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Der jüngste Rentenkompromissvorschlag geht in die richtige Richtung, aber Beitragsbelastung ist noch viel zu hoch

    Birke: Im sächsischen Radebeul geht heute die FDP-Bundestagsfraktion in Klausur. Am Telefon begrüße ich nun den Bundesvorsitzenden der Liberalen, Wolfgang Gerhardt. Schönen guten Morgen!

    Gerhardt: Guten Morgen Herr Birke.

    Birke: Herr Gerhardt, bevor wir auf die eigentlichen Themen der Klausurtagung zu sprechen kommen kurz die Frage: 10 Pfennig Steuerabschlag in diesem, 7,5 Pfennig im nächsten Jahr bei LKW-Diesel in Frankreich. Rechnen Sie nach dieser quasi Erpressung der französischen Regierung durch die Spediteure dort mit Nachahmung auch in Deutschland?

    Gerhardt: Es ist ein ungewöhnlicher Vorgang, aber klar ist, dass die steuerliche Belastung für Benzin in Deutschland gewaltig hoch ist und dass rot/grün durch die Ökosteuer, die diesen Namen überhaupt nicht verdient, ein neues Abkassiermodell noch oben draufgesetzt hat. Ich halte es für notwendig, dass die Ökosteuer fällt. Sie belastet ganze Regionen. Wir tagen hier in Ostdeutschland. Hier hat nicht jeder Mann eine S-Bahn vor der Tür, um auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen zu können, auch in westdeutschen Regionen vielerorts nicht. Die Menschen, die auf das Auto angewiesen sind, um zur Arbeit zu kommen, bezahlen in den Staatshaushalt in gewaltigen Höhen.

    Birke: Statt das Regulativ Ökosteuer abzuschaffen oder auszusetzen, sollte man da nicht besser die Kilometerpauschale anheben?

    Gerhardt: Man kann die Kraftfahrzeugsteuer abschaffen, auf die Mineralölsteuer umlegen. Man kann alle Varianten auch mit der Anhebung umwandeln in eine Entfernungspauschale, um den Menschen zu helfen. Man kann aber nicht in dieser Art und Weise - die Ökosteuererhöhung läuft ja auch im nächsten Jahr weiter - ein solches Abkassieren der Bürger unternehmen.

    Birke: Welche Lösung würden Sie denn präferieren: Kilometerpauschale anpassen?

    Gerhardt: Ich würde das in eine Entfernungspauschale umwandeln, damit man den Leuten auch freistellt, welche Wahl des Verkehrsmittels sie machen. Ich würde die Kraftfahrzeugsteuer in Deutschland abschaffen, die ja eine lange Bürokratie voraussetzt, und würde dieses Volumen auf die Mineralölsteuer umlegen. Dann entscheidet jeder selbst über den Verbrauch an der Zapfstelle, wie viel, wohin und wie teuer er sich bewegen will.

    Birke: Herr Gerhardt, auf der Klausurtagung heute im sächsischen Radebeul wollen Sie auch über die Rentenreform der Regierung sprechen, Wiedereinführung der Nettolohnanpassung im kommenden Jahr, Kinderzuschuss sowie allgemeine Förderung der privaten Altersvorsorge. Das sind jetzt zwei Maßnahmen, die die Regierung ins Auge fasst. Sind damit die harten Nüsse der Rentenreform geknackt? Können Sie sich mit dem Konzept jetzt besser anfreunden?

    Gerhardt: Die Richtung der Rentenreform stimmt. Die SPD hat ja eine Kehrtwende vollziehen müssen, weil sie auch zur Kenntnis genommen hat, dass die alte gesetzliche Rente so nicht mehr trägt. Die Begleitung des Aufbaus privater Vorsorge ist richtig. Am Ende steht allerdings noch eine Beitragsbelastung von 22 Prozent in der gesetzlichen Rentenversicherung und vier Prozent in der privaten, zusammen 26 Prozent. Das ist zu hoch auch für die junge Generation in den nächsten Jahrzehnten. Dort muss noch eine Korrektur erfolgen.

    Birke: Wie soll diese aussehen? Lebensarbeitszeitverlängerung, wie Sie es schon einmal vorgeschlagen haben?

    Gerhardt: Ich glaube, dass wir schon glücklich sein könnten, wenn die Lebensarbeitszeit, wie wir sie heute haben, wieder besser ausgenutzt würde. Wir haben ja im Grunde genommen eine Lebensarbeitszeit bis zum 65. Lebensjahr, aber es gehen die meisten mit 59,8 Jahren in Rente. Das wird nicht erträglich sein. Lebensarbeitszeitverlängerung denke ich von vorne, früherer Berufseintritt. Das ist das mindeste, was erreicht werden muss, eben kürzere Schul- und Ausbildungszeiten.

    Birke: Wie stehen Sie zu dem Konzept einer Grundsicherung?

    Gerhardt: Ich bin nicht für eine Grundsicherung. In der Absicherung gegen soziale Not ist die Grundsicherung in den sozialen Sicherungssystemen die Sozialhilfe. Eine weitere Grundsicherung in der gesetzlichen Rente ist aus meiner Sicht systematisch und auch aus Gerechtigkeitsgründen nicht erträglich.

    Birke: Können Sie denn mit diesen Themen in der Rentendebatte überhaupt Punkte sammeln, oder haben Sie jetzt schon mit Blick auch auf die im kommenden Jahr anstehenden Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg bewusst das Thema "aussetzen der Wehrpflicht" ein bisschen lanciert, Herr Gerhardt?

    Gerhardt: Zunächst mal zur Rente. Das muss eine generationengerechte Rente sein, die es jetzt noch nicht ist. Herr Riester ist den Gewerkschaften entgegengekommen. Das geht zu Lasten der jungen Generation. Ich werde der Fraktion vorschlagen, genau zu prüfen ob sie bei diesem Beitragsvolumen dieser Rentenreform zustimmen kann. Was die Reform der Bundeswehr betrifft, da werden wir auf einem Parteitag in diesem Monat über die zukünftige Wehrform entscheiden. Wir halten es für schwer erträglich, eine Bundeswehrreform zu machen, wie sie Herr Scharping vorsieht und wie sie auch die Weizsäcker-Kommission vorgeschlagen hat, die zu einer Art Auswahlwehrdienst bei der Weizsäcker-Kommission führt und zu keiner Wehrgerechtigkeit mehr bei der Scharping-Reform. Denn niemand kann der jungen Generation Wehrpflicht vermitteln, aber gleichzeitig erklären, dass ein Teil der jungen Generation nicht mehr eingezogen wird.

    Birke: Was hätte das denn für Konsequenzen für den Zivildienst?

    Gerhardt: Das hätte die Konsequenzen für den Zivildienst, dass dieser in der bisherigen Form so nicht mehr erledigt werden kann. Es kann aber nicht die Fragestellung sein, wie wir den Zivildienst in Deutschland erledigen. Die Wehrpflicht muss schon beurteilt werden nach der Wehrgerechtigkeit. Sie kann der jungen Generation nur auferlegt werden, wenn die auch das Gefühl hat, dass alle gerecht eingezogen werden, wenn es die Wehrpflicht in Deutschland gibt.

    Birke: Sollte man nicht gleich ganz auf eine Freiwilligenarmee setzen? Wäre das nicht eine Linie, die Ihre Partei hier offensiv vertreten sollte?

    Gerhardt: Es gibt wie immer in einer Partei dazu kontroverse Auffassungen, auch unterschiedliche Anträge. Mein Vorschlag ist, die Wehrpflicht auszusetzen, sie jetzt nicht abzuschaffen. Die Welt ist noch nicht in einem absoluten Friedensstadium angekommen. Wie sich zukünftige Szenarien und auch Krisen entwickeln, kann heute niemand vorhersagen. Mein Vorschlag geht darauf hinaus, jetzt die Wehrpflicht auszusetzen, eine Freiwilligenarmee zu installieren, aber dieser Freiwilligenarmee auch eine Reihe von Chancen zur Seite zu geben, die im Grunde genommen die Rekrutierung ihres Führungspersonals ermöglicht. Ich schlage sehr konkret vor, 30.000 ganz normale Haushaltsstellen zu schaffen weiterhin für Soldaten auf Zeit, die sich für 12 oder 24 Monate verpflichten können. Dann hat die Armee ein junges Potenzial für die Rekrutierung des Führungsnachwuchses und bleibt auch als Freiwilligenarmee breiter in der Gesellschaft verankert.

    Birke: Sie tagen heute ja in Klausur mit der FDP-Bundestagsfraktion im sächsischen Radebeul. Der Kanzler hat ja gerade seine Tour durch die Ost-Länder absolviert und auch in Aussicht gestellt, den Aufbau Ost zu verlängern. Wie steht Ihre Partei dazu?

    Gerhardt: Ich sehe auch diese Notwendigkeit, denn wir beschäftigen uns in dieser Klausur am letzten Tag mit dem Thema Aufbau Ost, also einem Solidarpakt nach 2004, den wir alle für notwendig erachten. Wir haben noch Nachholbedarf in der Infrastruktur. Es muss in Ostdeutschland noch viel stärker die Eigenkapitalbasis der mittleren und kleinen Unternehmen gestärkt werden. Wir brauchen weiterhin eine breite Herausbildung von Existenzgründern und Mittelstand. Deshalb ist es nicht mehr und weniger als fair anzusehen, wenn wir schon frühzeitig vor 2004 signalisieren, wie wir uns den weiteren Aufbau Ost nach 2004 vorstellen.

    Birke: Auch mit gleich hohem Solidarbeitrag, Solidaritätszuschlag?

    Gerhardt: Ich glaube, dass die Fördermechanismen überprüft werden müssen, ob sie in der Höhe noch gebraucht werden, in welchen Branchen sie gebraucht werden, in welchen Bereichen, wo es noch Lücken gibt. Das kann man sehr objektiv feststellen. Dazu werden wir uns von führenden Wirtschaftsforschungsinstituten beraten lassen.

    Birke: Glauben Sie denn, dass Sie mit solchen Themen, insbesondere auch dem Aussetzen der Wehrpflicht, das Projekt 18, sprich 18 Prozent Ihres Parteifreundes Jürgen Möllemann mit Leben erfüllen können?

    Gerhardt: Wir werden zweistellig werden können. Wir haben jetzt eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die die Bundestagswahl 2002 vorbereitet. Das muss uns nicht heute mit allen Fragen im Jahr 2002 beschäftigen, aber klar ist, dass die FDP, wenn sie konsequent Position bezieht, ein zweistelliges Potenzial erreichen kann.

    Birke: Mit einem Kanzlerkandidaten der FDP namens Möllemann?

    Gerhardt: Die Arbeitsgruppe entscheidet über die Strategie der Wahlen 2002 und der nächste Bundesparteitag wählt die Spitzenmannschaft. Wer zur Spitzenmannschaft gehören will, muss am nächsten Bundesparteitag kandidieren. Das Team, das die Partei wählt, ist das Team, das in die Bundestagswahl führt.

    Birke: Wären Sie denn bereit, auf eines Ihrer Ämter, Fraktions- oder Parteivorsitz, zu Gunsten eines anderen zu verzichten?

    Gerhardt: Ich glaube, dass wir, wie ich schon geantwortet habe, mit einem Team antreten werden. Da muss sich jeder überprüfen, was seine Funktion sein kann. Diese Entscheidungen treffen wir aber im nächsten Jahr.

    Birke: Das heißt es gilt die Devise, die Ihr Ehrenvorsitzender Otto Graf Lambsdorff ausgegeben hat: einen Vorsitzenden stürzt man oder man stützt ihn. Sie erwarten, dass Möllemann Sie weiterhin stützt?

    Gerhardt: Ich gehe davon aus, dass wir im nächsten Jahr genau wissen und die Partei das auch wissen muss, dass sie mit der Wahl des Präsidiums der Bundespartei auch die Entscheidung über die Personen trifft, die für die Partei die Spitze zur Bundestagswahl ausmachen, und dass die Mitglieder und die Delegierten in dieser Entscheidung sich darüber völlig im klaren sein müssen. Deshalb gehen wir jetzt erst in die Wahl und gehen dann in die Wahl der eigenen Führungsspitze für die Bundestagswahl.

    Birke: Stichwort Wahl. Die Wahlen in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, Herr Gerhardt, rücken näher. Wie lange können Sie eigentlich noch weiter tatenlos zusehen, wie die FDP in Hessen mit unter dem Glaubwürdigkeitsverlust von CDU-Ministerpräsident Roland Koch leidet? Wollen Sie nicht den Druck wieder verstärken?

    Gerhardt: Was die Bundespartei zu Hessen sagen konnte hat sie im Frühjahr gesagt. In Hessen ist meine Auffassung jedoch unterlegen in einer ausführlichen und breiten öffentlichen Diskussion auf dem Landesparteitag. Nun liegt es an den hessischen Freunden selbst, die Bewertungen vorzunehmen. Ich habe dem nichts Neues mehr hinzuzufügen. Meine Meinung zu Hessen war und ist bekannt.

    Birke: In den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk war das Wolfgang Gerhardt, der Parteivorsitzende der FDP.

    Link: Interview als RealAudio