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Der Himmelsstürmer

Berühmt wollen sie werden, wie alle Jungen ihres Alters. Dem heimischen Holzhandel entfliehen, einem drückenden Zuhause den Rücken kehren, mit Gitarre, Schlagzeug und Baß die Welt erobern. Jonny, Eric und Benny, deren Anfangsbuchstaben kein so schönes Anagramm wie "Abba" zulassen, firmieren als "Jonny & The Hurrycanes", aber wir schreiben auch noch nicht die siebziger Jahre, als die skandinavische Popmusik sich anschickte, die Welt zu erobern, sondern befinden uns mitten in den trüben Fünfzigern. Und das ausgerechnet in Dänemark, jenem Land ohne Berge und Hügel, also auch ohne Höhepunkte. Zumindest sieht es das musikalische Trio so, schafft sich einen fahrbaren Untersatz an und einen Impressario. Der freilich - schon der kunstvoll aufgeblasene Name Samuel Joshua Danielle sollte die Alarmglocken läuten lassen - schickt die Jungen als billige Arbeitskräfte auf die Reise; er kann sich mit seinem Geschäft kaum selbst über Wasser halten.

Florian Felix Weyh |
    So arbeiten sie als Statisten und Handlanger, Sandwich-Plakateträger und unter der Höhensonne künstlich gerötete Amazonas-Indianer, die einen Lichtbildvortrag beglaubigen sollen. Natürlich sieht jeder, daß es sich um Dänen mit Sonnenbrand handelt, aber jenes Nachkriegsjahrzehnt war arm an Sensationen - den Fernseher gab es noch nicht - und reich an Abwechslungssehnsucht. Tapfer und naiv zugleich stecken die Jungen einen Tiefschlag nach dem anderen weg, immer noch den Beteuerungen ihres Managers glaubend, er vermittle ihnen musikalische Auftritte. Der einzige dieser Art, ein Geburtstagsständchen bei einem Provinzfürsten, endet mit dem Schlaganfall des Gefeierten und der überstürzten Flucht der todbringenden Musiker. Eine klassische Desaster-Geschichte, wäre da nicht Feo, die kleine Schwester von Benny, benannt nach einer Schokolade, die ihr einst über eine Krankheit hinweghalf. Feo ist geistig behindert, eine "Idiotin" im rauen Jargon der Rummelplatzkultur, mit einem Wasserkopf und übersinnlichen Kräften gezeichnet. Nicht nur, daß sie Dinge malt, die sie nie zuvor gesehen hat, sie bringt auch den klapprigen VW-Bus der Band zum Schweben. Allabendlich hebt er zwanzig, dreißig Zentimeter vom Erdboden ab, "levitiert", wie es die Illusionisten und Magier nennen. Gerade genug, um es bei flüchtigen Blicken zu übersehen, doch dem Impressario Danielle entgeht so etwas natürlich nicht. Daß mit den Jungs kein Geschäft zu machen ist, hat er längst begriffen, aber mit dem Mädchen und dem VW-Bus wird es klappen.

    Der VW-Bus ist das Problem an diesem überdrehten Roman des dänischen Erfolgsautors Bjarne Reuter. Selber erst 1950 geboren, muß er sich in seiner Erinnerung um mindestens ein Jahrzehnt vergriffen haben. Ein klappriger, vor allen Dingen alter VW-Bus dürfte auch im Dänemark der fünfziger Jahre schwer aufzutreiben gewesen sein, schickte sich doch gerade erst der Käfer an, die Grenzen Deutschlands zu überschreiten. Aber die ganze Geschichte paßt auch viel besser in die Zeit von "Easy Rider" und Hippiekultur, deren frühste Vorläufer diese drei dänischen Knaben sind. Wäre das Buch ein Film, käme es in gnadenlos falschen Farben daher, Neon und Pastell grell gemischt, jedes Stilprinzip brechend, um sich bloß nicht nachsagen zu lassen, man sei konventionell. Literarisch ist dieser Roman eine Legendendichtung, und wer die illuminierten Kitschfiguren italienischer Herkunft kennt, mit der man sich nach den Ferien gerne das Wohnzimmer dekoriert, bis der erste Besuch eintrifft, ahnt vielleicht, worauf er sich bei den "Himmelsstürmern" einläßt. Tatsächlich endet das Buch in einer reinen Apotheose. Die Band samt Schwester und VW-Bus fährt gen Himmel, indem sie mit einem LKW kollidiert, dessen Kühlerhaube eine Heiligenfigur ziert. "Uhhh" haucht der Kritiker nach dreihundertfünfzig Seiten ermattet und hofft, wenigstens der Autor habe damit seinen Seelenfrieden gefunden. Man muß schon einen sehr speziellen Zugang zum Kitsch haben, um dieses Buch gut zu finden. Vielleicht die richtige Begleitlektüre zur langen Fahrt nach Lourdes.