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"Der jüngste Regisseur des deutschen Theaters"

Er war schwer krank und die Preisverleihung beim Berliner Theatertreffen vor wenigen Wochen hatte schon etwas Ergreifendes für alle, die dabei waren. Der Theaterregisseur Jürgen Gosch ist in der Nacht auf Donnerstag seinem Krebsleiden erlegen. Er wurde 65 Jahre alt und war das, was Claus Peymann in einer Würdigung einen Probenzauberer genannt hat.

Von Andreas Wilink |
    Er war einer der kreativsten, produktivsten und zumal in seinem letzten Lebensjahrzehnt grandios erfolgreichen Regisseure des deutschsprachigen Theaters. Dabei unterhielt Jürgen Gosch zu Autoren sehr exklusive Beziehungen. Seine Auswahl von Stücken war vergleichsweise schmal. Gosch inszenierte bevorzugt Molière und Kleist, Shakespeare und Beckett und, in der Gegenwartsdramatik, Yasmina Reza und Roland Schimmelpfennig – bei letzteren meistens die Uraufführungen.

    Allesamt Autoren, die das Grundrätsel des Menschseins nicht zu lösen versuchen. Ob "Prinz von Homburg", oder "Hamlet": Nach Jahr und Tag unterzog Gosch die Werke neuerlicher Betrachtung, die mehr einer Selbstüberprüfung glich. So wollte er etwa wissen, sagte er pointiert, als er den "Sommernacht-Traum" ein weiteres Mal am Deutschen Theater Berlin probte, ob die Handwerker aus dem Athener Zauberwald nicht vielleicht auch die Elfen seien.

    Zum Phänomen Gosch gehört, dass er sich in seiner Spätphase noch einmal neu erfand und, in Berlin, Hamburg und Düsseldorf, in Hannover, Bochum, Köln oder Zürich, seine Methode der Verdichtung und Entschlackung intensivierte. Dies in kongenialer Kombination mit seinem Ausstatter Johannes Schütz. Dekoratives und Narratives blieb der Bühne – zumeist ein offenes leeres Geviert oder ein geschlossener Kasten – fern. Entledigt von Beweislast, wurde jeder Hinweis auf Aktualität verbannt. Als sei der Moment von – krasser, schroffer oder gar schäbiger – Schönheit der eigentliche Anlass und Grund. Letzte Konsequenz dieser Haltung war, dass Goschs Schauspieler nackt auftraten, in statu nescendi. Der Spieltrieb, die Natur des Komödianten, das Rüstzeug des fahrenden Volkes, ein paar Eimer Wasser, ein Pott Farbe, ein Haufen Reisig, ein Gestrüpp von Ästen – mehr brauchte es nicht, um die Sinnfrage weniger zu stellen, als vielmehr darzustellen.

    "Phantasie" misstraute er; ein Theater der Kommentare und Statements verachtete er. Konvention ödete ihn an. Der Mann, der zuvorkommend und höflich wie ein englischer Gentleman und auch mit dessen subtiler Unnahbarkeit auftrat, war ein Radikaler. Und nur geringfügig kokett, wenn er behauptete, zu den Dingen des Alltags und der Gesellschaft keine Meinung und auch sonst keine Fähigleiten und Interessen zu haben.

    Am extremsten zeigte sich die Gosch-Methode 2005 in seinem elementaren, die Debatte über sogenanntes "Ekeltheater" auslösenden Düsseldorfer "Macbeth". Die sich am Urzustand berauschenden Leiber des Ensembles, das sich mit Modder und künstlichem Blut besudelte, führten das Theater ganz zu sich selbst: in eine archaische, säkular kultische Handlung. Gosch sah dem zu wie ein kultivierter Frankenstein, dessen Kreaturen sich doch so frei und gelöst fühlten, wie bei kaum einem anderen Regisseur. Er mobilisierte seine Schauspieler zu den unmöglichsten Entäußerungen, ohne ihnen ein Organisations-Schema aufzuzwingen.

    Gosch war ein Künstler, der seinen Widerspruchsgeist stets mitformulierte, sich als Wirkungsmechaniker betrachtete und zugleich dazu aufforderte, Wirkung auf der Bühne tunlichst zu vermeiden. Zum Prinzip gehörte es, alle Schauspieler des Stücks gemeinsam auf der Bühne sein zu lassen und über die Dauer der Aufführung Energiefluss und erotische Spannungen zu halten. Gleichzeitig enthüllte er die dem Theater eigenen Instrumente und Mechanismen des Bühnen-Apparates und die Fiktion der Wirklichkeit, um gemäß Friedrich Schiller ein "drittes, fröhliches Reich des Spiels und des Scheins" zu erzeugen.

    Der frühe Jürgen Gosch, 1943 in Cottbus geboren und zum Schauspieler ausgebildet, bevor er die DDR 1978 verließ, nachdem seine Inszenierung von Büchners "Leonce und Lena" aus politischen Gründen abgesetzt wurde, war ein Mann des Dunkels, des Schwerblütigen, pessimistisch Verschatteten. Sein größtes Debakel erlebte er als Direktoriumsmitglied der Berliner Schaubühne, als sein dortiger "Macbeth" 1988 von der Kritik vernichtet wurde. Ansonsten reihten sich Triumphe und Auszeichnungen, ob in Köln bei Jürgen Flimm mit "Menschenfeind" und "Ödipus", ob später in Düsseldorf mit seinen wie improvisierten, entmaterialisierten Aufführungen von Kleist oder Jon Fosse; und vielfach am Deutschen Theater Berlin mit Extrem-Exkursionen, sei es zu Albees Eheschlacht "Wer hat Angst vor Virginia Woolf? " 2006 oder zuletzt zu Tschechows "Onkel Wanja".

    Jürgen Gosch konnte in der Öffentlichkeit bis zum Brüskierenden verstummen. Oder aber Sätze sagen wie diesen: "Wenn es einem gelingen würde, eine Aufführung von Beckett zu machen, die der Skandal sein könnte, der Beckett ist, wäre das ein unglaublicher Sieg."