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Der Islam im modernen Gewand

Auch nach den Aufständen in der Türkei und Ägypten hat der politische Islam in vielen Ländern nichts von seiner Popularität eingebüßt. Viele sehen in den Forderungen nach Demokratie ein vom Westen aufgedrücktes Modell. In Musik und Kleidung von Jugendlichen spiegelt sich ihre Nähe zur Religion.

Von Barbara Weber | 03.10.2013
    "Diejenigen, die in den arabischen Ländern auf die Straße gegangen sind, 2010, 2011, Abertausende, Millionen von Männern und Frauen, hatten Forderungen, die auch in anderen Aufständen weltweit formuliert wurden: Arbeit, Brot, Würde, Gerechtigkeit, ein anständiges Leben im vollen Sinn des Wortes, berufliche Chancen, Ausbildung für die Kinder und natürlich Beruf, respektive Job."

    Prof. Gudrun Krämer, Leiterin des Instituts für Islamwissenschaft an der Freien Universität Berlin.

    Von Religion war bei den Aufständen nur am Rande die Rede. Auch standen die Islamisten keinesfalls in der ersten Reihe der Demonstranten. Das bedeutet aber nicht, dass der politische Islam an Bedeutung verloren hat, wie die anschließenden weitgehend freien Wahlen gezeigt haben, bei denen Islamisten an die Macht kamen, aber…

    "… im vorderen Orient, in den arabischen Ländern, in der Türkei ohnehin und auch in Iran sind die Gesellschaften zu einem hohen Grad säkularisiert. Auch die Wirtschaft funktioniert nach nichtreligiösen Prinzipien, vom islamischen Bankensektor mal abgesehen. Das Bildungswesen ist überwiegend nicht religiös, die politische Ordnung ist nicht nach dem Koran gestaltet. Die politischen Ideen, zum Beispiel der Nationalismus sind nicht aus dem Islam abgeleitet, nicht aus dem Koran, nicht aus der Sunna, sie sind modern, also insofern tief greifende Säkularisierungsprozesse aber ein ganz starker Reflex gegen den Begriff des Säkularismus als einer in Recht und Verfassung verankerten Trennung von Religion und Staat."

    Scharia schafft Klarheit, Gerechtigkeit, Einheit?
    Um das Verhältnis zwischen öffentlicher Ordnung, also der gültigen Rechtsauffassung, und islamistischem Recht, der Scharia, wird eine heftige Debatte geführt. Was bei den Diskussionen häufig vergessen wird, ist…

    "… dass wir heute nicht ein Buch haben, ein Rechtsbuch mit zwei Deckeln mit dem Titel Scharia, in dem klar nachzulesen ist, was Scharia heißt in Bezug auf Erbrecht oder Vertragsrecht oder Seerecht oder internationale Beziehungen, sondern wir haben eine unübersehbare Fülle von Texten mit unterschiedlichen Interpretationen, die der einzelne Jurist bündeln, sichten, gewichten muss, also eine Auswahl treffen. Und das tut er im Lichte der Umstände, unter denen er operiert, auch im Lichte seiner eigenen Überzeugungen. Das muss man wissen, um mit dieser Formel umgehen zu können, die Scharia müsse angewandt werden, und sie schaffe dann Klarheit, Gerechtigkeit und Einheit."

    Dieses einfache Modell verknüpft mit der Forderung nach einem Gottesstaat, ist in vielen Ländern der islamischen Welt attraktiv. Dr. Dominik Müller, Postdoktorand an der Goethe-Universität Frankfurt, forscht über den politischen Islam in Südostasien und in Malaysia, wo er die größte islamistische Oppositionspartei, die PAS, untersuchte. Diese besteht aus zwei Flügeln, den moderaten islamischen Kräften, …

    "…die auch als die "Erdogans" in Anspielung auf den türkischen Premierminister bezeichnet werden, die pluralistischer, realpolitischer orientiert sind."

    … und auf der anderen Seite Dogmatiker, die von "Purifizierung des Kampfes" sprechen. Dazu gehören der Alten- und der Jugendflügel der Partei.

    "Die haben in den letzten Jahren völlig überraschend eine populärkulturelle Öffnung der islamischen Partei von Malaysia initiiert und zunehmend vertieft."

    Flexibilität im Schariadiskurs
    Denn bis vor einigen Jahren galt es auch bei diesen Jugendlichen als unislamisch, Populärmusik zu hören oder gar zu spielen.

    "… und mittlerweile findet keine größere Parteiveranstaltung mehr statt ohne ein buntes Unterhaltungsprogramm mit Musikperformances, teilweise mit E-Gitarren, Leute mit langen Haaren, Heavy Metal-T-Shirts, also enorme Flexibilität im Schariadiskurs von dergleichen Jugend innerhalb der Partei, die eigentlich die Purifizierung des Kampfes propagiert."

    Diese Aneignung moderner Ausdrucksformen lässt sich auch in anderen islamischen Kulturen beobachten:

    "Generell ist moderne islamische Populärkultur ein transnationales Phänomen. Es ist auch ein Multi-Million-Dollar-Market. Es gibt zahlreiche Popgruppen, internationale Künstler, wie Sami Yusuf, die teilweise in verschiedenen Sprachen Musik produzieren, eine Menge Geld verdienen."

    "Es gibt islamische Modelabels mit schicken Kopftüchern mit Brands, die teilweise sehr teuer sind, es gibt islamische Mobiltelefone, also dieser ganze Bereich des Pop-Islam ist transnational."

    Es war die Journalistin Julia Gerlach, die den Begriff des Popislam erstmals einem breiteren Publikum bekannt machte, als sie dieses Phänomen unter islamischen Jugendlichen in Deutschland beschrieb.

    Dr. Monika Springberg-Hinsen, Islamwissenschaftlerin an der Universität Münster:

    "Es gibt viele Jugendliche, die versuchen, ihre Religiosität ganz offen in der Öffentlichkeit zu leben und zu demonstrieren und das tun, indem sie sich nicht abkapseln gegenüber modernen zeitgenössischen Jugendkulturen, sondern ihren Islam mit traditionellen Symbolen verbinden, die sie aber in ein ganz modernes Gewand kleiden. Wichtiges Beispiel dafür ist der Bereich der Kleidung. Es sind dort in den letzten Jahren viele Labels entstanden, die versuchen, ganz zeitgenössische urbane Streetwear zu verbinden mit Aufdrucken, die irgendwelche islamischen Slogans in ganz moderner, poppiger Form zeigen. Manchmal wird traditionelle islamische Kalligrafie verfremdet, sodass man auf den ersten Blick gar nicht erkennt, dass sich irgendetwas Islamisches dahinter verbindet. Aber für die Jugendlichen ist es ganz wichtig, auf diese Art ihre eigene Identität in einer zeitgemäßen Form auch nach außen hin zu demonstrieren."

    In globaler Konfliktsituation das Wort Gottes verteidigen
    Diese Suche nach einer eigenen Identität könnte auch erklären, warum das Prinzip der Säkularität in vielen islamischen Ländern so unattraktiv ist.

    Prof. Gudrun Krämer:

    "Dieser Reflex erklärt sich maßgeblich auch aus politischen Gründen, weil Säkularismus in den Ländern des Vorderen Orients ganz überwiegend auf undemokratischem Wege durchgesetzt wurde und deswegen mit Autoritarismus verknüpft wird und weil viele meinen, das sei ein Prinzip, das nicht dem eigenen Fundus entspringe, sondern dem westlichen."

    So könnte auch das Verbot der Muslimbrüder in Ägypten in den islamisch geprägten Kulturen zu paradoxen Reaktionen führen.

    Dr. Dominik Müller:

    "Ich sehe nun in dem von mir untersuchten Kontext in Südostasien die Rezeptionen dessen, was in Ägypten passiert, und da hat es durchaus eine anstachelnde und alles andere als postislamistische Wirkung. Da sagt man nämlich, okay, wir sind die Unterdrückten, und wir müssen mit allen Mitteln versuchen, Gottes Gesetz, Gottes Wort, Gottes Religion zu verteidigen und wir stehen in einer globalen Konfliktsituation. Ich bin sehr skeptisch, dass wir jetzt eine postislamistische Tendenz sehen werden. Ich befürchte, dass es sich in unterschiedlichen Länderkontexten, in unterschiedlicher Form, aber dennoch in eine andere Richtung entwickelt."