Das sind Fragen, die zu einer inzwischen längst stattfindenden Auseinandersetzung mit dem Islam beitragen - und darüber hinaus, weil notwendig, zu einer grundsätzlichen Diskussion über den Stellenwert von Religion in den weitgehend säkularisierten westlichen Gesellschaften führen könnten. Es sind Fragen, auf die zwei neue Bücher sehr unterschiedliche Antworten geben: "Ich klage an - Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frau" von Ayaan Hirsi Ali und "Das Kopftuch - Gefahr für die plurale Gesellschaft?" von Michael Widmann.
Zu den Autoren: Ayaan Hirsi Ali, 1969 in Somalia geboren, streng muslimisch erzogen, flieht 1992 in die Niederlande, um einer Zwangsheirat zu entgehen. In ihrer neuen Heimat bricht sie endgültig mit ihrem Glauben - und daraufhin ihre Familie mit ihr. Die junge Somalierin engagiert sich für muslimische Frauen, die ein ähnliches Schicksal erfahren haben wie sie - und wird von Muslimen bedroht. Sie zieht schließlich für die rechtsliberale VVD ins niederländische Parlament ein. Über die Landesgrenzen hinaus bekannt wird sie nach der Ermordung Theo van Goghs. Der niederländische Filmemacher hatte nach der Ausstrahlung von "Submission" (Unterwerfung), eines gemeinsam mit der Abgeordneten erstellten Kurzfilms über die sexuelle Ausbeutung muslimischer Frauen, von islamistischen Gruppen Morddrohungen erhalten.
Weniger spektakulär ist der Werdegang des zweiten Autors: Michael Widmann, Jahrgang 1964, hat Theologie und Philosophie studiert und anschließend als Pastoralassistent gearbeitet. Nach einer journalistischen Tätigkeit bei der Katholischen Sonntagszeitung ist er inzwischen als Verlagslektor tätig. Den Leser lässt der Ehemann und Vater nicht darüber im Zweifel, dass der christliche Glaube für ihn prägende Bedeutung hat. Allerdings dürfte er mit seinen Kopftuch-Thesen nicht überall in den Kirchen Anklang finden.
Sichtweise und Darstellung beider Buchautoren sind offenkundig eng mit ihren persönlichen Erfahrungen verknüpft: Für Ayaan Hirsi Ali bedarf der Islam dringend der Reform; ein muslimischer Voltaire müsse her, um die seit Jahrhunderten andauernde religiöse Bevormundung und damit den Niedergang der islamischen Welt zu überwinden. "Ich klage an" - nicht von ungefähr erinnert der Titel an Émile Zolas 1898 veröffentlichten Artikel "J'accuse", mit dem der französische Schriftsteller im Zuge der Dreyfus-Affäre gesellschaftliche Missstände anprangerte. Ayaan Hirsi Alis Kritik am Islam ist radikal, stellenweise sogar abweisend, während sie dem Westen zugleich einen menschenwürdigen Gottes- und Wahrheitsbegriff attestiert:
" Das erste Element ist die Beziehung eines Muslims zu seinem Gott: Sie ist angsterfüllt. Der Gottesbegriff des Muslims ist absolut. Unser Gott fordert völlige Hingabe. Er belohnt den Gläubigen, wenn dieser seine Gebote bis in die kleinsten Einzelheiten befolgt. Er straft grausam, wenn man seine Gebote übertritt ... Das zweite Element ist, dass der Islam nur eine einzige Quelle für seine Moral kennt: den Propheten Mohammed. Mohammed ist unfehlbar ... Das dritte Element ist die Dominanz einer Sexualmoral im Islam, die sich von den Werten arabischer Stämme aus den Zeiten ableitet, als der Prophet von Allah dessen Botschaften empfangen hat: eine Kultur, in der Frauen Besitz waren, Besitz der Väter, Brüder, Onkel, Großväter, des Vormunds. Das Wesen der Frau ist auf ihr Jungfernhäutchen reduziert. Ihr Schleier erinnert die Außenwelt permanent an die erstickende Moral, die muslimische Männer zum Besitzer der Frauen macht."
Dialog mit orthodoxen Vertretern des Islam ist für Ayaan Hirsi Ali nur Ausdruck typisch-westlicher Naivität. Dies führe nicht nur zu nichts, sondern sei geradezu zynisch, da sie allenfalls die vermeintlich liberalen Gewissen derjenigen beruhige, die diesen Dialog forderten, die muslimischen Frauen aber ihrem kümmerlichen Dasein überlasse. Ihre Forderung: Wer diesen Frauen helfen wolle, müsse ihnen konkrete, gehbare Wege aufzeigen, um eine Umgebung verlassen zu können, die repressiv sei. Und um darzulegen wie zweifelhaft aus ihrer Sicht der Einfluss der islamischen Religion auf Menschen ist, verweist die Autorin darauf, dass zwischen 1983 und 2000 elf von sechzehn großen internationalen Terroranschlägen von Muslimen verübt worden seien, dass fünf von sieben Staaten, die nach Angaben des US-State-Department Terroristen unterstützen, muslimische Länder sind, dass nach Angaben des Londoner International Institute of Strategic Studies im Jahr 2000 an zwei Dritteln der 32 weltweit ausgetragenen bewaffneten Konflikte Muslime beteiligt waren.
Zu einem ganz anderen Urteil kommt hingegen Michael Widmann: Der Schleier sei nicht Ausdruck der Unterdrückung der Frau, sondern vielmehr in zahlreichen Kulturen, auch in christlichen, über Jahrhunderte selbstverständlich gewesen. Allzu leichtfertige Urteile über den Islam weist der Autor entschieden zurück:
" Unsere Darstellung wird sich am Selbstverständnis von gläubigen Menschen muslimischen Bekenntnisses orientieren. Wir haben keinen Anlass zu behaupten, dieses Selbstverständnis sei mehr geschönt als das von gläubigen Menschen protestantischen oder katholischen Bekenntnisses ... Wenn jemand beispielsweise die Absicht hat, anhand des Kopftuchtragens die islamische Frauenfeindlichkeit zu demonstrieren, so wird ihm dies unter Zuhilfenahme entsprechender Literatur auch gelingen. Er wird sich aus den Schriften des Islams, die in weit über tausend Jahren entstanden sind und aus dem Leben der gegenwärtig einen Milliarde Muslime... alle misogynen Schweinereien herausfiltern, die ihn zum Ziel führen."
Widmann bezieht sich auf die bekannte Orientalistin Annemarie Schimmel, wenn er behauptet, der Islam habe die Stellung der Frau in Arabien gegenüber vorislamischen Zeiten deutlich verbessert. Frauen hätten nun etwa ererbtes, eingebrachtes oder in der Ehe erworbenes Vermögen selbst behalten und verwalten können. Und er zitiert eine Hadith aus der Sunna, einen Spruch aus der Sammlung, die dem Propheten zugeschrieben wird, wonach ein Vater oder Souverän keine erwachsene, geistig zurechnungsfähige Frau ohne ihre Einwilligung verheiraten darf. Der Glaube Mohammeds entmündige Frauen also keineswegs. Hier greift Widmann etwas kurz. Denn natürlich weiß man, dass die Entmündigung gängige Münze ist und dass sie sogar, auch in Deutschland, zu den so genannten Ehrenmorden an Frauen geführt hat, die aus der Unterwerfung unter die totale Männerherrschaft ausbrechen wollten.
Ayaan Hirsi Ali
Ich klage an.
Plädoyer für die Befreiung der muslimischen Frau, Piper-Verlag, München 2005
Michael Widmann
Das Kopftuch - Gefahr für die plurale Gesellschaft? Sankt Ulrich Verlag, Augsburg 2005