Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Der Kampf um gutes Essen für alle

Wo einst Menschen lebten und arbeiteten, machen sich Brachflächen breit. Mitten in der amerikanischen Autostadt Detroit entsteht Ackerland. Eine der größten Farmen ist die Earthworks-Farm. Gegründet wurde sie von einem Kapuziner-Mönch, um arme Bewohner der Stadt mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen.

Von Andreas Main | 16.07.2012
    "Ich heiße Akilah Muhammad. Ich nehme an einem der Trainingsprogramme der Earthworks-Farm teil. Und zwar, weil ich lernen will, selbst Lebensmittel anzubauen. Ich habe drei Kinder und bin alleinerziehend. Sie sollen lernen, sich gesund zu ernähren. Und ich baue eine eigene kleine Firma auf: Ich biete vegane Gerichte und glutenfreie Suppen an. Auch dafür brauche ich gute Nahrungsmittel."

    Akilah Muhammad ist 30 Jahre alt. Sie lebt in Detroit. Innerhalb der Stadtgrenzen – dort, wo fast alle, rund 80 Prozent, schwarze Hautfarbe haben, wie Akilah Muhammad. Die mit der weißen Haut sind im Laufe der Zeit alle in die Vororte gezogen. Innerhalb der Stadtgrenzen in einem Radius von rund 15 Kilometern rund um Downtown leben nur noch weniger als 800.000 Menschen. Die Stadt hat sich innerhalb von etwa 50 Jahren halbiert. Heute dominiert hier Rasen: Fasane laufen über Brachen. Platz genug für Farmen, für viele Farmen.

    Akilah Muhammad führt von einem Beet zum nächsten. Der Knoblauch ist reif. Überall wächst Salat in unzähligen Varianten, eine beneidenswerte Vielfalt. Hier ein Bienenstock, dort ein Gewächshaus.
    Es wirkt, als wären wir auf dem Land. Dabei sind es keine vier Kilometer bis zur Zentrale von General Motors im schicken Renaissance-Center. Die Realität dort hat nichts zu tun mit den leer geräumten Stadtvierteln. Hier gibt es keine Supermärkte mehr. Alle Ketten haben die Stadt verlassen. Die Menschen kaufen ihre Lebensmittel in Tankstellen und Liquor Stores, also in Läden, die Alkohol verkaufen.

    "Was die Leute in meiner Nachbarschaft essen, das ist eingepacktes und industriell gefertigtes Zeug. Sie haben keinen Zugang zu besseren Lebensmitteln. Und sie sehnen sich noch nicht mal nach Alternativen, weil sie es nicht besser wissen. Wobei, das ändert sich. Denn wenn die Kids aus der Nachbarschaft sehen, was meine Kinder zu essen bekommen, dann wollen sie das probieren. Und dann fragen sie danach, was da auf meiner Terrasse wächst. Ich will ein gutes Beispiel geben. Erziehung beginnt bei den Kleinen. Die sind unsere Zukunft."

    170 Tonnen Lebensmittel produzieren die Urban Farms in Detroit. Earthworks, eine der größten dieser innerstädtischen Bauernhöfe, verschenkt jährlich rund 100.000 Setzlinge an die Konkurrenz, die hier nicht als Konkurrenz gesehen wird. Kommunitarismus wird hier groß geschrieben, jene sozialphilosophische Lehre aus den USA, die die Verantwortung des Individuums gegenüber der Gemeinschaft betont.

    Direkt neben der Farm betreiben die Kapuziner eine Suppenküche. Täglich werden hier 2.000 Mahlzeiten verteilt: Salat, Gemüsesuppe, ein Sandwich und ein Glas Diabetiker-Limo – das ist das typische Mittagessen in der Suppenküche. Die Zutaten stammen von der Earthworks Farm.
    Hier macht sich Feierabendstimmung breit unter den freiwilligen Helfern, den Programmleitern und Schülern jeglichen Alters. Mit dabei Patrick Crouch, einer der Leiter der Earthworks-Farm. Zum Interview gehen wir ins Gewächshaus.

    "Ich bin sicher: Essen kann Medizin sein. Das gilt besonders für Leute, denen es so schlecht geht, dass sie in die Suppenküche kommen. Wir versorgen sie mit Essen, das sie verdienen. Gute Lebensmittel sind ein Menschenrecht. Und so ergänzen sich die Earthworks-Farmen und die Suppenküche. Wir fragen: Warum ist so etwas wie eine Suppenküche überhaupt nötig? Warum lässt dieses System so viele Menschen hängen – und warum nutzt es nur wenigen? Wir suchen nach Alternativen, nach einem System, das allen dient."

    Patrick Crouch trägt Basecap, ein drahtiger junger Mann. Vor Kurzem hatte er noch einen mächtigen roten Bart. Er fährt Rennrad anstelle von Autos. Patrick Crouch nimmt das, was er tut, sehr ernst. Es geht ihm um die Leute in dem Viertel hier im Osten Detroits.

    "Wir konzentrieren uns ganz auf die Nachbarschaft, auf ein paar Blocks um uns herum. Wir wollen, dass die Bereitschaft wächst, Verantwortung zu übernehmen. Die Farm, der urbane Bauernhof – das ist das Mittel, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern. Dann sind sie wieder in der Lage, ihre Viertel zu stabilisieren. Dann wollen sie auch nicht mehr wegziehen, dann werden neue Siedlungen gebaut und die alten erhalten. Das funktioniert."

    Pflanzen, Pflegen, Ernten – für Patrick Crouch hat das was mit Spiritualität zu tun. Jenseits von Konfessionen. Die gemeinsame Arbeit auf dem Acker verbinde Menschen, die nichts miteinander zu tun haben, egal ob wegen der Religion oder der Hautfarbe.

    "Das verändert das Denken in vielerlei Hinsicht. Detroit ist extrem gespalten, was Rassen und Klassen betrifft. Auf dem Acker gemeinsam zu arbeiten – das reißt Barrieren ein, da werden Gemeinsamkeiten spürbar. Da wird allen mal wieder klar, woher wir kommen. Staub bist Du – und zu Staub kehrst Du zurück."

    Nefer Ra Barber ist eine der Trainerinnen von Earthworks. Der Computer auf ihrem Schreibtisch hat die besten Tage hinter sich. Ihre Haare – Rastalocken – trägt sie stolz aufgetürmt. Die Verbindung zu den Kapuzinern hält sie für wichtig. Auch im Sinne derer, für die sie kämpft.

    "Die Kapuziner sind eine große Nummer in Detroit. Das gibt uns Glaubwürdigkeit. Wenn man sagt, ich nehme teil an einem Projekt der Kapuziner-Suppenküche, dann weiß hier jeder, wovon man redet. Wenn das auf dem Lebenslauf steht, dann wird man ernst genommen. Es gibt so viele, die nach Detroit kommen, mal für eine Nacht einfliegen, tolle Ideen haben und Geld machen wollen – aber die versprechen viel und halten nichts. Die Kapuziner aber – die sind hier. Seit Ewigkeiten. Und sie tun viel für uns."

    Rund 25 Schüler sind in den vergangenen drei Jahren durch ihre Schule gegangen. Für Nefer Ra Barber ist das, was sie hier tut, politisch.

    "Ich möchte nicht, dass die Leute denken, wir würden Almosen verteilen. Das ist hier kein x-beliebiges Programm, das man erduldet, und dann wartet man auf das nächste Programm. Wir wollen Leben verändern. Wir wollen ermutigen, nicht nur Fisch zu essen, sondern Fischer zu werden. Damit man eine eigene Zukunft hat. Das hier ist ein Sprungbrett. Meine Schüler sollen ein eigenes Einkommen haben, damit sie nicht mehr abhängig sind."