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"Der kalte Schmuck des Lebens"

"Der Bogen von einem Kind, das Kühe hütete im Tal, bis hierher ins Stadthaus von Stockholm ist bizarr. Ich stehe, wie so oft, auch hier neben mir selbst." Das sagte die Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller, der in München derzeit eine Ausstellung gewidmet ist.

Von Knut Cordsen | 25.04.2010
    Ein Schwarzweißfoto, aufgenommen im April 1971 bei der Deutsch-Olympiade in Hermannstadt. Eine junge Frau steht inmitten einer Gymnasiastengruppe, sie trägt einen Hosenanzug und eine Frisur, die einen für ganz kurz zögern lassen: Ist das jetzt Angela Merkel?

    Nein, die fast gleichaltrige Herta Müller blickt im Münchner Literaturhaus dem Betrachter freundlich lächelnd entgegen – in einer Ausstellung, die die Besucher in eine fremde Welt entführt: die der Banater Schwaben. Nitzkidorf ist eine kleine rumäniendeutsche Ansiedlung, noch heute ohne asphaltierte Straßen. Als Tochter eines Mannes, der mit 17 Jahren in dieselbe Waffen-SS-Division Frundsberg wie Günter Grass eintrat, wuchs die spätere Nobelpreisträgerin da auf, wo es nachts "sackdunkel und totenstill" wurde. Ihre Heimat will sie diese Gegend aufgrund der schmerzhaften Erfahrungen, die sie dort machen musste, nicht nennen.

    "Heimat – der Jorge Semprun hat ja gesagt, Heimat sei nicht die Sprache und nicht der Ort. Heimat, hat Semprun gesagt, ist das, was gesprochen wird. Das heißt ja schon sehr viel. Wenn man das, was gesprochen wird, nicht aushält oder das, was geschieht, einem gegen das eigene Leben gerichtet ist, dann ist es mit der Heimat nicht so weit her."

    Der armen, kargen Landschaft, in der Herta Müller zwischen Puppengras und Storchenkraut umherstreifte, hat sie ein Denkmal gesetzt in ihrem ersten Erzählungsband "Niederungen". Erste Entwürfe dieses Buches und Schreiben der Zensurbehörde sind in Vitrinen ausgebreitet. Darüber aber baumeln in München auf Kopfhöhe Blätterbüschel, aufgezogen auf einer Schnur, die sich kreuz und quer durch den gesamten Ausstellungsraum spannt: 900 Seiten Abhörprotokolle, Spitzelberichte und Maßnahmepläne aus der Geheimdienst-Akte Herta Müllers hängen so unheilsvoll über einem, während man die Lebens- und Werkstationen der heute 56-jährigen abgeht. Eine gelungene Inszenierung der völlig zerfledderten und bereinigten Akte, so, wie die Securitate Herta Müller sie erst im vergangenen Jahr, zwanzig Jahre nach dem Sturz des Regimes aushändigte. Ihr Leben stand und steht bis heute im Schatten von Einschüchterungsversuchen des Geheimdiensts.

    "Die Akte haben wir und die meisten ja erst bekommen durch einen Forschungsauftrag hier von der Münchner Universität. Ich habe öfters gehört, die Akte könne noch nicht geschickt werden, an der Akte werde noch gearbeitet. Ja, und da haben sie wahrscheinlich immer noch zu tun gehabt, bis man das alles herausgenommen hat, und bis man sich dann ganz im Klaren war mit der nötigen zeitlichen Distanz, dass ja keiner von der Hauptamtlichen zur Verantwortung gezogen werden konnte. Da hat man viel Zeit gebraucht, vorher man sie nicht herausgerückt. Zum Selbstschutz hat man die Zeit gebraucht."

    Aufschlussreich sind die erstmals der Öffentlichkeit präsentierten Notate Herta Müllers und Oskar Pastiors, die schließlich zur Entstehung von Müllers Roman "Atemschaukel" führten. Sie belegen eindrucksvoll, dass Pastior zwar lange mit dem Gedanken spielte, die Erfahrungen seiner fünfjährigen Lagerhaft als Zwangsarbeiter in der Ukraine selbst in Prosa zu fassen, aber immer wieder davor zurückschreckte: "Ich habe Angst vor unerfundenen Geschichten", schreibt er in sein Notizbuch. An Oskar Pastiors Poesie gemahnen bisweilen auch die Collagen, die den Schlusspunkt der Münchner Ausstellung bilden. Müller klebt diese gedichtartigen Gebilde aus einzelnen Zeitungsbuchstaben zusammen, ihrem äußeren Erscheinungsbild nach an erinnern sie an Erpresserschreiben. "Heute wäre ich mir lieber nicht begegnet" ist so ein Satz aus Herta Müllers Collagen. Derzeit arbeite sie wieder verstärkt an Collagen, erzählte sie in München, größere literarische Projekte hätten nu erst mal Pause.