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"Der gute Mensch von Sezuan" ist ein Transvestit

Ein Drag-Performer als Shen Te, Götter als weiße Golden Girls: Die Regisseurin Lear de Bessonet räumt zwar mit dem Gerücht auf, dass Brechts Theater nicht erstaunlich lebendig sein kann. Deutlich mehr Provokation und Risiko hätte ihrer Inszenierung am New Yorker Public Theater jedoch gut getan.

Von Andreas Robertz |
    Shen Te wird von dem bekannten New Yorker Drag-Performer Taylor Mac gespielt, glatzköpfig und mit geschminkten Lippen, in Unterhemdchen, roter Robe und mit goldenen Pumps und Wollsocken. Er spielt Shen Te witzig und doch rührend, oft stöhnend, als wäre sein Leben nicht auch ohne die Götter schon schwer genug. Die Götter als Golden Girls in Weiß sind es längst müde geworden, immer nach diesem einen guten Menschen zu suchen. Aber da ist Wasserträger Wu alias David Turner, der den Abend zu einem Feuerwerk an Spielideen macht. Irgendwo zwischen Monthy Python, Commedia dell`Arte und Mister Bean angesiedelt, stürzt er sich in einem wahnwitzigen Schlingertempo in die Herzen der Götter, Shen Tes und des gesamten Publikums.

    Die Bühne ist voller kleiner Kartonhäuser mit Lichtern und die Beleuchtung erinnert oft mehr an einen Turnhallentheaterabend von Erstklässlern als an eine Off-Broadway-Inszenierung. Das Ensemble stolpert mit großer Energie oft haarscharf am Abgrund der Karikatur entlang, doch macht es das mit so viel Charme, dass man ihm den Abend trotzdem sofort abnimmt. Alles kann in dieser Inszenierung passieren.

    Die Band "The Lisps", die dem Publikum schon beim Einlass gehörig einheizt, packt eine Mischung aus eigenen Songs, schrägen Balladen mit Waschbrettsounds à la Tiger Lilly und Klänge, die wie im Kabuki Theater die Gesten der Schauspieler betonen, dazu, und so wird alles zu einer Art wahnwitziger Zirkusvorstellung. Und wenn am Ende Shen Te ihre berühmte und berührende Rede vor den Göttern hält, klingt es sogar ein bisschen wie bei Shakespeare.

    Bei all dem Unterhaltungswert, den der Abend von Regisseurin Lear de Bessonet hat, wird die Geschichte über den Versuch, als guter Mensch in widrigen Umständen zu leben und zu überleben, ziemlich verwässert: sozusagen Brecht light. Zwar bringt Taylor Mac Shen Tes sehr ehrliche Not glaubwürdig herüber, doch dem Widerspruch zwischen Kapitalismus und Moral fehlt es in dieser Inszenierung an Sprengkraft. Doch anscheinend trifft gerade diese Mischung aus Klamauk und Tragödie den amerikanischen Nerv.

    Politisches Theater in Amerika ist normalerweise ein Theater über politische Intrigen, Affären, die Gier nach Macht und den Morast der Korruption. Theater als Ort eines grundsätzlichen Nachdenkens auch über soziale Verantwortung gibt es, mit ganz wenigen Ausnahmen wie bei Arthur Miller, im Grunde nicht. Denn die USA als die Wiege des amerikanischen Traumes haben sich schon immer mit Konzepten von Solidarität und Verteilungsgerechtigkeit schwergetan. Das konnte man zuletzt wieder in der erbittert Haushaltsdebatte um Barack Obamas Gesundheitsreform merken. Genau ein solcher ernsthafter Diskurs wäre aber so dringend nötig.

    In 2012 lebten in New York mehr als 1,7 Millionen Haushalte unter der mit jährlich 22.000 Dollar für eine Familie mit vier Mitgliedern angegebenen Armutsgrenze. Da stellt sich genau die Frage nach der Moral im Überleben.

    Brecht scheint also so aktuell wie selten zuvor. Wie schön, dass dieser Abend des "Foundry Theatres" endgültig mit dem Gerücht aufräumt, dass Brechts Theater nicht auch erstaunlich lebendig sein kann. Deutlich mehr Provokation und Risiko hätte der Inszenierung aber gut getan.