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Der Heilige im Kittel

Der vor 16 Jahren verstorbene Olivier Messiaen stand der Oper zeitlebens skeptisch gegenüber. Er fand, in dem Genre käme entweder die Musik oder die Handlung zu kurz. Doch schließlich nahm er einen Kompositionsauftrag der Opéra National an: Die Oper "François d'Assise" kam Ende1983 zur Uraufführung. Ingo Metzmacher hat jetzt in Amsterdam die Intensität und Wucht von Messiaens Hauptwerk an den Anfang des Holland Festivals gesetzt.

Von Frieder Reininghaus |
    Auch in Amsterdam war es gestern recht schwül. Der Ausfall der Klimaanlage zu Beginn der auf 13.30 anberaumten fünfeinhalbstündigen Vorstellung machte sich empfindlich bemerkbar. Doch erst am Ende, als die Inszenierung Tod und Verklärung des Heiligen Franz von Assisi in schmerzhaft helles Licht tauchte, öffnete auch der Dirigent Ingo Metzmacher die musikalischen Schleusen und ließ den ins vierfache Fortissimo gesteigerten Schluss der Oper hinausjubilieren. Zuvor setzte er die als klare Wiedererkennungszeichen gesetzten Melodie-Linien, Trompeten-Signaturen und Tutti-Blöcke klar-funktional in die (auf die Bühne geholte) musikalische Szene. Eher sachlich als allzu emphatisch ereignete sich auch das mehrfach zur Meditation anregende Geklöppel des - mit erheblicher Wirkung zum Einsatz gebrachten- Schlagwerks:
    Olivier Messiaens Tonkunst, zunächst querständig zu den Hauptströmungen der Neuen Musik im 20. Jahrhundert, ist dank der ihr zugrunde liegenden Methodik und der zugleich waltenden Freiheit im Umgang mit Momenten der tonalen Tradition inzwischen zu einem der fortwirkenden Modelle des 20. Jahrhunderts avanciert. [Zwar erscheint sie nicht einfach sprachförmig oder diskursiv, aber doch - weit über "Vogelpredigt" hinausgehend - hörbares Drängen nach Ausdruck und so etwas wie "Klangrede".] Das, was später dann mit Beimischung von live-Elektronik in musiktheatrale Arbeiten erfolgte, bewerkstelligte Messiaen mit drei Ondes Martenot, kleinen Dinosauriern aus der Frühzeit der synthetischen Klangerzeugung. Je eine der Maschinen war rechts und links ganz oben auf den höchsten Höhen des Gerüsts in Stellung gebracht worden, das Jean Kalman über dem im Hintergrund der Bühne positionierten Residentie Orkest errichtet hatte.

    In der Absicht, dem Höchsten höchstes Lob zu zollen, schonte der Komponist die Musiker nicht: ihnen werden extreme Anstrengungen abverlangt. Camilla Tilling als Engel verfügt zwar über keine seraphische Stimme, erweist sich aber - anders als der etwas indisponierte Rod Gilfry in der Titelpartie - als einsame Leistungsträgerin der solistischen hohen Stimmlage.
    Zugunsten seines ideologisch motivierten antitheatralischen Konzeptes hatte sich Messiaen bei der Komposition seiner Scènes Franciscaines ganz auf religiöse Aspekte konzentriert und selbst für das Leben des Franziskus so bedeutsame und handlungsstarke Episoden wie den Konflikt mit dem Vater oder die Hochzeit mit der Heiligen Clara ausgeklammert. Statt dessen: Ein Lehrgespräch zwischen Bruder Leone und Franziskus, seine Konfrontation mit einem Aussätzigen (und dessen Genesung durch die Selbstüberwindung, ihn zu umarmen) sowie der solidarische Alltag des Klosterlebens, in dem ein Engel dem noch nicht hinreichend abgeklärten Bruder Elia Geduldsproben auferlegt, aber auch - mittels Musik - eine Vorahnung auf himmlische Glückseligkeit gibt.

    Die Entscheidung für dieses katholische Bekenntniswerk bedeutet freilich nicht zwingend, dass sein musikalischer Duktus von der Inszenierung einfach "umgesetzt" bzw. schlicht bebildert und illuminiert wird und seine religionsgeschichtlich stark beschönigenden verbalen Botschaften völlig bruchlos weitergereicht werden. Mit massiertem Aufgebot von Kreuzen der verschiedensten Art und den von zwanzig Kindern mit Kreide auf den Boden gemalten Vogel-Bildern unterstreicht Pierre Audi die naivische Grundlinie des Werks, verlängert und steigert den inhärenten Infantilismus. Das Dekor wirkt so ungehindert schön wie der Hauptstrom der Musik - und die Designer-Kutten für die frommen Brüder sind vom feinsten. Audis Inszenierung fügt sich in den zunehmend breiter werden Strom neuer Religiosität und Kontemplation auf den Opernbühnen. Halleluja!