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''Der gute Mensch von Sezuan''

Das Stück ist alt und klapprig geworden. Als Leonard Steckel es 1943 in Zürich uraufführte, gehörte Mut dazu, überhaupt Brecht zu spielen, denn die Nazis bedrohten auch die neutrale Schweiz. Heute ist der "Gute Mensch" ein derart ausgelutschter Klassiker des Deutschunterrichts, dass man sich nur ironisch auf ihn beziehen kann. Dass man in einer bösen Welt nicht gut sein kann – noch in den siebziger Jahren hat uns das ins Mark getroffen, heute zuckt man eher die Achseln.

Ein Beitrag von Christian Gampert | 15.11.2002
    Aber: wenn Intendant Christoph Marthaler heute den "Guten Menschen von Sezuan" in Zürich spielen lässt, dann hat das einen hübschen Subtext: Marthaler selber ist ja so eine gute Seele wie die Hauptfigur Shen Te, ein Träumer, der es allen recht machen möchte, und der nun – nach Kündigung, Rücknahme der Kündigung und viel Gezerre – einen Controller des Verwaltungsrats an seiner Seite hat, einen bösen Vetter Shui Ta eben, der guckt, dass nicht zu viel Geld ausgegeben wird, dass Einnahmen hereinkommen und der Laden rollt.

    Die Regisseurin Meret Matter nimmt das Stück in Zürich schon auseinander, aber sie gibt es nicht der Lächerlichkeit preis. Sie hat vielmehr eine sanfte Modernisierung auf dem Programm, die die Schulklassen und Abonnenten begeistern und Marthalers Intendantensitz befestigen wird, die aber Brecht immer noch als harmlosen epischen Märchenonkel erscheinen lässt. Matters Programm heißt: Vorabendserie, Lindenstraße, brechtisch aufgeklart und versetzt mit ein paar altmarxistischen Teekannensprüchen.

    Die Götter, die den guten Menschen suchen, sind bei Meret Matter drei statuarische Gestalten in Trauerkleidung, die weinerlich vor sich hinsprechen und wie resignierte Eltern wirken, die schon wieder kucken müssen, was die Kinder angestellt haben. Der Erzähler, der Wasserverkäufer Wang, ist mit dem spillerigen Komiker Siggi Schwientek besetzt; er trägt Baseballkappe, schiebt einen Einkaufswagen vor sich her, verdreht die Augen gen Himmel und signalisiert uns ausdauernd, dass hier jetzt ein modernes Märchen erzählt wird. Die junge Yvon Jansen, die die Doppelrolle Shen Te/Shui Ta spielt, macht das ganz geradeaus und ohne große Rollenwechsel, ein armes, aber praktisches Mädchen, das anschaffen geht und ansonsten Mitleid mit der Menschheit hat; der Vetter Shui Ta, in den sie sich qua Hosenanzug verwandelt, ist auch nicht der große Leuteschinder, sondern einfach jemand, sich der Schmarotzer aus der Gosse zu erwehren weiß und auch sonst, als Shen Te schwanger ist, ökonomischen Verstand besitzt.

    Soweit ist das alles handwerklich sauber und ziemlich harmlos. Aber es gibt ja die Musik – wenn schon nicht im Stück direkt, dann doch bei Brecht, Dessau, Eissler. Da leiht man ein paar Lieder aus. Und man begleitet und untermalt die Handlung marthalermäßig, hier leider meist atmosphärisch eins zu eins, aber eben mit modernem Sound. Die kapitalistische Tabakproduktion rollt perkussiv daher, und das bedrohlich Böse kommt schon mal mit gedämpfter Miles-Davis-Trompete daher.

    Die Bühne von Serge Nyfeler ist ein strenger, karger, aus engen Puppenstuben bestehender Haus-Baukasten aus den fünfziger Jahren, dessen Fassaden manchmal hochfahren. Perfekt, aber langweilig. Der arbeitslose Flieger Yang Sun ist ein schneidig-egoistischer junger Mann, die unverschämte siebenköpfige Familie, die Shen Tes Tabakladen belagert und sie ausnimmt, ist eine Parodie sozialkritischer Vorabendserien, nach dem Motto: wir sind Benachteiligte, ökonomisch Deklassierte, wir dürfen alles. Die Polizisten sind Cops, der reiche Barbier, der Shen Te heiraten will, ist in Kleidung, Haltung und Sprache eine papageienbunte, radebrechende neureiche Gastarbeiter-Gestalt.

    So wurstelt sich Meret Matter durch das Stück, und so wird sie die Abonnenten zurückgewinnen. Hochqualifiziertes Schülertheater ist das, Brecht-Soap für die ganze Familie. Den moralisierenden Epilog spart man sich in Zürich. Man macht einfach das Licht aus. Und vorher singen die Götter.

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