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Der harte Leidensweg eines Jesuitenpaters

Rolf Hochhuths Stück "Der Stellvertreter" behandelt das Bemühen eines Jesuitenpaters, den Papst vom Holocaust in Kenntnis zu setzen. Christian Stückl nutzt das Stück als Rahmenhandlung, um die Jugend von heute auf eine Zeitreise zu schicken.

Von Sven Ricklefs | 26.01.2012
    Lässige Typen sind das diese beiden Studenten, die sich da zwischen den acht Bibliothekstischen auf der Bühne offensichtlich mit der Gestalt von Pius XII. auseinandersetzen, mit ihm und seinem Schweigen zum Holocaust. Zwischen coolem Judenwitz und Cola, Hamburger und Hochhuth outen sie sich dabei zugleich als Mitglieder einer Urenkelgeneration, der die Last einer kollektiven Schuld zumindest auf den ersten Blick nicht mehr anzumerken ist, wenn sie auch intensiv und kontrovers diskutieren. Für Rolf Hochhuths fast schon 50-jährigen, schwerlastigen Angriff auf Papsttum und Kirche unter dem Titel "Der Stellvertreter" hat sich Regisseur Christian Stückl eine Art Rahmenhandlung erfunden, die andockt an eine Jugend von heute, deren Großeltern sogar zu jung sind, um Zeitzeugen zu sein für das monströseste Kapitel deutscher Geschichte. Doch die Fragen, die sich die katholische Kirche bis heute stellen lassen muss und die sie bis heute nicht geklärt hat, sind noch für jeden offensichtlich:
    Seit 16 Monaten weiß Rom wie Hitler in Polen wütet, warum sagt der Papst kein Wort dazu, dass da wo seine Kirchtürme stehen, auch Hitlers Schornsteine rauchen. Wo Sonntags die Glocken läuten, brennen Werkstags die Menschenofen, so sieht heute das christliche Abendland aus.
    Einen von seinen sehr heutigen Studenten nun schickt Christian Stückl in seiner Inszenierung am Münchner Volkstheater auf einer Zeitreise auf den harten Leidensweg eines jungen Jesuitenpaters aus den 40er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Sein Weg führt ihn zu der Erkenntnis, dass nur eine klare und klar formulierte Haltung der katholischen Kirche aus dem Mund des Papstes die einzig ethisch-moralische Antwort sein kann, auf die effizient industrialisierte Mordbrunst der deutschen Hitlerschergen. Doch wie man weiß, blieb Pius XII. bei seinem Schweigen, und half, wenn überhaupt, dann nur im Verborgenen. Zwischen politischem Kalkül auf Kosten von Millionen von Menschenleben und einem offenkundigen Antijudaismus schwanken die Vorwürfe, die bis heute gegen diesen Papst erhoben werden, und die wohl auch Benedikt XVI. mit seinem jüngsten, durchaus zweifelhaften Versuch, ausgerechnet diesen seiner Vorgänger seligsprechen zu wollen, nicht aus der Welt schaffen wird.
    Molotov hat es 34 schon eingestanden. Er meinte, wenn es zu einer Verschmelzung der Kirche mit den Hitlerleuten komme, dann sei der Kommunismus erledigt, in ganz Europa.
    Natürlich kann auch Christian Stückl nicht wirklich ein gutes Stück machen aus Hochhuths wüstem Konglomerat aus Recherchematerial und flammenden Leitartikeln, die wie immer bei diesem Autor zu hölzernen und langatmigen Thesentheater zusammenmontiert sind. Doch lässt man sich hier im Münchner Volkstheater den szenischen Geschichtsunterricht zumindest über einige Strecken gern gefallen. Stückl hat das Mammutwerk drastisch wenn auch vielleicht noch immer nicht genug gekürzt, und: er konzentriert sich - ohne die von Hochhuth so vehement in die Welt hinausposaunte Schuldfrage völlig aus den Augen zu verlieren - er konzentriert sich vor allem auf die Figur des jungen Jesuitenpaters. Und hier hat Stückl in Hochhuths Stellvertreter eine Figur gefunden, die mit ihrer unbeirrbaren Konsequenz auch heute noch beispielhaft sein kann für Zivilcourage.
    Hier, dieser Stern, den jeder Juden vom sechsten Lebensjahr als Zeichen dafür, dass er vogelfrei ist, zu tragen hat, ich werde diesen Stern so lange tragen....

    Das wird er nicht tun, wir verbieten es.

    Ich werde diesen Stern so lange tragen, bis Eure Heiligkeit vor aller Welt den Mann verflucht, der Europas Juden viehisch ermordet.

    Während die Figur eigentlich bei Hochhuth ihre Passion in Auschwitz beendet und für ihre hohen humanistischen Ideale im wahrsten Sinne des Wortes ins Feuer geht, mutiert sie bei Christian Stückl wieder zu dem jungen Studenten vom Beginn, der allerdings sichtlich gereift seine Sachen packt und den Ort seiner ehemaligen unbeschwerten McDonald-Existenz verlässt.

    Und so kann Christian Stückl mit seinem durchweg beeindruckenden jungen Ensemble wenn auch nicht die dramatische Qualität so doch zumindest die noch immer vorhandene Brisanz des Hochhuth'schen Stellvertreters unter Beweis stellen. Und das ist fast 50 Jahre nach der Uraufführung ja immerhin etwas.