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Der Impressionist des 21. Jahrhunderts

Der gerade 49 Jahre alte schottische Maler Peter Doig hat am Kunstmarkt schon einige Rekorde gebrochen. Mit einer großen Werkschau in der Tate Britain erhält Doig nun den ultimativen Ritterschlag der Museumswelt. Doigs phantasmagorisch-realistische Kompositionen haben inzwischen den Stil einer neuen britischen Malergeneration sichtlich beeinflusst.

Von Hans Pietsch |
    Peter Doig ist ein Maler der Ungewissheit und der Entwurzelung. Seine Bilder transportieren den Betrachter an seltsame Orte. Diese mögen völlig normal und alltäglich sein - ein Teich, ein Haus am See, ein Mann in einem Boot. Doch sie sind von großer Fremdheit, sie strahlen eine fast unheimliche Ruhe aus, die wie gefroren scheint. Er nennt seine Landschaften "heimelig", doch sie sind alles andere als das.

    Schon im ersten Raum der Schau trifft man auf die Motive, die wie Versatzstücke Doigs gesamtes Oeuvre durchziehen: das Wasser, die einsame Figur, das durch Bäume sichtbare Haus, das Boot, die Spiegelung im Wasser. Die Arbeiten hier entstanden um 1990, als der Maler aus Kanada nach London zurückgekehrt war. Ein totaler Außenseiter im damaligen Kunstbetrieb Londons, mit den lauten Young British Artists und ihrer lauten, zynischen Kunst. Nur langsam verschaffte er sich mit seinen traumhaften Gemälden Respekt, reüssierte im Markt.

    Er malt nach fotografischen Vorlagen und auch, aber selten, nach Erinnerungen an seine Kindheit in Trinidad und Kanada. Seine großformatigen Landschaften sind nicht Realität, er überhöht, verfremdet, untergräbt. Zwar besitzen die Bilder einen Vorder-, Mittel- und Hintergrund, doch alles ist bis ganz nach vorne an die Bildoberfläche geschoben, und verliert so an Tiefe. Seine Häuser haben dunkle Fensterhöhlen, sind nicht einladend, sondern abweisend. Und immer wieder die einsame Figur, am Ufer, in einem Boot, auf dem Eis, die irgendwie nicht Teil der Landschaft, sondern eine Art Beobachter zu sein scheint. Doch selbst wenn die Landschaft menschenleer ist, spürt man die Präsenz, den Hauch des Menschen.

    Ein Raum ist den Darstellungen des Wohnblocks "Unité d'Habitation" von Le Corbusier in Nordost-Frankreich gewidmet, Arbeiten, die zwischen 1991 und 1999 entstanden. Der Betonklotz, eine utopische Wohnmaschine, ist durch dichten Baumbestand nur schemenhaft zu erkennen, wie Wolken schwebende Farbflecken erschweren noch den Blick. Etwas Düsteres, Unheimliches liegt über den Bildern, als lauere um die Ecke eine Katastrophe. Werfen die nahe gelegenen Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs ihre Schatten?

    Bei genauerem Betrachten sehen Doigs Gemälde schrundig aus. Ihre verkrustete Oberfläche erinnert an die Borke von Bäumen. Man sieht ihnen die Arbeit an, die sie dem Maler gemacht haben. Farbschicht liegt über Farbschicht, an vielen Stellen etwa des Himmels, des Wassers geht Doig über die Gegenständlichkeit hinaus. Ein Bild wie "Steg" von 1994, mit seinen Wasserkräuseln und Wolkengebilden, stößt beinahe die Tür zur Abstraktion auf.

    Ende der Neunzigerjahre verändert er seine Maltechnik etwas. Er will vereinfachen, die pastöse, fragmentierte Oberfläche früherer Arbeiten macht größeren, glatteren Farbflächen Platz. Er verdünnt die Ölfarbe stärker als zuvor, fast wie beim Aquarellieren.. Das lässt die Bilder stärker atmen. Doch noch immer arbeitet er langsam, methodisch - entfernt, trägt neu auf.

    Das Entfernen einer Farbschicht bringt das Gemälde nicht selten zur Vollendung, genau zu sehen bei seiner jüngsten Arbeit "Musik der Zukunft", die kurz vor Hängung der Schau fertig wurde. Eine Strandszene, ein paar Häuser, Sonnenschirme, ein Pferd watet ins Wasser, erstaunlich viele Menschen. Und darüber ein in mehreren Blautönen schimmernder Himmel. Auf der Abbildung des Werks im Katalog ist der Himmel fast pechschwarz. Bevor es verpackt und nach London verschifft wurde, schabte der Künstler die oberste Farbschicht ab, um, wie er sagt, "ein wenig mehr Farbe zu bekommen". Erst dann erklärte er das Bild für vollendet.

    Und dann - im Jahre 2002 - der große Schritt für ihn: die Umsiedlung mit seiner Familie nach Trinidad, wo er seither lebt und arbeitet. Nicht dass das viel geändert hätte an der Art und Weise, wie er arbeitet. Anders als Gauguin, der in Tahiti neue Motive zu finden suchte, blieb Doig wie ein Schuster bei seinen Leisten. Natürlich macht sich hier und da das karibische Licht bemerkbar und Farbe spielt eine noch größere Rolle als bisher. Sie hilft, den Landschaften mehr Weite zu geben. Heute spricht er von der Suche nach "reinen Gemälden", die auf "eine Art Abstraktion" zusteuern. Man kann gespannt sein, wohin ihn das führen wird.

    Peter Doig. Tate Britain Art Gallery, bis 27. April 2008.