Freitag, 19. April 2024

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Der junge Fordt

Der junge Fordt ist Mirko Bonnés Erstlingsroman und es geht darin um einen Jungen, der in einem Drei-Männer-Haushalt aufwächst. Die Atmosphäre ist düster , traditionsschwanger nd streng. Mit Fordt senior, dem Erfinder einer Schiffsschraube und dem Arzt Seeler lebt er auf einem Hausboot. Seitdem die Mutter nach Italien geflüchtet ist, erproben Seeler und der Alte ihre Autorität am jungen Fordt. Der verdöst sein Leben zwischen diesem Altherrrendoppel. Warum die beiden Männer ihr Leben miteinander verbringen, der Leser erfährt es nicht.

Brigitte Neumann | 23.05.2000
    Eines Tages jedenfalls wird der junge Fordt von ihnen nach Italien geschickt, um die Mutter wieder heimzuholen. Auf dem Weg dorthin wird er im Zug nicht nur von einem Prothesenhändler bedroht, sondern auch von einer unbekannten Einbeinigen angebaggert. Im Roman heisst es:

    Duftend segelte der Mond über die Felder. Im Nebenabteil dudelte ein Hit von Metallica. Kids grölten den Refrain mit, ahmten E-Baß und Percussion nach, "Torte., lass das!" kam es herüber, und ich wunderte mich: im Gegensatz zu Mara, die aufstöhnte und sicher die Augen verdrehte, kam mir diese Bezeichnung zum ersten Mal nicht abgeschmackt vor. Ich fand sie sinnlicher, als es jeder Mädchenvorname aus dem Mund enes halbstarken, halbschwachen Dreizehnjährigen hätte sein können. "Mögen Sie diese Musik nicht?" fragte ich noch - da war sie im Halblicht plötzlich dicht vor mir, und obschon ich nicht erschrak, auch dann nicht, als sie mich knapp über dem Herzen berührte und eine Hand sich auf meine Schulter schob - etwas durchfuhr mich, machte mir diese verzögerte Nähe unerträglich, und wieder spürte ich es mit abstoßender Wucht aus mir herausfahren: "Dürfte, dürfte, dürfte." Mara fuhr auf meine Brust hinab. "Du hast kein Herz, sagte sie mit gespieltem Kinderstaunen, "doch warte". - Hier ist es, jetzt, jetzt spür´ich´s...! Lieblich sind die Vampirjägerinnen. Eine Hand hält den Pflock, der über Herz oder Nichtherz entscheidet, und ein Mund erzählt dir, was sie - "rein zufällig" - mit der Stadt, zu der du unterwegs bist, verbindet."

    Mirko Bonné, 1965 in Oberbayern geboren, lebt in Hamburg und hat nach Gedichten und Übersetzungen dort binnen vier Jahren seinen Erstlingsroman "Der junge Fordt" geschrieben. Dazu der Autor:

    Naja, es ist der Versuch, eine Autobiographie zu erzählen, ohne bei der Wahrheit bleiben zu müssen. Sein Leben zu erzählen, ohne dabei irgendetwas von sich preiszugeben.

    Das hört sich schwierig an - ungefähr so schwierig, wie Bonnés Buch sich liest. Bonné hat keinen Roman abgeliefert, sondern eine Ansammlung von Introspektionen, und die sind auch noch abstrakt, von Situationsbeschreibungen, Skurrilitäten, bißchen Philosophie, bißchen Lyrik, bißchen Dada-Prosa. Oder was bedeuten Sätze wie dieser:

    "Dreizehn Jahre, und von kochenden Molekülen in Menschen, in Dingen, blieb mir nichts als lauwarmes Kalkül."

    Wenn dann Bonné auch noch mit "homöopathisch dosiertem Humanismus und ontologisch verbrämtem Onanismus" anfängt und wenn auf der nächsten Seite dann aus der Mülltonne "verschwiegen die Blumen sprießen", bemerkt der Leser den bergwerkstiefen Ehrgeiz des aufstrebenden Autors, sein Bemühen um Niveau ... und ist verstimmt.

    Aber es wäre ungerecht zu sagen, das Buch sei nur schlecht. Der junge Fordt enthält sozusagen under cover eine Menge Songtexte und seine schönsten Erlebnisse hat der Leser damit, sich die passende Musik zum Text vorzustellen: Trance, Drum and Bass, Funk, Hip Hop, Rap oder Rock. Dazu der Autor:

    "Ich hab in der Tat zu Musiktexten schon immer ein sehr enges Verhältnis gehabt - mehr als zur Musik selbst. Ich habe zum Beispiel meine übersetzerische Tätigkeit angefangen, indem ich Songs von Genesis übersetzt habe, aus dem Anfang der 70er. Und ich hab in den 80ern sehr viel Musik gehört, sehr viel BritPop, als es noch nicht so hieß, sehr viel düsteren Gitarrenkram und auch sehr textlastiges Zeug. Und das ist sicher etwas, was hier eingeflossen ist, also der mythos vom unglücklichen jungen Mann: All the people I like are those that are dead. Solche Zeilen vergisst man nicht..."

    Bonné, der das Werk des Romantikers John Keats aus dem Englischen übersetzt hat, nennt als großes Vorbild den Pop-Literaten Rolf Dieter Brinkmann, auf dem Gebiet der Lyrik Georg Trakl. Bonné:

    "Na, ich hab schon sehr früh geschrieben, und hab damit nie aufgehört, es scheint irgendwas in mir drinzustecken, das das das da irgendwie hin will, ne Mischung aus Geltungssucht und diesem ja merkwürdigen Bedürfnis, sich selbst gestalten zu wollen."

    Wie viele der jungen deutschen Autoren ist Mirko Bonné Mitglied einer Literatengruppe. Sie heißt Das Forum der 13. Bekannteste Mitglieder sind Norbert Niemann und Heiner Link. Anders als die Gruppe 47 um Böll, Bachmann und Grass, will Bonné nicht, dass das Forum der 13 sich in irgendeiner Form politisch äußert:

    Ich glaube nicht, dass es heute um irgendeine Schlagkraft gehen kann, ehrlich gesagt. Wogegen? Also ich frag mich, wogegen soll ich eigentlich schlagen? Ich weiß auch gar nicht, wo der Feind steht, ehrlich gesagt. Es ist ne Frage von Sympathie oder Antipathie - um Gottes Willen, also - selbst ein Mann wie Manfred Kanther, der sicherlich jahrelang als Feindbild hochgehalten wurde, wenn man den irgendwie über sein Leben reden hörte, dann dachte man ja, mein Gott, er ist halt auch ein Mensch wie du und ich, hat seine Vorlieben, hört seine Musik, liebt seine Gemälde, und - tja, hat seine Fehler. Ich meine, es ist wirklich ein Problem. Ich hab keine Lust, irgend jemand zu verdammen, ehrlich gesagt." Ältere Autoren äußern gelegentlich den Verdacht, man müsse heute zuallerst mal der richtige Jahrgang sein, um gedruckt zu werden. Junge sollen sich besser verkaufen.

    Aber was ist, wenn die Jungen noch älter schreiben, als ihre Großväter? Und so eindeutig nach Literatenruhm schielend.

    Starrer, greiser, trauriger als "Der junge Fordt" jedenfalls kann junge Literatur gar nicht sein.