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Der Käse wird kleiner

Der Mond ist viel zu wichtig, als dass man ihn den Wissenschaftlern überlassen dürfte. Er ist im Gegensatz zu vielen anderen Himmelskörpern kein Gegenstand der Astrophysik, sondern der Metaphysik.

Von Burkhard Müller-Ullrich | 22.08.2010
    Unser menschliches Dasein ist mit ihm auf ganz besondere Weise verbunden; der Mond wirkt direkt auf die Frauen, das Meer und die Dichter, deswegen macht uns die Nachricht, dass der Mond kleiner wird, unweigerlich unmittelbar und ungemein betroffen.

    Das Kleinerwerden des Mondes ist eines jener Phänomene, deren Auf- und Eintreten wir nämlich – ohne angeben zu wollen! – seit geraumer Zeit erwartet haben. Denn erstens haben unsere Vorfahren schon vor Jahrtausenden bemerkt, wie variabel der Mond ist: mal groß, mal klein, mal dick, mal schmal, und haben aus dieser Launenhaftigkeit allerlei weitreichende Rückschlüsse auf das Dasein als solches gezogen, und zweitens ist es logisch, dass diese ständigen Formveränderungen den Mond eine Menge Kraft - und das heißt eben auch Substanz - kosten, sodass ein allmähliches Dahinschwinden dieses theatralischen Erdtrabanten nicht nur recht wahrscheinlich, sondern durchaus unabwendbar erscheint.

    Letzteres ist ein für uns Deutsche speziell unerträglicher Gedanke, denn wir haben uns so sehr aufs Abwenden von allem Möglichen verlegt, sei es ein wärmeres Klima oder sei es der Staatsbankrott Griechenlands, dass uns die Vorstellung, gegen die Mondschrumpfung rein gar nichts unternehmen zu können, vielleicht am allermeisten deprimiert. Sie nimmt also ihren Lauf, und was man schon nicht ändern kann, daran muss man sich wenigstens gedanklich abarbeiten.

    Zum Beispiel mit der Überlegung, dass die mutmaßliche Mondschrumpfung in der Größenordnung von einem 35.000stel eine zwar wissenschaftliche, aber auch relative Beobachtung darstellt, denn gemäß den Erkenntnissen der modernen Physik hängt jede Beobachtung vom Beobachter ab. Nun entspricht es ja unserer Erfahrung, dass mit der Zeit alles kleiner wirkt, weil wir größer geworden sind. Wer hat nicht mal die Stätten seiner Kindheit besucht und gestaunt, wie winzig das alles in Wirklichkeit ist, was als riesig in der Erinnerung war? Könnte es sich mit den Mondforschern ähnlich verhalten?

    Oder ist es einfach eine Frage der Entfernung, wobei es ebenso denkbar wäre, dass der Mond mehr Abstand von der Erde hält, wie dass er näher kommt und deswegen kleiner erscheint, weil es sich um einen Scheinriesen wie den famosen Herrn Turtur in Michael Endes Geschichte von Jim Knopf und Lukas, dem Lokomotivführer, handelt? Die Sache bleibt, obwohl sie in der renommierten Zeitschrift "Science" berichtet wird, großflächig dunkel und rätselhaft. Verdächtig ist schon die Tatsache, dass sich das ganze Universum ausdehnen und nur unser guter Mond zusammenschrumpeln soll. Solche Tollheiten kennen wir sonst nur von der Wirtschafts- und Steuerpolitik unserer Regierung.

    Der Mond ist uns Modell und Vorbild in so vielem; vor allem lernen wir von ihm, dass es nichts Absolutes im Seienden gibt und sogar im Weltall nur eine bedingte Wirklichkeit herrscht. Also heben wir bei nächster Gelegenheit die Augen und schauen ihn an – solange er noch da ist. Wenn er immer kleiner wird, dann wird er irgendwann verschwinden. Logisch.