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Der Kampf ums Öl

Für jemanden aus Aserbaidschan, dem Irak, Iran oder einem anderen Land rund um den Persischen Golf klingt dieses Geräusch vertraut. Es sind Pumpen, die aus 1800 Meter Tiefe Öl an die Erdoberfläche befördern. Doch die Anlage steht mitten in Litauen, rund 25 Kilometer von der litauischen Ostseeküste entfernt. Und hier sind die sich auf und ab bewegenden Metallarme eher ein seltener Anblick, obwohl Geologen rund 80 Millionen Tonnen Rohöl im litauischen Küstenstreifen vermuten. Der Produktionsleiter des litauischen Ölkonzerns Geonafta Kestutis Invanauskas erklärt:

Barbara Minderjahn |
    Wir fördern hier rund 650 Barrel Öl am Tag. Insgesamt haben wir 4 von diesen Feldern. Wenn Sie das mit BP, Shell oder den anderen großen Ölkonzernen vergleichen ist das natürlich nicht viel, aber in ganz Litauen wird ungefähr so viel Öl produziert wie in Deutschland.


    Bereits vor rund 30 Jahren haben Geologen von der damals noch staatlichen Firma Geonafta die Erdölfelder vermessen und eine Kapazität von acht Millionen Tonnen für die Förderung erschlossen. Doch im Vergleich zu den riesigen Mengen schwarzen Goldes, die in Russland verborgen liegen, ist das nichts. Erst mit der Unabhängigkeit Litauens gewannen die Ölreserven an Bedeutung. Kestutis Ivanauskas:


    Wir haben 1990 mit der Ölförderung begonnen. Das war damals, als die Sowjetunion Litauen und die anderen baltischen Staaten mit einer Wirtschaftsblockade belegte. Sie stoppten einfach sämtliche Öllieferungen nach Litauen, und uns fehlten die Energieressourcen. Wir haben dann hier alles aufgebaut und zwei Monate später konnten wir schon mit der Förderung beginnen.


    Plötzlich und nur für kurze Zeit stand das litauische Öl im Mittelpunkt des politischen Interesses. Als der Rohstoff aus der Erde sprudelte – am Anfang brauchte man noch keine Pumpen – waren die Litauer begeistert und feierten ihren Sieg. Das Öl hat dazu beigetragen, die Unabhängigkeit gegenüber Russland zu sichern.


    Doch heute, 13 Jahre später, haben die eigenen Energieressourcen viel von ihrer strategischen Bedeutung eingebüßt. An ein russisches Embargo glaubt niemand mehr, und um ganz Litauen zu versorgen, ist die Produktion zu gering. Fünf bis sieben Prozent des nationalen Bedarfes, so schätzen die Experten von Geonafta, deckt die eigene Förderung zur Zeit ab. Kestutis Ivanauskas:


    Es wäre schon möglich, mehr Öl in Litauen zu produzieren. Aber dazu braucht man viele Investitionen. Erdölförderung ist ein teures Geschäft. Vor allem die Probebohrungen kosten viel Geld. Eine vertikale Bohrung zum Beispiel kostet 500.000 Dollar, eine horizontale Bohrung sogar eine Million.


    Gerade an dieser Stelle werfen Kritiker dem Staat vor, dass er mehr dazu hätte beitragen können, die erdölproduzierende Industrie im eigenen Land zu fördern. Da wäre zum Beispiel die Privatisierung: Anstatt die ehemals staatliche Ölexplorations- und Fördergesellschaft Geonafta als Ganzes zu veräußern, wurden die Förderrechte in vier verschiedenen Einzelausschreibungen verkauft. Nun gibt es vier verschiedenen Ölkonsortien, von denen jeder allein zu klein ist, um etwas bewegen zu können. Der Generaldirektor von Geonafta Antanas Jasas:


    Als kleine Firma ist es schwer, alle Risiken zu tragen, die mit dem Ölgeschäft verbunden sind: das finanzielle, das geologische, das politische und so weiter. Zum Beispiel die Finanzen: Wir können nicht viel Geld für ein Projekt bei der Bank leihen, weil die auf die Größe der Firma schaut, und wie viel sie zurückzahlen kann.


    Ein weiterer Aspekt ist der Ausbau der bestehenden Transportverbindungen. Öl kann mit der Eisenbahn, per LkW, mit dem Schiff oder durch eine Pipeline zum Verbraucher gebracht werden, wobei sich der Weg über Schiene und Strasse kaum für lange Transportstrecken eignet. Um zu expandieren, braucht die litauische Ölindustrie zahlungskräftige Kunden aus dem Westen. Doch Exportpipelines gibt es nicht und im großen modernen litauischen Seeterminal Butinge wird vor allem russisches Öl verladen. Der Direktor von Geonafta hofft daher, dass ein seit langem geplantes Projekt umgesetzt wird: der Ausbau des eigenen Hafens in Klaipeda. Der Generaldirektor von Geonafta Antanas Jasas:


    Wir versuchen schon seit zehn Jahren, den Hafen so umzurüsten, dass dort Öl verladen werden kann. Aber irgendjemand, entweder der Staat oder die Grünen, haben das Projekt bisher immer wieder gestoppt. Klaipeda ist natürlich ein ganz besonderer Hafen. Es gibt einen wunderschönen Strand. Die Grünen und die Regierung haben Angst, wir könnten ihn verseuchen.


    Direkt gegenüber von Klaipeda beginnt die unter Naturschutz stehende Kurische Nehrung.
    Doch auch das Ölterminal Butinge ist nicht mehr als 50 km entfernt, und hier hat die litauische Regierung die Verladekonzession erst vor wenigen Monaten erweitert, obwohl Umweltschützer protestieren und es bereits zwei Unfälle gegeben hat, bei denen Öl in die Ostsee geflossen ist. 14 Millionen Tonnen Erdöl dürfen in Butinge nun jährlich an einer Boje rund sieben ein halb km vor der litauischen Küste auf Tanker verladen werden. Der technische Direktor von Butinge Dennis Turner:


    Der Standard dieses Terminals ist genauso gut oder sogar besser als vergleichbare Terminals in den USA. Wir erfüllen alle amerikanischen Anforderungen an die Ölindustrie. Zusätzlich haben wir bei den Pipelines noch eine Leckanzeige. Das System überwacht ständig den Druck auf den Röhren und zeigt uns an, ob alles in Ordnung ist.
    Das ist der neueste Stand der Technik. Dann haben wir Schutzwälle aus Polyethylen und eine Betonschicht rund um und unter den Tanks, so dass kein Öl aus den Tanks in den
    Boden sickern kann. Die Behälter selber sind mit Plastik ausgekleidet damit sie nicht korrodieren, und das Wasseraufbereitungssystem verhindert, dass ölverschmutztes Wasser aus dem Terminal fließen kann.



    In der Tat ist das erst 1999 errichtete Terminal Butinge ein beeindruckend sauberer und moderner Industriekomplex. Doch die Ausdehnung der Konzession war nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine politische Entscheidung der litauischen Regierung.

    Das Ölterminal gehört zum Raffineriekonsortium Mazeikiu Nafta, und um dieses gab es nicht erst im letzten Jahr heftige Querelen. Aus Protest gegen die Bedingungen, zu denen der ehemalige Staatsbetrieb privatisiert werden sollte, traten 1999 die Minister für Finanzen und Wirtschaft, Jonas Lionginas und Eugenijus Maldeikis, sowie Ministerpräsident Rolandas Paksas zurück.


    Der umstrittene Vertrag sah vor, das der US-Ölkonzern Williams International 33 Prozent der Anteile an Mazeikiu Nafta übernimmt und die operative Kontrolle über den Betrieb. Im Gegenzug gewährte Litauen dem Unternehmen einen langfristigen Kredit in Höhe von 350 Millionen US Dollar zur Deckung der Schulden, was allerdings eine starke Belastung für den Staatshaushalt darstellte.


    Im August 2002 beschloss der amerikanische Energieriese wegen finanzieller Schwierigkeiten, seine Beteiligung an der Raffinerie mitsamt der operativen Rechte abzustoßen. Käufer sollte der private russische Ölkonzern Yukos sein, dem zu diesem Zeitpunkt bereits 26,85 Prozent von Mazeikiu Nafta gehörten.


    Die litauische Öffentlichkeit schrie auf. Einerseits, weil Williams International die Erwartungen der Litauer enttäuscht hatte. Anderseits, weil es zu gewagt erschien, der russischen Energielobby die Mehrheit und das Management zu überlassen für einen der wichtigsten Industriekomplexe Litauens!


    Die Regierung stimmte dem Deal trotzdem zu, denn anders schien Mazeikiu Nafta nicht mehr zu retten. Die Raffinerie, in der rund 3300 Mitarbeiter arbeiten und an der der litauische Staat mit etwas über 40 Prozent beteiligt ist, kam auch in den letzten Jahren unter der Führung von Williams International nicht aus den roten Zahlen heraus. Im Jahr 2001 meldete das Unternehmen fast 80 Millionen Euro Verlust. 2002 waren es rund 30 Millionen.


    Yukos versprach, die Raffinerie innerhalb von drei bis fünf Jahren in die Gewinnzone zurückzuführen, wovon der Staat nicht nur durch Steuerzahlungen, sondern auch in Form der direkten Gewinnbeteiligungen profitieren würde. Ende September ging der 26,85 prozentige Anteil von Williams an Yukos über. Yukos besitzt nun die Mehrheit von 53,7 Prozent . Im Juli diesen Jahres meldete Mazeikiu Nafta zum ersten Mal wieder einen Gewinn von umgerechnet etwas mehr als 20 Millionen Euro. Der Pressesprecher ) von Mazeikiu Nafta Gytis Karbauskas:


    Unser Hautaugenmerk liegt auf der Qualität, nicht auf der Quantität. Wir werden noch dieses Jahr die geplanten Modernisierungen unserer Anlage abschließen. Dann sind wir in der Lage, Benzin in der ab 2005 von der EU geforderten Qualität zu produzieren. Damit können wir unseren Gewinn noch erhöhen.


    Für Yukos ist Mazeikiu Nafta - die einzige Raffinerie in den baltischen Staaten - der Schlüssel zum europäischen Markt. Sie produziert Benzin, Diesel, Flugbenzin, Heizöl, Motoröl, Teer, Asphalt und Schwefel. 40 Prozent der Produktion gehen nach Westeuropa.


    Für Litauen bedeutet die Beteiligung von Yukos langfristige, stabile Lieferverträge und eine Erweiterung des Geschäftes. Der weltweit agierende russische Ölproduzent hat sich bereit erklärt, in Zukunft mehr Öl über die litauische Ostsee zu vermarkten. Allein das könnte schon den politischen Wandel aufzeigen. Der technische Direktor von Butinge Dennis Turner:


    In 2002 haben wir insgesamt 6 Millionen Tonnen Öl verladen. Seitdem Yukos zum managing partner geworden ist, haben sie mehr Öl über uns verschifft: elf bis zwölf Millionen Tonnen aufs Jahr gerechnet. Yukos sagt uns, dass das mindestens für die nächsten fünf Jahre so bleiben wird, vielleicht sogar noch mit einer weiteren Steigerung.


    Beides - langfristige Lieferverträge und eine garantierte hohe Liefermenge können in Zukunft, wenn die Energieressourcen knapper werden, ein entscheidender volkswirtschaftlicher Faktor sein. Und diese Chance konnte sich Litauen nicht entgehen lassen, vor allem weil der Beitritt zur EU bereits eine andere wichtige Energiequelle und Exportware des Landes versiegen lassen wird: den Strom aus dem Atomkraftwerk Ignalina.


    Die beiden Reaktoren des Kernkraftwerkes, das mitten in einem mit Seen gespickten Naturpark im Nordosten von Litauen steht, sind zwar jünger, arbeiten aber nach einem ähnlichen Prinzip wie die in Tschernobyl. Sie gelten daher als unsicher. Die EU hat es zur Bedingung für die Aufnahme Litauens gemacht, das Kernkraftwerk abzuschalten. Doch Ignalina produziert nicht nur Strom für Litauen, sondern für die gesamte baltische Region und Russland, weshalb die Stillegung die Menschen hier besonders schmerzt. Der Direktor des Atomkraftwerkes Viktor Sevaldin:


    Wir produzieren hier rund 14 Milliarden Kilowatt pro Jahr. Das sind 6,5 Milliarden für Litauen und 7,5 Milliarden für den Export. Wenn wir den ersten Block schließen, werden wir den Export verlieren.


    Doch an der Entscheidung aus Brüssel führt kein Weg vorbei. Die Regierung in Vilnius hat den Stillegungsplänen zugestimmt und das Datum für den ersten Reaktor bereits genannt. Über die Abschaltung des zweiten Reaktors scheint der Direktor des Werkes zwar insgeheim noch zu spekulieren, aber auch die wird er wohl kaum verhindern können. Viktor Sevaldin:


    Der erste Block wird Ende 2004 abgeschaltet, weil wir schon ein entsprechendes Gesetz haben, das dies festlegt. Was den zweiten Block angeht haben wir das Gesetz bis jetzt noch nicht. Es wäre theoretisch möglich, den zweiten Reaktor auch nach 2009 noch zu bedienen, aber wir wissen noch nicht, was die litauische Regierung beschließen wird. Ich werde die Entscheidung der Regierung spätestens 2008 erfahren, denn dann müsste ich neue Kernbrennstäbe bestellen, um den Betrieb weiter laufen zu lassen. Ich denke, bis dahin wird die Regierung eine Entscheidung getroffen haben. Derzeit sehen die Pläne so aus, dass der zweite Reaktor 2009 abgeschaltet wird, und davon gehen wir aus.


    Etwas ernsthafter ist dagegen die Idee, ein neues, modernes Kernkraftwerk nach westlichem Standard an die Stelle des alten zu setzen. Das Wirtschaftsministerium hat bereits Experten beauftragt, eine Machbarkeitsstudie durchzuführen. Und auch in der Bevölkerung hat die Kernenergie in Litauen genügend Anhänger. Doch es stellt sich die Frage, wer ein neues Atomkraftwerk finanzieren würde. Experten nennen eine Summe von 1 Milliarde Euro für einen Reaktor mit einer Kapazität von rund 1000 Megawatt. Viktor Sevaldin:


    Ignalina hat einen Vorteil gegenüber Deutschland. Ich glaube nicht, dass die deutsche Regierung einen Platz für ein neues Atomkraftwerk zur Verfügung stellen wird. Aber die Kernkraftwerke in Europa werden auch immer älter und müssen irgendwann geschlossen werden. Wenn wir hier ein neues bauen, können wir den Strom zum Beispiel nach Deutschland liefern. Im Westen ist es nicht so einfach, einen solchen Ort zu finden. Wir haben ihn schon und auch die Infrastruktur. Aber die litauische Regierung wäre unmöglich in der Lage, ein solches Kernkraftwerk zu bauen. Es ist zu teuer. Es wäre nur möglich, wenn ein ausländischer Investor das übernimmt.


    Ausländische Investoren warten darauf, in den litauischen Energiemarkt einsteigen zu können. So hat sich der litauische Staat im Zuge der EU-Erweiterung bereit erklärt, seine noch mehrheitlich von öffentlicher Hand geführten Stromverteilungsnetze Ost und West weiter zu privatisieren. Rund 15, beziehungsweise 20 Prozent der Unternehmen gehören
    bereits dem deutschen Stromkonzern Eon und dessen Tochter Ruhrgas. Nach Informationen
    der Financial Times Deutschland will Eon seine Beteiligung bei der anstehenden Ausschreibung erhöhen. Doch der Strom- und Gasmarkt hat auch seine Tücken.


    Als großes Problem sehen die ausländischen Unternehmen vor allem die Regulierungsbehörde, die "Nationale Kontrollkommission für Preise und Energie" an. Diese Institution legt den Maximalpreis für Strom- und Gas bei Kleinkunden fest, also für die normalen Haushalte. Und sie bestimmt, wann Kapazitäten ausgeweitet werden müssen. Das heißt: Der Regulator, nicht die litauische Regierung, entscheidet darüber, ob es für den Ersatz von Ignalina eine internationale Ausschreibung geben wird oder nicht.


    Laut Statut arbeitet diese Behörde unabhängig, schützt den Verbraucher und sorgt für Fairness zwischen den Wettbewerbern. In Wahrheit aber behindere sie das wirtschaftliche Geschehen unrechtmäßig, beschweren sich die Unternehmen. Jüngstes Beispiel ist der Streit zwischen der Behörde und dem litauischen Gasversorger lietuvos dujos. Die Gesetze sehen vor, dass die Behörde den Preis für Kleinkunden regulieren darf, weil diese zu schwach sind, um sich gegen eventuell überhöhte Preise der Unternehmen selber zu wehren. Die privaten Haushalte werden nur von einem Versorger beliefert, und das ist lietuvos dujos. Das Unternehmen, das noch zu 58 Prozent dem litauischen Staat und zu 35,7 Prozent Ruhrgas/Eon gehört, tritt also in diesem Marktsegment als Monopolist auf.


    Was den Bereich der Großkunden angeht, gibt es noch einen weiteren Gasanbieter, Dujotekana. Laut Gesetz darf die Behörde den Preis hier nicht regulieren. Denn diese Kunden, die jährlich mehr als 15 Millionen Kubikmeter Gas abnehmen, also zum Beispiel die großen Fernwärmeunternehmen, können selber entscheiden, bei wem sie kaufen. Anfang Juni diesen Jahres entschied sich die Behörde, auch den Preis für Großkunden zu regulieren. Im Gespräch waren zwei unterschiedliche Preise für die beiden Wettbewerber. Lietuvos dujos sollte demnach zu einem niedrigeren Preis verkaufen müssen als Dujotekana. Der Leiter der nationalen Kontrollkommission für Preise und Energie Professor Vidmantas Jankauskas:


    Gas ist die Hauptenergiequelle für Fernwärme. Und die Fernwärme ist ein sehr sensitiver Bereich in Litauen. Deshalb ist die Preisregulierung in dem Bereich sehr wichtig für Litauen. Das litauische Gasunternehmen lietuvos dujos beschäftigt sich sowohl mit dem Verkauf von Gas, als auch mit Transport und Vertrieb. In allen drei Bereichen haben sie Kosten, und wir erlauben ihnen in allen drei Bereichen, ihre Kosten zu decken und einen vernünftigen Gewinn zu machen. Aber wir glauben nicht, dass diese Firma einen zusätzlichen Gewinn machen sollte. Wir wollen, dass die Kunden bezahlbare Energie und einen guten Service bekommen und dass die Investoren einen vernünftigen Ertrag haben, aber keinen extra Profit.


    Dazu, dass für beide Wettbewerber unterschiedliche Maximalpreise gelten sollten, wollte der Regulator keine Stellung beziehen. Ende Juni klagte lietuvos dujos vor dem Amtsgericht Vilnius. Die Entscheidung des Regulators verstoße gegen geltendes Recht und benachteilige das Unternehmen gegenüber seinen Konkurrenten.


    Noch vor dem Gerichtstermin Mitte September zog die Regulierungsbehörde den Vorstoß zurück. Kurze Zeit später folgte eine neue Entscheidung: Der Regulator schlug vor, dass Großkunden sich selber entscheiden sollen, ob sie in Zukunft als regulierte Kunden gelten wollen.


    Der Gaspreis für Großkunden liegt in Litauen, anders als in den meisten Ländern, über dem regulierten Preis für Kleinkunden, denn dieser liegt nur knapp über dem Gaseinkaufspreis der Versorger. Der zweite Vorschlag der Regulierungsbehörde hat also eine ähnliche Wirkung wie der erste. Er zwingt den Versorger, der den regulierten Markt bedient, nämlich lietuvos dujos, auch Großkunden zum gleichen niedrigeren Maximalpreis für Haushalte zu beliefern.


    Die Entscheidung der Regulierungsbehörde ist zum jetzigen Zeitpunkt besonders prekär, da das Unternehmens in Kürze weiter privatisiert werden soll. Der russische Gaslieferant Gazprom will mit 34Prozent einsteigen. Der stellvertretende Geschäftsführer von Lietuvos dujos Joachim Hockertz:


    Wenn eine Regulierungsbehörde alles reguliert, dann verhindert sie ein Geschäftsmodell, was einen Investor anziehen könnte. Die Gesetzeslage legt den regulierten Bereich fest. Und nur der Gasverkauf, ohne Transport, ohne Distribution an Großkunden ist nicht reguliert. Nur in diesem Bereich, und darauf basiert das Geschäftsmodell, was man einem Investor anbieten könnte, kann er, wenn er gut arbeitet, einen vernünftigen Gewinn machen. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass wir im Rahmen der Privatisierung uns bemühen, um einen langfristigen Gaseinkaufsvertrag. Die positive Seite der langfristigen Verträge ist Stabilität. Wir können unseren Kunden wiederum langfristige Verträge anbieten. Wir können unseren Kunden Versorgungsstabilitt und Preissicherheit anbieten. Kehrseite der Medaille ist, dass wir eine Abnahmeverpflichtung haben. Wir können nicht aussteigen. Beides gehört zusammen. Wenn der Regulator sagt, er reguliert den gesamten Markt, das funktioniert nicht. Das Geschäftsmodell funktioniert nicht. Konkret auf uns bezogen: die Gazprom wird sich nicht an unserer Gesellschaft beteiligen, mit allen Konsequenzen.


    Die Regulierungspraxis in Litauen könnte nicht nur die Privatisierung von lietuvos dujos und damit die Stabilität auf dem Gasmarkt gefährden, sondern auch weitere ausländische Investitionen in den Strom- und Energiebereich verhindern. Das Loch, das die Abschaltung der beiden Reaktoren von Ignalina im Bereich der Energieexporte hinterlässt, lässt sich so nicht schließen. Zwar werden die herkömmliche Kraftwerke nach der Atomära in Litauen mehr produzieren als bisher. Zusätzlich will Litauen einen Windpark und kleinere Wasser- und Holzabfallkraftwerke bauen. Die Regierung hat mit der EU vereinbart, den Anteil erneuerbarer Energien von jetzt 3Prozent auf 10Prozent im Jahr 2010 zu steigern. Doch auch das reicht nur, um den Eigenbedarf an Strom zu decken. Darüber hinaus sind viele Kraftwerke veraltet und müssen renoviert werden, was wiederum Investitionen fordert. Strom als Exportware wird also die Schließung von Ignalina nicht überleben.


    Was bleibt ist das Öl. Zwar wird Litauen in diesem Bereich nie zu einem wichtigen Rohstofflieferanten werden. Selbst wenn 80 Millionen Tonnen Öl gefördert werden könnten – das ist jeder Tropfen, den die Geologen im litauischen Küstenstreifen vermuten – würde das gerade einmal reichen, um das Ölterminal Butinge fünf ein halb Jahre auszulasten. Doch die Russen haben Litauen als wichtigen Exporteur für Öl und Ölprodukte erkannt. Und die Litauer scheinen sich mit den russischen Investoren abgefunden zu haben.