Archiv


Der Hilferuf des Rosenkohls

Biologie. - Angriff ist die beste Verteidigung, so heißt es. Angriff ist aber keine Option für wehrlose Pflanzen, die von Schädlingen bedrängt werden. Stattdessen entwickelten sie im Lauf der Evolution ganz andere Abwehrstrategien.

Von Arndt Reuning |
    Dr. Roland Mumm züchtet Ungeziefer. In einem Zimmer der Universität Wageningen steht eine ganze Reihe von Glaskästen, in denen es von seinen Schützlingen nur so wimmelt. Auf einem dürren Pflanzenskelett hängen sie in dicken grünen Trauben.

    "Das sind die Raupen, das sind schon mit die ältesten Stadien. Und man kann hier sehr schön sehen, wie gefräßig diese Raupen sind. Also diese Pflanzen, die hier reingestellt worden sind, sind maximal zwei Tage alt, und es bleibt eigentlich außer dem Stiel nicht viel übrig. Also die machen schon einen ziemlichen Kahlfraß."

    Damit die Raupen des Kohlweißlings sich später einmal in jene fahl gelblichen Falter verwandeln können, müssen sie eine Menge Kohl vertilgen. Und das riecht man hier auch in der Aufzuchtstation der Insektenforscher. Ein typischer, intensiver Duft nach Kohl liegt in der Luft. Das ist sozusagen der Angstschweiß der befallenen Pflanzen. Ein wichtiges Signal, das die natürlichen Feinde der Raupen auf den Plan ruft. Eine indirekte Art der Verteidigung.

    "Wir nennen das in der Regel häufig auch eine Art Hilferuf, den Pflanzen aussenden, um eben Bodyguards oder natürliche Gegenspieler anzulocken."

    Zum Beispiel gibt es eine bestimmte Wespenart, die den Kohlgeruch ganz dufte findet. Verrät er ihr doch, wo die Kohlweißlingsraupen zu finden sind, in denen die Wespen ihre Eier ablegen - woran die Raupe früher oder später zugrunde geht. Mit dieser indirekten Verteidigung wehren sich auch andere Pflanzenarten gegen Schädlinge – zum Beispiel Tomaten, Bohnen, Pappeln und Ginkgo. Die Wissenschaftler aus Wageningen glauben, dass sich auf diesem Wege irgendwann einmal natürliche Pflanzenschutzmittel entwickeln lassen. Dafür müssen sie zunächst aber erst einmal herausfinden, welche einzelnen Duftnoten das Bouquet des pflanzlichen Angstschweißes enthält. Unter anderem:

    "Typische Substanzen, die im Kohl drin sind, die wir eben auch so charakteristisch schmecken im Kohl, wenn wir ihn zubereiten: so genannte Senföle, die eben, wenn sie frei gesetzt werden, eben ganz bestimmte, flüchtige Substanzen bilden."

    Zur Hilfe kommt den Wissenschaftlern immer häufiger die Gentechnik. So arbeitet Roland Mumm zum Beispiel mit Kohlpflanzen, in denen die Gene für bestimmte Duftstoffe abgeschaltet worden sind. In einem Windkanal können die Forscher dann herausfinden, ob die Wespen noch immer auf die Pflanzen fliegen, oder ob sie ihnen schnuppe sind. Eine andere Methode: Mit so genannten DNS-Chips untersuchen die Forscher, welche Gene in einer befallenen Pflanze gerade angeschaltet oder abgeschaltet sind. Für jedes aktive Gen leuchtet dann auch dem Teststreifen ein kleiner Punkt.

    "Dadurch kann man eben bestimmte Muster erkennen, wie spezifisch eine Pflanze auf eine bestimmte Stresssituation reagiert. Und diese Vorgänge sind sehr komplex, durchaus – denke ich – vergleichbar mit denen von Menschen oder auch von Tieren."

    Roland Mumm geht sogar so weit, dass er die Verteidigungsmechanismen der Pflanzen vergleicht mit dem Immunsystem von Wesen aus Fleisch und Blut. So erkennen die Pflanzen zum Beispiel ganz genau, ob sie von Raupen oder Käfern oder Milben oder von Bakterien befallen sind. Je nach Schädling sondern sie dann ein ganz spezielles Duftbouquet ab, das ausschließlich die natürlichen Feinde des jeweiligen Plagegeistes herbeiruft.

    "Also Pflanzen sind sicherlich nicht einfach nur Organismen, die in der Gegend herumstehen und alles über sich ergehen lassen müssen, was auf sie zukommt. Sondern sie sind sehr, sehr wehrhaft und können sich sehr spezifisch zur Wehr setzen, je nachdem mit was sie konfrontiert werden."

    Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Kann Roland Mumm denn überhaupt noch über eine Wiese oder durch einen Park laufen, ohne an Gene oder Duftstoffe zu denken?

    "Es ist schwierig, aber wenn ich mit meiner Frau spazieren gehe, muss ich es tun, ansonsten wird sie ein bisschen böse."

    23. Jahrestreffen der International Society of Chemical Ecology