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Der japanische Großmeister des Kinos

Wer sich die Bedeutung des Regisseurs Akira Kurosawa vor Augen führen will, muss nur wissen, dass es allein von seinem Film "Die sieben Samurai" sechs US-Remakes gibt und dass er von einer Filmgröße wie Francis Ford Coppola geradezu angehimmelt wurde. Der japanische Großmeister des Kinos wurde vor 100 Jahren geboren.

Von Katja Nicodemus | 23.03.2010
    Welche Gewissheiten lassen sich über einen Regisseur sagen, dessen Werk vor allem ein Leitthema hat: die Auflösung aller Gewissheiten?

    Akira Kurosawa, das zumindest ist gewiss, war der bedeutendste japanische Regisseur, einer der Großmeister des Weltkinos oder, wie japanische Journalisten seine einsame Autorität so schön benannten, der japanische Kaiser, der Tenno der Filmgeschichte.

    "Attacke!" - "Vorwärts!"

    Mit dem Namen Kurosawa verbindet man zunächst die großen Kampf- und Schlachtengemälde aus Historienfilmen wie "Ran" und "Kagemusha", die waffenstarrenden Krieger aus "Die sieben Samurai". In die Tiefe gestaffelte Totalen, Panoramen voller gegenläufiger Bewegungen, geschult an der japanischen Holzschnitttechnik. Ein Gleichgewicht der Elemente zwischen Ruhe und Rasanz, Gewalt und Stille.

    Aber, und das ist schon die Auflösung einer Gewissheit: Auf zutiefst japanische Art war Kurosawa ein zutiefst unjapanischer Regisseur. Er führte einen Dialog zwischen Ost und West, verfilmte Dostojewskis "Idiot", Gorkis "Nachtasyl", Shakespeares "Macbeth" und "King Lear".

    Die kulturelle Tradition seines Landes, die den Individualismus verdammt und die Selbstaufopferung über alles stellt, war ihm zutiefst suspekt. In seinen Filmen treten kühne, draufgängerische, auch überhebliche Figuren auf, die Autorität und Tradition infrage stellen. Etwa in Kurosawas 1985 entstandenem mittelalterlichen Epos "Ran" über den blutigen Untergang einer Dynastie. Als der Vater sein Reich unter seinen drei Söhnen aufteilen will, fürchtet Saburo, der jüngste, bereits die künftige Zwietracht und schlägt dem alten Herrscher gegenüber ganz und gar unzeremonielle Töne an:

    "Wieder so eine von deinen spöttischen Reden! Warum führst du dich immer so auf?"

    "Ihr seid ein Tor, Euer plötzlicher Entschluss ist lächerlich. Ihr seid senil oder schwachsinnig."

    "Senil oder schwachsinnig?"

    "Ja, Vater, senil oder schwachsinnig."

    "Schweig! Wie kannst du es wagen, deinen Vater so zu beleidigen?"

    Akira Kurosawa, der am 23. März 1910 in Tokio als Sprössling einer uralten Samurai-Familie geboren wird und dort 1998 stirbt, entstammt einer Generation, die nicht mehr vor den Älteren kuschen will. Er entzieht sich den spartanisch-sportlichen Erziehungsidealen seines Vaters, eines kaiserlichen Offiziers. Sein Blick auf die japanische Gesellschaft wird durch den Zweiten Weltkrieg und die Niederlage Japans geprägt. Kurosawa ist überzeugt, dass Freiheit und Demokratie nur bestehen können, wenn der Einzelne seine Individualität behaupten kann, in all ihren Widersprüchlichkeiten.

    Seinen Figuren verleiht Kurosawa denn auch eine geradezu shakespearesche Tiefe und Zwiespältigkeit. Auch dem Dieb, der in seiner Adaption von Gorkis "Nachtasyl" von einem Mönch zu einem besseren Menschen gemacht werden soll:

    "Du bist ein ulkiger Kerl. Sind hübsche Geschichten, die du so spinnst. Aber glauben kann man die nicht. Mach schon weiter, wir hören dir gern zu. Aber gib zu, es sind Märchen. Wer will schon die Wahrheit hören in diesem Dreckloch."

    Die Vorstellung, dass Gut und Böse nicht streng geschieden sind, dass Wahrheit immer eine Konstruktion und eine Frage des Blickwinkels ist, bestimmt in Kurosawas Film "Rashomon" von 1950 sogar das erzählerische Prinzip.

    In vier verschiedenen Versionen und Kapiteln zeigt Kurosawa, wie ein Räuber im 12. Jahrhundert einen Reisenden und dessen Frau überfällt, die Frau vergewaltigt und den Ehemann ersticht.

    Mehrere Figuren werden ihre eigene Version und Wahrheit der Geschehnisse berichten. Aber im Grunde entwerfen sie dabei Selbstbilder:

    "Als ich meinen Mann in Fesseln vor mir sah, da griff ich unbewusst nach meinem Dolch. Aber was konnte eine schwache Frau wie ich schon tun? Ich war hilflos."

    Für Akira Kurosawa ist "Rashomon" ein Schlüsselwerk. Als er Anfang der 80er-Jahre sein Buch "So etwas wie eine Autobiografie" veröffentlicht, lässt er diesen Lebensbericht im Jahr 1950 mit den Dreharbeiten zu "Rashomon" enden.

    Wer einen Film drehe, in dem die Menschen vor der Wahrheit flüchten, so Kurosawa, der könne nach diesem Film auch keine Autobiografie mehr schreiben. Denn was wäre eine Biografie anderes als eine jener Rashomon-Geschichten, bei denen sich der Erzähler doch nur selbst ins beste Licht rückt? Wohl kaum ein anderer Regisseur ist der moralischen Aussage seines Werkes - die Gewissheit der Ungewissheit - so konsequent gefolgt wie Akira Kurosawa.