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Der Hörspielpreis der Kriegsblinden geht an Schorsch Kamerun

Als Sänger der "Goldenen Zitronen" wurde Schorsch Kamerun berühmt. Und auch als Theaterregisseur hat er sich mittlerweile einen Namen gemacht. Am 18. April hatte sein Stück "Der kleine Muck ganz unten" an der Berliner Volksbühne Premiere. Nun wurde ihm für sein Hörspiel "Ein Menschenbild, das in seiner Summe null ergibt" der Hörspielpreis der Kriegsblinden zuerkannt.

Von Frank Olbert | 21.04.2007
    Frank Olbert: Herr Kamerun, wie haben Sie davon erfahren, Gewinner des Hörspielpreises der Kriegsblinden zu sein?
    Schorsch Kamerun: Ich wurde von dem Vorsitzenden der Kriegsblinden angesprochen. Man hatte vorher das Theater in München informiert, weil ich da gerade inszeniert hatte. Da wurde dann meine Nummer, so geheimnisvoll nicht weitergegeben, aber letzten Endes ist man ja heutzutage überall erreichbar. Das ist Teil meines Stücks!
    Frank Olbert: Genau. Hätten Sie denn damit gerechnet, den Hörspielpreis der Kriegsblinden für dieses Stück zu bekommen?
    Schorsch Kamerun: Nee, erstmal gar nicht. Das Stück macht ja sehr fragmentarische Spritzer, folgt keiner großen Dramaturgie, also eine sehr krude Collage, würde ich sagen, wobei ich das Thema schon sehr druckvoll dargebracht empfinde.
    Frank Olbert: Wie sind Sie denn eigentlich zum Hörspiel gekommen?
    Schorsch Kamerun: Die Martina Müller-Wallraff vom WDR hat sich ein Theaterstück von mir angesehen. Das hieß "Hollywood Elegien". Wir haben dann angefangen auf Basis dieses Theaterstücks ein Hörspiel zu machen.
    Frank Olbert: Was macht für Sie das besondere dieser Gattung aus?
    Schorsch Kamerun: Für mich ist es günstig, weil ich viel mit Musik arbeite und selber produzieren kann. Ich kann alles selber machen, alles aus einem Guss, was manchmal ganz gut ist. Ich komme ja eigentlich von der Musik und bin immer noch Sänger dieser Punkband, "Die Goldenen Zitronen". Wir produzieren uns auch selber, mittlerweile über Jahrzehnte. Dadurch haben wir ein Verständnis für Musikproduktion, für Soundästhetik und auch für Sprachhaltung. Jedenfalls fühle ich mich nicht unwohl auf dem Gebiet. Ich nehme die Sprecher selber auf, mache alles komplett selber.
    Eine Neuerung gab es beim "Hörspielpreis der Kriegsblinden": Zum ersten Mal waren in diesem Jahr auch die Schweiz und Österreich dabei. Aus diesem Anlass tagte die Jury erstmals in Zürich. Den Vorsitz übernahm die stellvertretende Vorsitzende des Verbandes deutscher Schriftsteller Anna Dünnebier.
    Frank Olbert: Frau Dünnebier, wie war es denn in Zürich?
    Anna Dünnebier: Es war sehr angenehm. Wir wurden freundlichst empfangen. Das Schweizer Radio war sehr interessiert und hat auch berichtet. Ich finde das schön, dass es sich ausgeweitet hat. Wir hatten ja früher schon Schweizer Preisträger. Vor genau 50 Jahren hat Friedrich Dürrenmatt den Hörspielpreis der Kriegsblinden bekommen. Nun sind auch die Schweizer und Österreicher Produktionen dabei.
    Frank Olbert: Welche Höhe- und Tiefpunkte gab es denn in diesem Jahr?
    Anna Dünnebier: Es war ein ganz erstaunlich guter Jahrgang. Aufgefallen ist, dass sehr viel geschriebene Literatur gleichzeitig als Hörspiel produziert wird, dass also viele Autoren, die für Verlage arbeiten auch für das Radio arbeiten. Es ist viel mit Musik gearbeitet worden. Vieles hat sich mit Medien befasst. Das ist klar. Wir leben in einer Medienwelt. Letzten Endes hat ja auch eine Art Sturm-und-Drang-Stück in Zeiten der Medienwelt den Preis bekommen. Richtige Tiefpunkte waren eigentlich nicht dabei. Das ist ganz Erstaunlich, denn wir hatten auch schon Jahre, in denen das anders war.
    Frank Olbert: Ist das Zufall oder liegt das an einer allgemeinen Tendenz?
    Anna Dünnebier: Ich habe allmählich wirklich das Gefühl, dass das Hörspiel auch durch das Hörbuch und durch ein allgemeines Interesse am Hören wieder ganz neue Aufmerksamkeit findet. Wir hatten letzten Endes vier Stücke zur Auswahl, denen wir allen gern den Preis gegeben hätten. Das ist relativ ungewöhnlich.
    Frank Olbert: Welche waren das?
    Anna Dünnebier: Das war ein sehr literarisches und schönes Erzählstück von Enzensberger, "Josephine und ich." Das war eine ungewöhnliche Art, mit deutscher Vergangenheit umzugehen. Letzten Endes war dann eben doch die Meinung: Es ist eine Erzählung. es ist ja auch gedruckt erschienen.

    Dann war ein Stück in der engeren Wahl, das schon den Hörspielpreis der ARD bekommen hat, "Entweder bin ich irr oder die Welt" von Matthias Baxmann nach den Tagebüchern von Einar Schleef. Das ist sowohl vom Inhalt als auch von der Machart her sehr aufregend und mitreißend.

    Das dritte war ein Stück, das nach einem Roman entstanden ist, "Wie der Soldat das Grammophon repariert" von Sascha Stanisic. Das ist ein wunderbarer Roman. Ich kannte ihn schon. Er handelt davon, wie ein junger Mensch Krieg und Vertreibung erlebt. Das Hörspiel hatte nochmal einen ganz anderen Zugang zu diesem Stoff. es war mit viel Athmosphäre und Musik komponiert. Es hat uns von der Machart sehr überzeugt.

    Letzten Endes hat den Preis dann Schorsch Kamerun bekommen. Sein Hörspiel ist ein Porträt der jungen Generation der Gegenwart, die zwischen dem Mediengeschwätz, das auf die einprasselt, vorgeschriebenen Verhaltensweisen, Warenwelt keine eigene Identität mehr entwickeln kann. Was immer man an Protest versucht, ist alles schon vorgeplant Das Stück ist auch sehr witzig gemacht, aber mit einem sehr gruseligen Witz. Man ist geschüttelt zwischen Lachen und Gänsehaut, die einem über den Rücken läuft.