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Der Halbgott der deutschen Nachkriegsabstraktion

Der Bauhaus-Meister Willi Baumeister pflegte künstlerischen Austausch mit so verschiedenen Malern wie Georges Braque, Marc Chagall, Wassili Kandinsky, Kasimir Malewitsch, Pablo Picasso, Fernand Leger, Oskar Schlemmer. In Stuttgart geht man diesem Netz nach.

Von Christian Gampert | 19.10.2013
    Um es gleich zu sagen: Die mit Spannung erwartete Kunstsammlung des Willi Baumeister ist eher ein Sammelsurium. Sie besteht zumeist aus kleinformatigen Gelegenheitsarbeiten befreundeter Künstler, die dem Weggefährten etwas geschenkt haben oder mit ihm Bilder tauschten. Die Liste der hier vertretenen Protagonisten der klassischen Moderne belegt aber eindrücklich, wie gut vernetzt Baumeister zeitlebens war: nicht nur die engen Vertrauten Léger und Arp sind hier anzutreffen, sondern auch Braque, Kandinsky, Moholy-Nagy, Schwitters und Mirò.

    Baumeister wird bis in die Gegenwart als Halbgott der deutschen Nachkriegsabstraktion wahrgenommen, tapfer und unbeirrt, aber irgendwie ein Stuttgarter Lokalhero. Diese Ausstellung steckt einem erstmals ein Licht auf, dass es ganz anders gewesen sein könnte, dass Baumeister von Anfang an nach Frankreich orientiert war und später, wie Kuratorin Ilka Voermann sagt, auch in Übersee als "der deutsche Künstler" galt.

    "Die französische Rezeption war ja schon sehr bekannt. Aber wie stark Baumeister auch nach dem Krieg in Amerika wahrgenommen wurde und auch in Südamerika und in Japan, oder auf der Biennale von Sao Paulo oder auf der International Exhibition in Tokio, das sind ganz neue Erkenntnisse, die wir anhand der Ausstellung gewonnen haben."

    Baumeister war ein manischer Briefeschreiber und Kontakteknüpfer, der sich schon als Student unter seinem Lehrer Adolf Hölzl vom übermächtigen Impressionismus löste und mit geometrischen Formen zu experimentieren begann. Die Ausstellung zeigt, ausgehend von frühen Arbeiten und räumlich wunderschön inszeniert, diesen Prozess vor allem anhand der "Mauerbilder", die mit Sandeinstreuungen auf Pressspan das Haptische betonen und die strengen Formen aus der Wand quasi heraustreten lassen. In den 1920er-Jahren war Baumeister in Frankreich damit bekannter als zu Hause. Und den Franzosen galt er, der dem Expressionismus wie der Romantik gänzlich Abgeneigte, als völlig untypischer Deutscher.

    Neben seinem Freund Oskar Schlemmer und den Bauhaus-Künstlern war die französische Avantgarde Baumeisters Richtmaß, es gab Kontakte zu Le Corbusier. Und die Vielfalt von Baumeisters Arbeiten aus den 1920er- und 30er-Jahren ist immens. Parallel entstehen thematische Werkgruppen, die mit konstruktiven Elementen arbeiten, aber durchaus die Figuration noch aufleuchten lassen. Das Geometrische wird mit organisch wabernden Formen und Wolken gelockert. "Der Maler", ein Bild aus den 1930er-Jahren, stellt mit Farb-Punkten auf einer Art Palette quasi das Handwerkszeug aus. Und die Serien – ja, es sind immer seriell gedachte Gruppen – die zum Beispiel aus Maschinenteilen komponiert sind, nehmen das technische Zeitalter auf und die Bilder von Konrad Klappheck vorweg. Die Braun- und Schwarztöne von Höhlenmalereien werden von Baumeister variiert zu Sportbildern, Tennisspieler in gestaffelter Bewegung, Läufer, ein fliegender Torwart, der freilich eher wie ein abstraktes Zeichen wirkt, wie ein Stankowski-Signet.

    Den Nazis war das alles natürlich verdächtig – aber das Erstaunliche ist, dass Baumeister auch in der braunen Zeit noch im Ausland aktiv war, sagt Direktorin Ulrike Groos.

    "1933 wurde er schon aus der Städelschule entlassen. Und da hat er noch vor allem in Frankreich, Italien und Spanien ausgestellt. Aber 1939 dann die letzte Ausstellung in Paris. Und dann hat er sich verstärkt in die innere Emigration zurückgezogen nach seinem Malverbot 1941 und dem Ausstellungsverbot, ist dann auch aus Stuttgart weggezogen, weil die Stadt bombardiert wurde."

    Die kleinformatige Grafik, die Baumeister in beengten Kriegsverhältnissen dann in Bad Urach schafft, wird in der Ausstellung vom grandios-zeichenhaften "Saul"-Zyklus vertreten, fliegende Einzelteile, die vorher schon in asiatisch anmutenden Idiogrammen aufschienen und nach dem Krieg sich zu "Urformen" weiterentwickelten, die afrikanische Einflüsse aufnehmen – "Wind und Wachstum" nannte er das.

    Wenn man all diese atmosphärisch streng voneinander abgegrenzten Kapitel durchschritten hat und zum obersten Stock hochsteigt, wird man belohnt mit dieser bunten Baumeister-Welt der 50iger-Jahre, die abstrakte Formen zu fröhlichen Projektionsflächen unserer Fantasie arrangiert und Farbe mit Kämmen bearbeitet. Natürlich spiegeln die "Montaru"-Bilder implizit auch das Wirtschaftswunder, natürlich würden sie als Druck auch auf jeden Duschvorhang passen – aber es sind positiv stimmende, optimistische Zustandsbeschreibungen eines Künstlers, der als Theoretiker auf den "Darmstädter Gesprächen" mit Adorno für die transzendente Abstraktion und gegen die propagandistische Gegenständlichkeit des sozialistischen Realismus stritt. Und der von dieser begeisternden Ausstellung zu Recht als Weltbürger gefeiert wird.