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Der Klatsch, die Frauen und das Sprechen bei der Arbeit

Da ließ diese lange nichtsnutzige Person bei jedem Stück eine derbe Bemerkung, eine Zote vom Stapel; sie breitete das Elend der Kunden, die Erlebnisse der Alkoven aus: Sie hatte für alle Löcher und alle Flecke, die ihr durch die Hände gingen, einen Werkstattscherz bereit. So wurde das ganze Viertel La Goutte-d'Or bei jedem Wäschesortieren im Laden entkleidet." Die Wäscherin Clémence zerreißt sich den Mund und klatscht ordentlich über ihre Kunden in Émile Zolas "Der Totschläger". Der Laden der Wäscherin ist eine Börse für alle Nachrichten des Dorfes oder des Stadtteils. Nicht zufällig sagt man noch heute von jemandem, der über andere herzieht, dass er "schmutzige Wäsche" wasche, wie Birgit Althans, Pädagogin aus Berlin, in ihrer Untersuchung zum Klatsch herausstellt:

Thomas Kleinspehn |
    "Ich habe die Wortgeschichte des Klatsches rekonstruiert und habe rausgefunden, dass der Ursprung des deutschen Wortes des Klatsches der Waschplatz ist und das galt so in der Neuzeit als die Neuigkeitsbörse, wo man eben Informationen bekommen hat über das Dorfleben und über das, was in der Welt passierte. In der Literatur finden sich auch Anzeichen dafür, dass die Männer darauf richtig neidisch wurden. Der Waschplatz war ein Ort, von dem Männer komplett ausgeschlossen waren... Das war wirklich ein Ort, dem sich ein Mann nur auf ein paar Meter näherte. Andererseits wurde dann alles registriert, da erfährt man wirklich, was das Neueste ist."

    Vielleicht nicht unbedingt als Gegenentwurf, aber doch in der Auseinandersetzung mit dem Tratsch der Frauen an den Waschplätzen und Waschhäusern schaffen sich im 17. und 18. Jahrhundert auch Männer Orte, an denen sie ungehindert klatschen konnten:

    "Man findet in der Literatur über die ersten Kaffeehäuser in England, dass die Männer ihre Kaffeehäuser als Orte, wo sie sich getroffen haben, um Informationen zu bekommen, tatsächlich so konzipiert haben wie ein Waschplatz oder wie ne Geburtsöffentlichkeit, also nach dem weiblichen Vorbild. Und dann haben sie aber gleich von Anfang an versucht, das möglichst seriös zu gestalten und auf diese Lust, die beim Waschplatz offensichtlich ist, wenn Frauen klatschen bei der Arbeit, die haben sie versucht, von Anfang an zu maskieren, um Informationen seriöser zu gestalten."

    Am Thema Klatsch entwickelt Birgit Althans zentrale Dimensionen des Geschlechterkampfs. Für sie ist klar, dass beide Geschlechter klatschen, oft ohne es zu merken. Frauen gestehen sich ihr Klatschverhalten eher ein - so meint die Autorin - während Männer Mechanismen erlernt haben, dies in geordnete Bahnen zu lenken. Dabei geht das Vergnügen am Sprechen, Erzählen und Tratsch oft verloren. Mit dieser Frage im Hinterkopf verfolgt die Autorin voller Lust für Details die unterschiedlichen Diskurse der Geschlechter - vom Sprechen der Frauen beim Arbeiten am Waschplatz, über die Kaffeehäuser und die Orte der Kaufleute und des Finanzhandels bis hin zum Sprechen an den Arbeitsplätzen der Industrie, das die Organisationspsychologie in den Griff zu bekommen versucht. Besonderes Augenmerk legt die Autorin auf die Versuche zur Disziplinierung der Rede, die parallel zu den Tendenzen der Affektkontrolle im Rahmen des Zivilisationsprozesses zu beobachten sind. Defoe, Diderot und Rousseau sind hier ihre wichtigsten Belastungszeugen in einem Prozeß, bei dem das Sprechen der Frauen und der Männer immer unterschiedlicher bewertet wird. Männer mußten sich zusammennehmen - wollten sie geschäftlich erfolgreich sein - und nicht durch Tratsch Angriffsflächen bieten und ihren eigenen Ruf gefährden. Das unterscheidet bürgerliche Männer von den Wäscherinnen.

    "Die haben nicht bei der Arbeit gesprochen, sondern aus dem Reden ihre Arbeitsöffentlichkeit gemacht und über Geschäfte gesprochen. Und da war von Anfang an das Problem, dass ein Mann als seriös und als verlässlich gelten musste, damit man ihm auch Finanzgeschäfte zutraute. Aus den Kaffeehäuser haben sich auch so Institutionen wie Bank, wie Versicherungswesen entwickelt. Und da war es ganz wichtig, dass nicht irgendeine Lust am Klatsch auftauchte, sondern dass man sagte, "nein, das sind ganz seriöse Informationen, da kann man sich drauf verlassen, da können sie investieren."

    Hier greift dann der Diskurs der Aufklärer ein, bei dem die Kreditwürdigkeit der Finanzwelt einhergeht mit der Angst vor den überbordenden Begierden und Lüsten von Frauen. Der Panzer, den sich bürgerliche Männer seit der Aufklärung auferlegen, dient beidem - der Seriosität und dem Schutz. Birgit Althans entdeckt das beispielsweise in der Allegorie der Lady Credit bei Daniel Defoe. Der Kredit der Männer wird durch das Andere, die Lust der Frauen am Tratsch, an der Sexualität bedroht:

    "Ein Spezialist für den Credit ist Daniel Defoe... und der hat gesagt: "Den Credit eines Geschäftsmannes kaputtzumachen, kommt im Prinzip einer Kastration gleich, das macht ihm in Prinzip fertig, macht ihn hilflos, ohnmächtig und unfähig, weiter Geschäfte zu machen. [45'45] Es wird auch immer wieder gesagt, der Klatsch der funktioniert eigentlich wie dieses weibliche Geschlecht, wie die Vagina dentata. Der Klatsch greift den Credit der Männer an, schnappt den und saugt den aus, beißt denen die Existenz aus."

    Mit der Beschreibung dieser Disziplinierungsprozesse geht die Berliner Autorin weit über eine reine volkskundliche Betrachtung des Klatsches hinaus. Ihre Untersuchung erhellt nicht nur in sehr sinnlich-konkreter Weise Aspekte der Geschlechterauseinandersetzung. Sie führt auch über den Kreditdiskurs zu Management- und Organisationstheorien. Denn so wie sich schon Taylor, der Erfinder des Zeittaktes am Fließband, beschäftigten sich viele Theoretiker mit den Konsequenzen des Sprechens am Arbeitsplatz:

    "Man sieht dann bei den neuzeitlichen "Arbeitgebern", also den Bauern... ein Bestreben, die bei Laune zu halten und denen Geschichtenerzähler zu servieren, wenn die diese langweiligen Arbeiten des Spinnens, des Gänsekielspleißens - also alles Sachen die monoton sind, da haben sie dafür gesorgt, dass sie Unterhaltung hatten und die durften sich auch unterhalten. Die sind deshalb auch gerne gekommen, weil es eine ganz lustvolle Atmosphäre war, richtig erotisch. Da ist es dann fast logisch, dass die Arbeitsorganisation... der es nur um Effizienz geht, dass die da von vornherein misstrauisch gegenüberstehen muß und so ist es dann auch bei Taylor. Taylor stößt auf das Schwatzen der Arbeiterinnen, was ihm nicht in den Kram passt, bei einem Versuch mit Kugellagersortiererinnen, die setzt er wie so ein Schulmeister... auseinander, die durften nicht mehr sprechen und sollen in der Pause sprechen.

    Hiergegen laufen viele Arbeiter und vor allem Arbeiterinnen Sturm. Sie bestanden darauf, dass die monotonen Arbeiten in der Fabrik und am Fließband vom Sprechen begleitet werden konnte. Der Kampf gegen das Sprechen am Arbeitsplatz wird selbst in den flexibleren Ansätzen der Human Relations aufrechterhalten. Das Dudeln des Radios bei der Arbeit ist nur ein müder Abklatsch von der Lust am Sprechen bei der Arbeit:

    "Mir war das auch deshalb wichtig, weil ich die Arbeit geschrieben habe gegen eine Argumentation und neuere Management- und Organisationstheorie, die sagt, Klatsch ist eine ziemlich interessante Sache, wir haben den Klatsch richtig entdeckt für die Organisation. Die sagen, das ist eben ein informelle Netzwerk, da kursieren so viele Informationen, das kann richtig produktiv sein. Seitdem die das als etwas positives entdeckt haben, ist es natürlich völlig geschlechtsneutral."

    Eine ähnliche geschlechtsspezifische Blindheit entdeckt Birgit Althans auch bei jener Wissenschaft, die eigentlich angetreten war, Menschen zum Sprechen zu bringen: die Psychoanalyse, die nach Ansicht der Autorin große Ähnlichkeiten mit dem Klatsch habe. Aber schon Freud kann dies bei der Analyse seiner hysterischen Patientinnen nicht akzeptieren.

    "Das muss er natürlich leugnen. Am Anfang der Dora-Analyse gibt es permanent Verweise, dass Psychoanalyse natürlich überhaupt nichts mit dem zu tun hat, was gemeinhin Klatsch genannt wird und dagegen grenzt sich ganz massiv ab. Aber während der Analyse merkt man es die ganze Zeit, er hat damit zu kämpfen... Wenn man Psychoanalyse anguckt gibt es strukturell eine große Ähnlichkeit zum Klatsch, weil Psychoanalyse und Klatsch interessieren sich beide für Sexualität - für verdrängte Sexualität."

    Freud drohte sozusagen seinen Credit zu verlieren, wenn er sich auf den Klatschdiskurs eingelassen hätte. Diese und ähnliche Zusammenhänge zu einem ganz profanen, alltäglichen Thema deckt die Autorin in einem lustvoll zu lesenden Buch auf, das an einigen Stellen allerdings auch lustvoll expandiert. Etwas weniger Tratsch hätte dem Buch womöglich ganz gut getan und es noch lesbarer gemacht. Aber vielleicht wäre dann auch manche schmutzige Wäsche nicht ans Tageslicht geraten.