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Der Islam in Andalusien

"Eines der beiden Spanien wird dein Herz gefrieren lassen", so dichtete der Schriftsteller Antonio Machado am Ende des spanischen Bürgerkriegs, bevor er 1939 auf dem Weg ins Exil gestorben ist. Er meinte mit den beiden Spanien damals die Republikaner und die Anhänger Francos. Heute gibt es die gemäßigten Lager auf beiden Seiten noch immer. Und die Anschläge in Madrid und der dadurch begünstigte Wahlsieg der Sozialisten haben die Gräben zwischen Linken und Rechten wieder tiefer werden lassen. Hatte die spanische Volkspartei den Anschluss an die USA und den Einfluss des Katholizismus gestärkt, so wollen die Sozialisten nun den Terror an der Seite von Frankreich und Deutschland bekämpfen. Und der katholische Religionsunterricht soll kein Pflichtfach mehr sein. Wie aber steht es um den Islam in Spanien, zumal da man ja inzwischen von einem islamistischen Hintergrund der Anschläge ausgeht?

Von Kersten Knipp |
    Selbstbewusst, provokant oder einfach nur schön? Eine auf jeden Fall spektakuläre Lage wählten die fünf muslimischen Gemeinden in der andalusischen Stadt Granada als Sitz ihrer zentralen Moschee. Mitten im Albaicin, dem historischen Einwandererviertel, auf gleicher Höhe mit der weltberühmten Alhambra, ragt das Gebäude über die Stadt, nicht protzig zwar, aber doch an exponiertem Ort. Unbehagen und Protest löste der Bau des Gebäudes bei manchen Bürgern aus, doch die Weichen waren längst gestellt: Über 500 Jahre nach Abschluss der Reconquista, der Widereroberung der durch die Araber im 8. Jahrhundert besetzten spanischen Gebiete, die mit der Wiedereinnahme Granadas 1492 ihren endgültigen Abschluss fand, hat der Islam wieder ein lebendiges Zentrum in der Stadt. Historisch also ist die Diskussion um die Moschee enorm vorbelastet; und nachdem die öffentliche Diskussion sich zuletzt etwas beruhigt hatte, lebte sie nach den Attentaten von Madrid wieder auf. So sahen sich auch die granadinischen Muslime nach den Attentaten veranlasst, sich von den Anschlägen öffentlich zu distanzieren. In Spanisch und Arabisch taten sie ihre Zurückweisung des Terrorismus kund.

    Der Islam bedeute Friede und weise den Terrorismus zurück, verkündete ihr Sprecher. Und ein weiterer verdammte die Attentate.

    Die Urheber dieses brutalen Verbrechens sind nichts als schlichte Kriminelle: Feiglinge, Mörder, Geisteskranke. Sie erhalten keine Vergebung, weder von den Menschen, noch von Gott.

    Solidarität mit den Opfern und ihren Familien, Beileidsbekundungen und, immer wieder, eine deutliche Verurteilung der Tat. Erkennbar mühten sich die Muslime, sich von der Tat zu distanzieren, um der Toten zuletzt mit einem Gebet zu gedenken.

    Der Islam: eine politische Religion? Für Malik Ruiz Callejas, das Oberhaupt der Muslime spanischen Ursprungs, bedeutet er vor allem dieses: Eine Antwort auf die drängenden Fragen des Lebens.

    In meinem Fall etwa fand ich im Islam eine Lebensform, die mich innerlich wie äußerlich ausfüllte, und die jener Unruhe entspricht, die das menschliche Wesen, das Individuum während seiner verschiedenen Lebensphasen empfindet.

    Und auch historisch habe der Islam eine große Rolle in Andalusien gespielt. Für Ruiz Callejas stellt er die Glanzzeit der der spanischen Geschichte dar.

    Es ist bekannt, dass der Islam in Spanien die Epoche der höchsten Gerechtigkeit darstellt. Die Zeit der höchsten Blüte der Künste, der Literatur und der Wissenschaften war jene Epoche des al-Andalus, in der die Muslime die Stadt beherrschten.

    Eine umstrittene These. Spanier und Araber, das zeigen die jüngsten Forschungen, schenkten einander wenig. Ausgrenzung und Unterdrückung gab es auf beiden Seiten, längst nicht nur auf denen der Spanier, wie lange Zeit behauptet wurde. Und doch es ist der alte Glanz, an den die Muslime von heute wieder anknüpfen wollen. Abdel Kader, Direktor einer der muslimischen Gemeinden Granadas, umreißt das Anliegen der spanischen Muslime folgendermaßen:

    Der Islam stellt eine vollwertige Alternative dar – ebenso wie Kapitalismus, Kommunismus oder Sozialismus. Wir wollen den Westen bereichern, denn der Islam ist eine tief in der Geschichte verwurzelte Kultur. Er verfügt über ein vollständiges juristisches Inventar, eine vollständige Lehre, die alle Aspekte des familiären Lebens umfasst – die der Westen bis jetzt aber nicht versteht oder nicht verstehen will.

    Und doch: Nicht in allen Punkten wird sich Einigung erzielen lassen. In der Frage der Homosexualität etwa dürfte das gegenwärtige Europa sich den Ausführungen des Islam kaum anschließen wollen. Abdel Kader:

    Ich habe zum Beispiel nichts gegen die Homosexualität. Aber im Westen sind die Gesetze im einen Jahr gegen die Homosexualität, und ein Jahr später sind sie plötzlich dafür. Dies ist ein Hin und Her, das der Islam nicht erlaubt.

    Der Dialog zwischen Ost und West wird nicht abbrechen. Nicht nur im Schatten der Alhambra hat er zu neuem Schwung gefunden.