan Banerji hat bei denselben Uniprofessoren studiert wie Greenspan. Der New Yorker Konjunkturforscher spricht mit einer fast sakral anmutenden Ehrfurcht von seinem Kommilitonen. Er nennt ihn den "Chairman", als ob es sich um Mao höchstpersönlich handle.

    "Greenspan hat sich als ausgezeichneter Krisenmanager bewährt. Er steuerte Amerika erfolgreich durch den Börsencrash von 1987 und verhinderte 1998, dass der Zusammenbruch des russischen Hedge-Fonds LTCM die Stabilität des Weltfinanzsystems ins Wanken brachte. Immer dann, wenn es brenzlig wurde, sicherte er die Liquidität an den Märkten. Für ihn spricht außerdem: Er erkannte früher als alle, dass aufgrund der hohen Produktivität in den 90ern keine Zinserhöhungen nötig waren, um die Inflation im Zaum zu halten. Dadurch hat er die Grundlage für den längsten Aufschwung der US-Geschichte gelegt: Unsere Wirtschaft ist von 1991 bis 2001 stetig gewachsen, ganze zehn Jahre lang! "
    So viel Popularität und Lob für einen Mann, den Kraft seines Amtes eher der Nimbus eines Steuereintreibers umgeben müsste. Greenspan hat selber stets aktiv an seinem Mythos mitgearbeitet. Um ihn ranken sich viele Legenden. Eine besagt, dass er schon mit fünf Jahren dreistellige Beträge im Kopf addieren konnte. Eine andere, dass er sich am liebsten in heißem Badewasser mit den aktuellen Statistiken beschäftigt.

    Mindestens ebenso unkonventionell war die Art, wie der Notenbankchef sich ausdrückte: Da alle Welt gespannt auf sein Wort wartete, sprach er oft so, dass niemand ihn verstand. Keiner seiner Sätze, der nicht mindestens zwei Nebensätze zählte. Und so verklausuliert, so kryptisch waren seine Kommentare, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk Amerikas sich auf seinen Bildungsauftrag besann: Einmal im Monat wurden die US-Hörer dazu aufgefordert, den komplizierten "Greenspeak" in normalverständliches Englisch zu übersetzen.
    Greenspan hat nie versucht, die verbalen Rauchschwaden abzulegen. "Wenn meine Aussagen Ihnen ungewöhnlich klar erscheinen, dann haben Sie mich zweifellos missverstanden", erklärte er bereits 1987 bei seiner Antrittsrede. Wohlwissend vielleicht, dass sich just durch das Wortgewirr nachträglich immer etwas in seinen Texten finden ließ, was als zutreffende Voraussage ausgelegt werden konnte.

    So geschehen Ende der 90er Jahre, auf dem Höhenflug der Aktienspekulationen: Greenspan warnte vor einer "irrationaler Überschwänglichkeit" der Märkte. Bald danach platzte die Blase. Das "Orakel von Washington" war geboren. Und mit ihm ein Medienrummel, wie ihm kein FED-Chef zuvor ausgesetzt war.

    Jedes Mal, wenn der "Offenmarktausschuss" der FED über den nächsten Zinsschritt beriet, achteten die Journalisten auf jeden Schritt und jede Geste des obersten Währungshüters. Da dieser keine Interviews gab, wollten sie wenigstens den Hauch einer Ahnung von dem erhaschen, was er vorhatte. Manche schworen auf "Aktologie": Federte Greenspan mit einer dünnen Aktentasche elastisch die Stufen hinauf - gut so, keine Zinserhöhung. Eine fette Aktentasche hingegen drohte fette Papiere an, mit der Nachricht, dass das Geld teurer wird.

    Der Offenmarktausschuss ist das wichtigste Gremium der FED. Es besteht aus dem Notenbankchef und sieben Gouverneuren, die alle sechs Wochen im neoklassizistischen Washingtoner Eccles Building tagen, um die Geld- und Währungspolitik des Landes festzulegen. Die Treffen finden hinter verschlossenen Türen statt, an einem ovalen, zehn Meter langen Mahagonitisch. Das Prozedere erfolgt nach strengen, anachronistisch anmutenden Regeln. Will einer der Gouverneure das Wort ergreifen, muss er ein Winkzeichen geben, ehe er sein Anliegen kundtun darf.

    Laurence Meyer hat sechs Jahre lang mitgewinkt. Manchmal, lacht der 62-Jährige, habe er wirklich den Eindruck gehabt, Teil eines Tempelrituals zu sein. Die Ironie: Zum Zeitpunkt der Sitzung war bereits alles ausgemacht.

    "Ein Notenbankchef bestellt die Gouverneure schon am Tag vorher zum Rapport, um ihre Ansichten zu sondieren und ihnen seine Empfehlung auszusprechen. Der Grund: Einem ungeschriebenen Traditionsgesetz der FED zufolge müsste er zurücktreten, wenn die Mehrheit der Gouverneure sich während des offiziellen Zinstreffens gegen ihn ausspricht. Deshalb stellt er vorab sicher, dass alle auf seiner Seite sind!"

    Meyer galt als einer der kritischsten Währungshüter aus dem Greenspan-Gefolge. Er plädierte bereits Mitte der 90er für Zinserhöhungen, um die drohende Überhitzung der New Economy abzuwenden. Greenspan griff erst 2001 ein, als die Aktienkurse schon lange ihre Schwerkraft verloren und sich bereits Billionen Dollar an Papiervermögen in Luft aufgelöst hatten. In seinen Memoiren "A Term at the FED" lässt Meyer durchblicken, dass der Notenbankchef Zitat "vielleicht ein zu großes Übergewicht bei den Entscheidungsprozessen" eingenommen habe.

    In Sachen Recherche ließ Greenspan sich dagegen immer gerne helfen. Er führte maximal vier Telefongespräche pro Tag, den Rest des Tages studierte und analysierte er. Die FED beschäftigt 220 Volkswirte, die alle nur erdenklichen Wirtschaftsnachrichten für den obersten Währungshüter zusammentragen. Eine weitere, wichtige Informationsquelle ist das "Beige Book", in dem die zwölf der FED angehörenden Regionalbanken ihre Sicht der Wirtschaftslage wiedergeben. Die Eindrücke basieren neben Gesprächen mit regionalen Geschäftsleuten auch gerne auf subjektiven Einschätzungen. Arthur Rolnik von der Regionalbank in Minneapolis weiß:

    "Einer unserer Direktoren schaut immer, ob die Parkhäuser der großen Einkaufszentren voll sind: Wenn ja, dann ist das für ihn ein Zeichen, dass es der Wirtschaft überhaupt nicht so schlecht gehen kann, wie die Skeptiker behaupten. Das Beige Book hat die offiziellen Indikatoren schon oft eines besseren belehrt. Anfang der 90er Jahre zum Beispiel prophezeite es ein schnelles Ende der Rezession, obwohl alle Daten dagegen sprachen. Tatsächlich zog die Produktivität an und brachte den größten Wirtschaftsaufschwung der neueren Geschichte ins Rollen!"

    Auch Alan Greenspan hat oft nach Gefühl entschieden. Und er hat sich anders als die europäischen Währungshüter stets aktiv in die Volkswirtschaft eingemischt. Beim Zusammenbruch der New Economy schraubte er den Zinssatz bis auf ein Prozent hinunter, so tief wie nie zuvor. Nach den Anschlägen vom 11. September erklärte er sich dazu bereit, den Banken notfalls sogar direkt Staatsanleihen abzukaufen, um die Liquidität zu erhöhen.

    Diese Maßnahmen wider jede Regel traditioneller Geldpolitik seien ein Überbleibsel von Greenspans ursprünglichen Karriereambitionen, behauptet der Buchautor Justin Martin.

    " Er ist in einer sehr musikalischen Familie aufgewachsen und das hat ihn anfangs mehr interessiert als die Wirtschaft. Er wollte Musiker werden und spielte ein Jahr lang in einer ziemlich bekannten Jazzband: Mit Leuten wie Johnny Mandell etwa, der später viele Filmmusiken in Hollywood komponiert hat. In dieser Zeit hat Greenspan sich eine sehr wichtige Vorraussetzung für seinen späteren Job angeeignet: Sein Genie basiert darauf, dass er sich nicht nur in riesigen und ständig wachsenden Datenbergen zurechtfindet, sondern auch improvisieren kann! "

    Justin Martin gilt als der Außenstehende, der dem geheimnisvollen FED-Chef wohl am nächsten gekommen ist. Seine Biographie, die in Deutschland unter dem Titel "Der Hohepriester des Geldes" erschienen ist, beleuchtet die menschliche Seite des obersten Währungshüters. Greenspan wird als ebenso lebenslustiger wie witziger Mann dargestellt, der leidenschaftlich gerne Tennis spielt. Und es zudem immer verstand, sich mit prägenden Leuten zu umgeben. Zur Wirtschaft, so Martin, kam Greenspan durch den Einfluss der New Yorker Philosophin Ayn Rand.

    "Er hat ihr bei den Recherchen ihres Werkes "Atlas Shrugged" geholfen. Dabei hat er eine Faszination für die Freie Marktwirtschaft entwickelt. Rands Arbeiten haben Greenspan zum BWL-Studium ermuntert. Und ihm die Augen dafür geöffnet, dass der Kapitalismus nicht nur effizient und praktisch ist, sondern auch eine moralische Komponente hat: Als das einzige, mit der politischen Freiheit des Individuums vereinbare System."
    Ein paar Jahre lang arbeitete Greenspan als unabhängiger Finanzberater in Manhattan. 1967 engagierte er sich im Präsidentschaftswahlkampf für Richard Nixon. Danach übernahm er zahllose, beraterische Aufgaben bis Ronald Reagan ihn 1987 zum Notenbankchef ernannte.

    Greenspan hat fünf Präsidenten ausgehalten. Obwohl selber ein Republikaner, erlebte er seine erfolgreichsten Jahre unter dem Demokraten Bill Clinton. Sein Verhältnis zu den Bushs war dagegen immer von Spannungen geprägt. Greenspan leistete sich nicht nur ein öffentliches Zerwürfnis mit George Bush Senior, sondern hat auch dessen Sohn, den amtierenden US-Präsidenten, von Beginn an ignoriert. Noch einmal: Justin Martin.

    "George W. Bush hat sich gleich nach seinem umstrittenen, ersten Wahlsieg mit Greenspan getroffen. Im Anschluss an das Treffen gab es eine Pressekonferenz, wo der Präsident versuchte, ihn kumpelhaft zu umarmen. Der FED-Chef hat sich sofort herausgewunden und seither haben die beiden so gut wie keinen Kontakt miteinander gehabt! "

    Greenspan hat immer darauf gepocht, dass er Kraft seines Amtes jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen ist. Nie ließ er seine Leistung auf ein kompromisslerisches Minimum reduzieren wie etwa William McChesney Martin: Der einzige FED-Chef, der noch länger auf seinem Posten aushielt, wurde dereinst auf die Ranch von Lyndon B. Johnson beordert. Und ließ sich bei einer waghalsigen Autofahrt mit dem Präsidenten - 100 Stundenkilometer, Schotterstrassen! - den Vorwurf gefallen, dass er sich über die Regierung stelle.

    Eine derartige Maßregelung wäre auch für Greenspan angemessen gewesen, findet Adam Posen, Volkswirt am Institute for International Economics.

    " Die primäre Aufgabe einer Zentralbank besteht darin, die Inflation im Zaum zu halten und dadurch die Vorraussetzung für ein gesundes Wirtschaftswachstum zu schaffen. Sie muss sich natürlich auch Gedanken über Unternehmensgewinne und Beschäftigungslage machen. Aber es gibt Grenzen, die Alan Greenspan oft überschritten hat. Er hat die Regierung wegen des hohen Haushaltsdefizits getadelt und die rezenten Steuervergünstigungen kritisiert. So viel er auch davon verstehen mag: Das sind Themen die ihn nichts angehen! "

    Greenspans Nachfolger Ben Bernanke gilt ebenfalls als Individualist, der eigene Maßstäbe setzt. Der Wirtschaftsprofessor aus Princeton hat bereits für Aufsehen gesorgt, indem er vorschlug: "Die Währungshüter sollten fortan Hawaiihemden und Bermudashorts tragen, um ihre Verbundenheit mit dem öffentlichen Dienst zum Ausdruck zu bringen".

    Ernstzunehmender ist Bernankes Absicht, den Job des Notenbankchefs neu zu erfinden. Keiner weiß das besser als Adam Posen, der verschiedene Bücher mit dem designierten FED-Chef geschrieben hat.

    "Bernanke ist ein Mann der klaren Worte, der selbst die kompliziertesten Sachverhalte verständlich darstellen kann. Er hat bereits deutlich gemacht, dass er sich für eine transparentere Kommunikation bei der FED einsetzen wird. Der Personenkult, wie er um Greenspan bestand, soll ebenfalls abgeschafft werden. Bernanke will, dass fortan nicht nur der oberste Währungshüter, sondern auch die Gouverneure in der Öffentlichkeit zu Wort kommen. "

    Auch das der US-Notenbank seit jeher inhärente "Sich-leiten-Lassen" von einer Mischung aus Wissenschaft und Instinkt wird wohl bald der Vergangenheit angehören. Bernanke bekennt sich dazu, der Volkswirtschaft ein Inflationsziel vorzugeben. Als vernünftige Zielmarke für die Kerninflation nennt der Notenbankchef in spe: zwei Prozent.

    "Es geht nicht darum, dieses Inflationsziel in jedem Augenblick und mit allen Mitteln zu wahren. Es geht darum, dass die Märkte die Entscheidungen der Notenbank leichter vorhersehen können. Und in keinem Augenblick daran zweifeln müssen, dass wir langfristig für die Preisstabilität einstehen. "

    In den USA stößt der Vorschlag auf Skepsis. Die einen monieren, dass es durch eine Festlegung des Inflationsziels schwieriger wird, auf Schocks zu reagieren. Andere befürchten, dass Bernanke sich schlicht übernimmt.

    Der neue Notenbankchef tritt tatsächlich ein schwieriges Erbe an. Zwar läuft die amerikanische Wirtschaft gut. Aber das Fundament ist brüchig. Die niedrigen Zinsen der Greenspan-Ära haben einen Bauboom ausgelöst, die Preise für Wohnungen und Häuser sind geradezu explodiert, erläutert der Konjunkturforscher Anirvan Banerji.

    "Viele Amerikaner halten sie sich wegen der gestiegenen Vermögenswerte für reicher, als sie es tatsächlich sind. Und sie leisten sich folglich ein Konsumniveau, das auf Dauer nicht zu halten ist. Greenspan hat in den vergangenen Monaten zwar mit einer Folge von Zinserhöhungen gegengesteuert. Ob dies reicht, weiß aber niemand, denn es dauert eins bis zwei Jahre, ehe sich Zinserhöhungen in der Realwirtschaft niederschlagen. Bernanke muss sicherstellen, dass die Rechnung aufgeht. Das ist ein delikates Geschäft!"

    Für die Anleger macht es – zumindest historisch gesehen, - erst einmal wenig Sinn, zu viel Zeit auf die Personalie des neuen FED-Chefs zu verwenden. Eine Studie des amerikanischen Finanzdienstleisters Standard & Poor´s. besagt: Bislang ist die Börse nach einem Wechsel an der Notenbankspitze immer gestiegen. Nach Ablauf der sechs Monate stand im Schnitt ein Plus von 2 Prozent. Und ein Jahr danach dann sogar ein Wertzuwachs von zwölf Prozent.

    Außerdem: Ersatzkandidaten für Notfälle gibt es allemal: Gleich neben der Eingangspforte zum Federal Reserve Gebäude in Washington steht eine Spielkonsole, auf der die Besucher ihre geldpolitischen Fähigkeiten testen können. Was würden sie tun, wenn das Inflationsrisiko zunimmt? Der Dollarkurs steigt? Die Börsenkurse purzeln? – Wer alles richtig beantwortet, wird durch die Maschine zum nächsten US-Notenbankchef gekürt…