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Der Kampf um die Inseln am Ende der Welt

Am 2. April 1982 wurde Großbritannien von der Nachricht überrascht, ihre Kolonie im Südatlantik sei gefallen. Obwohl der Konflikt um die Falkland-Inseln nur zehn Wochen dauerte, verloren fast 1000 Menschen ihr Leben. Ein eigentlich absurder Krieg, denn die 500 Kilometer vor der argentinischen Küste gelegenen Inseln mit ihren damals 1800 Einwohnern war für Großbritannien längst zu einer Last geworden.

Von Martin Zagatta | 02.04.2007
    "Die Falkland-Inseln, die britische Kolonie im Südatlantik ist gefallen". Argentinien behaupte das jedenfalls. So vorsichtig, fast ungläubig, vermelden die BBC-Nachrichten am 2. April 1982 die überraschende Invasion. Eine offizielle Bestätigung von den Malvinas, wie die Inseln im Spanischen genannt werden, oder von der britischen Regierung gibt es zunächst nicht. Die BBC muss zu ihrem Korrespondenten nach Buenos Aires schalten, in Argentiniens Hauptstadt, wo Radiosender den Malvinen-Marsch spielen, nachdem Präsident Leopoldo Galtieri, der Chef der Militärregierung, die "Rückeroberung" verkündet hat.

    Der bizarre Konflikt, der zwar nur zehn Wochen dauert, dem aber fast 1000 Menschen zum Opfer fallen, nimmt seinen Lauf. Noch Tage zuvor hatten in Argentinien Hunderttausende gegen die verheerende Wirtschaftspolitik und die Verbrechen der Militär-Diktatur protestiert. Nun werden die Generäle bejubelt. Nationale Begeisterung, so sagt der Diplomat Federico Mirré, die man seinen Landsleuten auch im Nachhinein nicht verübeln dürfe.

    "Die Malvinen gehören zu Argentinien. Argentinien musste die Inseln nach einer britischen Militärinvasion vor 174 Jahren aufgeben. Die argentinischen Siedler wurden vertrieben - und seither kämpfen wir mit diplomatischen Mitteln um die Rückgabe der Inseln. Die Militärs haben also ein gute Sache missbraucht. Von Kind auf hat meine Generation, die meines Vaters und meines Großvaters, schon in der Schule gelernt, dass die Malvinen zu Argentinien gehören und dass die Briten uns die Inseln zurückgeben müssen. Das hat die Diktatur ausgenutzt, um auf Gewalt zu setzen Außerdem hat Großbritannien in dieser Zeit den Eindruck erweckt, zu Gesprächen über die Malvinas bereit zu sein. Die Militärdiktatur hat dann die Verärgerung ausgenutzt, dass solche Verhandlungen immer wieder aufgeschoben wurden. "

    Federico Mirré, der Botschafter des südamerikanischen Landes in London, hat schon vor dem Krieg im Malvinas-Department der argentinischen Regierung gearbeitet. 1982 wurde er mit der Heimholung der Kriegsgefangenen betraut, als die Argentinier von der über fast 15.000 Kilometer angerückten britischen Flotte wieder von den Inseln vertrieben wurden. Und der 67-Jährige hat recht: Die Regierung in London hatte im Vorfeld des Kriegs durchaus erwogen, die Souveränität über die strategisch für sie schon lange bedeutungslos gewordenen Inseln aufzugeben. Unter Premierministerin Margaret Thatcher wurden 1980 sogar Geheimverhandlungen mit Argentinien geführt. Das hat der Militärhistoriker Lawrence Freedman enthüllt, in der "Offiziellen Geschichte des Falkland-Krieges", die er vor zwei Jahren vorgelegt hat, im Auftrag der britischen Regierung.

    "Großbritannien hat an diesen Inseln festgehalten, aber nicht viel für ihren Wohlstand und für ihre Sicherheit getan. Die Invasion der Argentinier kam für London völlig überraschend. Die Schwächen der britischen Politik wurden auf einen Schlag vorgeführt, und die Regierung war darauf nicht wirklich vorbereitet."

    Die Folge: ein erbittertes Blutvergießen zwischen zwei "westlichen" Ländern, ein absurd anmutender Krieg um kalt-windige, nur schwer bewohnbare Inseln nahe der Antarktis. Selbst die britische Geschichtsschreibung legt nahe, dass Jorge Luis Borges, Argentiniens großer Schriftsteller, nicht so falsch lag, als er den Falklandkrieg mit einem "Streit von zwei Glatzköpfen um einen Kamm" verglichen hat. Lawrence Freedman zufolge galt die Inselgruppe zu dieser Zeit in London bereits als auf Dauer "unhaltbar". Die 500 Kilometer vor der argentinischen Küste gelegene Kolonie mit ihren damals 1800 Einwohnern war längst zu einer Last geworden für das Königreich. Das aber spielt in dem Moment keine Rolle mehr, als die argentinische Junta die Malvinen in einer Nacht- und Nebelaktion mit 5000 Mann erstürmen lässt. Britische Soldaten, wenn auch nur wenige Dutzend, gefangengenommen, den britische Gouverneur vor die Tür gesetzt - das will sich Margaret Thatcher nicht gefallen lassen. Nur einen Tag später, an einem Samstagnachmittag, kündigt sie an, die Falkland-Inseln, das "britische Territorium", zu verteidigen.

    "Die Regierung hat jetzt entschieden, so schnell wie möglich eine große Eingreiftruppe loszuschicken. Sie wird von der "Invincible" angeführt, die am Montag ihren Hafen verlassen wird. Der Auftrag hängt auch davon ab - ob unsere diplomatischen Bemühungen, was wir hoffen, erfolgreich sein werden."

    Von patriotischen Tönen begleitet, lässt die "Eiserne Lady" nur drei Tage nach der Landung der Argentinier 102 Schiffe auslaufen. Ein kühnes Unternehmen: Fast 29.000 Soldaten werden auf den langen Weg in den Südatlantik geschickt, trotz Bedenken der Militärs. Die Flotte wird so hastig zusammengestellt, dass noch nicht einmal Zeit bleibt, so weiß man heute, einige an Bord befindliche Atomwaffen auszuladen. Die Schiffe sind fast vier Wochen unterwegs. Als sie sich ihrem Ziel nähern, erklären die Briten eine 200-Meilen-Sperrzone um die Falklandinseln. Sie bombardieren den Flughafen der Hauptstadt Port Stanley. Nur einen Tag später, am 2. Mai 1982, die militärische Vorentscheidung: 323 argentinische Seeleute werden getötet, als ihr Zerstörer "General Belgrano" von Torpedos des britischen U-Bootes "Conqueror" getroffen wird.

    Mit zwei Einschlägen kurz hintereinander, so wie der U-Boot-Kommandant es meldet, wird das argentinische Schiff versenkt, außerhalb der 200-Meilen-Sperrzone, eine Entscheidung, die Margaret Thatcher höchstpersönlich getroffen hat.

    "Als wir die Einsatzregeln geändert haben, was das Versenken der "Belgrano" erlaubt hat, ist das Ende April bekannt gemacht worden. Alle Schiffe, die eine Gefahr dargestellt haben für unsere Truppen, auch außerhalb der 200-Meilen-Zone, konnten angegriffen werden. Meine Pflicht war es, das Leben unserer Soldaten zu schützen. Als die "Belgrano" versenkt wurde, befand sie sich in einer Position, die eine Gefahr war für unsere Marine."

    Mit dem Tod von 323 Matrosen, mit der Versenkung des argentinischen Kreuzers werden aber auch alle Bemühungen um eine friedliche Lösung zunichte gemacht. Der Verdacht, dass Margaret Thatcher damit ganz bewusst jede Aussicht auf Verhandlungen torpedieren ließ, besteht bis heute. Diesen Vorwurf hält Lawrence Freedman allerdings für völlig unbegründet. Der Professor für Kriegsstudien am Londoner King's College, hat für seine "Offizielle Geschichte des Falklandkrieges" von der Blair-Regierung auch Einblick in Dokumente erhalten, die der Öffentlichkeit noch vorenthalten werden. Den Ausschlag - so Freedman - habe die Furcht vor den Argentiniern gegeben und das Wissen um die Schwäche der eigenen Flotte. Die "Belgrano" sei keineswegs zum Ziel geworden worden, um Vermittlungsversuche abzublocken.

    "Das stimmt überhaupt nicht. Die Belgrano wurde versenkt, weil die Militär-Befehlshaber sie versenken wollten. Die fühlten sich von den argentinischen Kriegschiffen bedroht und wollten die argentinische Marine davon abhalten, sich der britischen Flotte zu nähern - eine Rechnung, die ja dann ja auch aufgegangen ist. Aus Sicht der Militärs war das die beste Gelegenheit, ein argentinisches Schiff anzugreifen, und wenn sie die nicht nutzen würden, würden sie keine solche mehr bekommen. "

    Und der Abschuss erweist sich als wirkungsvoll: Die argentinische Flotte zieht sich umgehend in ihre Häfen zurück und läuft nicht mehr aus. Der Krieg ist damit aber noch nicht beendet. Vor allem die argentinische Luftwaffe fügt den Briten schwere Verluste zu, schon zwei Tage nach der Versenkung der "Belgrano". Allein 20 Soldaten sterben, als der Zerstörer "Sheffield" von einer Exocet-Rakete getroffen wird. Für die Briten ein Schock, wie sich der Funker Dave Goldie erinnert.

    "Das war wirklich eine Art Weckruf für uns. Wir dachten, die Argentinier könnten uns nicht treffen, dass wir in sicherem Gebiet waren - und das hat uns klar gemacht, dass wir wirklich in einem Krieg waren. Wir haben die Belgrano einige Tage vorher versenkt, aber das waren die ersten britischen Todesopfer."

    Nicht wenige Experten gehen davon aus, dass Argentinien den Krieg gewonnen hätte, wenn die Exocet-Raketen einen der Flugzeugträger getroffen hätten. Doch auch so kommen 252 britische Soldaten ums Leben, bis sich ihre Verbände zur Hauptstadt Port Stanley vorgekämpft haben und die Argentinier am 14. Juni kapitulieren. Drei Einheimische, drei ältere Frauen, sterben, als eine fehlgeleitete britische Granate über ihrem Haus explodiert. Auf argentinischer Seite fallen mindestens 650, wahrscheinlich weit mehr. Ihr Tod, die schmähliche Niederlage, beschleunigt zumindest den Fall der Militärregierung, Argentiniens Rückkehr zur Demokratie. Margaret Thatcher verhilft der Sieg zu derartiger Beliebtheit, dass sie Unterhauswahlen vorziehen und problemlos gewinnen kann. Und seit so viele britische Soldaten für die Falkland-Inseln ihr Leben gelassen haben, ist ein Verzicht auf die Kolonie auch kein Thema mehr in London.

    "Das war es auf alle Fälle wert. Ohne die Eingreiftruppe wären die Inseln jetzt ein Teil von Argentinien, und das wollen die Einwohner auf keinen Fall. Die können Briten bleiben, solange sie es wollen, und wir haben eine Pflicht, sie zu verteidigen, solange die Inselbewohner, die ja Briten sind, die wir da hingeschickt haben, solange sie Briten bleiben wollen."

    Rex Hunt, der vor 25 Jahren von den Argentiniern vorübergehend vertriebene Falkland-Gouverneur, ist heute mehr als zufrieden damit, was aus den Inseln geworden ist. Die mittlerweile knapp 3000 Einwohner sind längst nicht mehr von der Schafzucht abhängig. Sie haben wirtschaftlich gesehen sogar profitiert von dem Krieg, weil sie seither die von den Briten ausgerufene Schutzzone beanspruchen dürfen für ihre Fischereirechte. Ein lohnendes Geschäft: Der Verkauf von Fangrechten bringt jährlich mehr als 30 Millionen Pfund ein, mehr als 45 Millionen Euro. Die Falkland-Bevölkerung verfügt heute über eines der der höchsten Pro-Kopf-Einkommen der Welt. Die Inselbewohner sind damit bis auf den Verteidigungsaufwand finanziell unabhängig von Großbritannien. Sie genießen Steuervorteile, fast kostenlose medizinische Versorgung und widersetzen sich, mit Hinweis auf ihr Selbstbestimmungsrecht, jetzt erst recht jeder Annäherung an Argentinien. Für Botschafter Federico Mirré ist das allerdings kein Grund, die argentinischen Ansprüche aufzugeben.

    "Das Prinzip der territorialen Integrität hat Vorrang vor der Selbstbestimmung. Die Malvinas sind von ihrer Lage her, geographisch wie politisch, historisch und kulturell Teil von Argentinien. Und die Vereinten Nationen haben das Prinzip der territorialen Integrität anerkannt - dieses Prinzip geht völkerrechtlich gesehen vor - vor dem Prinzip der Selbstbestimmung."

    Buenos Aires erneuert seinen Anspruch auf die Inselgruppe jedes Jahr vor der UNO. Das südamerikanische Land beruft sich auf eine Resolution, in der Großbritannien und Argentinien aufgefordert wurden, ihren Souveränitätsstreit friedlich beizulegen, auf dem Verhandlungsweg. Beide Staaten haben 1990 wieder diplomatische Beziehungen aufgenommen. Großbritannien ist mittlerweile wieder der sechstgrößte Investor in Argentinien. Zu Verhandlungen über den Status der Inseln ist London aber nicht bereit.

    Was in der Vergangenheit passiert ist, sei Vergangenheit. Man habe unterschiedliche Positionen - und mehr könne er dazu nicht sagen, gibt sich Tony Blair bei seinem Argentinien-Besuch 2001 kurz angebunden. Und an der Position der britischen Regierung hat sich seither auch nichts geändert: "Es wird keine Verhandlungen über die Souveränität geben", solange - so das Londoner Außenministerium - "solange die Inselbewohner das nicht wollen". Aus argentinischer Sicht missachtet Großbritannien damit den Willen der UNO, ausgerechnet ein Staat - so kritisiert Boschafter Mirré, der von anderen doch immer fordere, Beschlüsse der Vereinten Nationen zu befolgen.

    "Die Vereinten Nationen haben beide Seiten aufgefordert, Verhandlungen aufzunehmen. Und die Briten sind verpflichtet, sich an UNO-Mandate zu halten, diese Aufforderung eingeschlossen. Denn um im Einklang mit den Vereinten Nationen zu handeln, kann man sich doch nicht nur etwas herauspicken, sich aussuchen, was man befolgen will und was nicht."

    Dass es in dem Verhältnis zwischen Buenos Aires und London noch immer Spannungen gibt, hat sich erst kürzlich wieder gezeigt. Britische Zeitungen berichteten im vergangenen Jahr über Befürchtungen, die Südamerikaner könnten die Beanspruchung britischer Truppen im Irak und in Afghanistan für einen neuerlichen Angriff auf die Falklandinseln nutzen. Argentinien hat das zurückgewiesen, als geradezu absurde Vorstellung abgetan, schon angesichts der militärischen Kräfteverhältnisse. Schließlich haben die Briten gleich nach dem Krieg für umgerechnet 600 Millionen Euro einen neuen Luftwaffenstützpunkt auf den Falkland-Inseln gebaut, auf dem jetzt ständig moderne Kampfflieger stationiert sind und rund 1300 Soldaten. Sparvorhaben, Pläne, weitere Kriegschiffe zu verschrotten, haben in London allerdings auch die Frage aufkommen lassen, ob die britische Marine heute einen Falkland-Einsatz überhaupt noch leisten könnte. Eine Frage, die Sir Jonathon Band, der Oberbefehlshaber der Seestreitkräfte, mit einem klaren Ja beantwortet.

    "Wir wären in der Lage, eine solche Operation 8000 Meilen entfernt auszuführen. Dazu wären wir heute in vielen Bereichen sogar besser befähigt als damals. Wir verfügen jetzt über See- und Lufttransportmöglichkeiten, die wir 1982 nicht hatten. Wenn uns die Regierung also über achttausend Meilen in einen Einsatz schickt, würden wir das machen."

    Die britische Marine will den 25. Jahrestag der Rückeroberung der Falkland-Inseln mit einer großen Militärparade in London feiern. Tausende der Kriegs-Veteranen sollen teilnehmen. Die dreitägigen Jubiläumsveranstaltungen Mitte Juni, unter anderem eine Live-Schaltung nach Port Stanley, sollten aber mehr eine Erinnerung werden als eine Siegesfeier, schließlich - so Admiral Peter Wilkinson, der die Londoner Parade organisiert, liege der Krieg erst 25 Jahre zurück, und auf beiden Seiten gebe es noch Empfindlichkeiten.

    Diesen Krieg zu verarbeiten, das haben auch auf britischer Seite viele Veteranen nicht geschafft. Mehr als 300 Falkland-Kämpfer haben inzwischen Selbstmord begangen, mehr Soldaten, als in den Gefechten gefallen sind. In Argentinien sollen sich seit Kriegsende rund 450 Malvinen-Kämpfer umgebracht haben. Die Überlebenden, Veteranen-Verbände in Argentinien, haben schon Widerstand angekündigt gegen eine mögliche Teilnahme an den Gedenkfeiern im Königreich. Sie verlangen von Federico Mirré, dem Botschafter, die Einladung der Briten auszuschlagen.

    "Ein gemeinsames Gedenken mit den Briten - das entscheide nicht ich, sondern die argentinische Regierung. Dieser Jahrestag - diese Zahl 25 hat ohnehin größere Bedeutung für die Briten, als Zahl an sich. Was Argentinien angeht: wir erinnern uns jedes Jahr an die Malvinen."

    Und das - ihren Malvinas nachzutrauern, sich an ihre in den Tod geschickten Soldaten zu erinnern, an das Gemetzel von 1982 - das werden die Südamerikaner wohl noch eine ganze Weile so tun müssen. Der Krieg, den General Galtieri angezettelt hat vor 25 Jahren, hat die Falkland-Inseln, das zeigt sich heute, wieder fester an Großbritannien geschweißt. Auf die Rückgabe ihrer Malvinen werden die Argentinier da wohl noch lange warten.