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Der klingende Roman

Das Buch von Ray Bradbury wie auch die Verfilmung durch Francois Truffaut sind weltberühmt: "Fahrenheit 451" erzählt von einer totalitären Gesellschaft, in der die Feuerwehr Brände legt, statt sie zu löschen - sie legt Brände gegen in Büchern festgehaltene Gedanken. Der australische Komponist Brenton Broadstock machte aus "Fahrenheit 451" eine Oper, die jetzt in der Bundeskunsthalle Bonn zu sehen ist.

Von Frieder Reininghaus |
    " Papier ist ein besond'rer Stoff."

    Es ist dünn und glatt; in kleinen Mengen sind die Blätter leicht, in geballter Ladung gewichtig und womöglich gefährlich. Vielfältig ist das Papier zu nutzen oder zu missbrauchen. Es ist gut für Geist, Geld und Liebe - also fürs Gedächtnis wie die Planung, für die Werbung wie die Treueschwüre, für die Rechnungslegung wie als möglichst fälschungssicher ausgestattetes Zahlungsmittel. Papier gehört zu den Segnungen der Menschheit wie zum Fluch. Und bei 232° C fängt es an zu brennen.

    Diese Temperatur wird in Nordamerika mit 451° Fahrenheit angegeben. Der Science-Fiction-Roman von Ray Bradbury geht davon aus, dass in einem künftigen Wohlfahrtsstaat nicht nur kritische Fragen unerwünscht sind und tödliche Folgen haben, sondern auch die Bereitstellung und Lektüre von Büchern und Zeitschriften verboten ist. Alle Drucksachen werden von der massiv aufgerüsteten Brandwehr aufgespürt, ggf. mitsamt den Eigenheimen der Besitzer oder Nutzer abgefackelt.

    Die Idee, ausgerechnet die Feuerwehr mit der Exekution des Terrors gegen das Papier, seine Freundinnen und Liebhaber zu beauftragen, war Bradburys dialektischer Geniestreich und verweist bis heute darauf, dass Institutionen oder Verbände, die man in wohltätigen Absichten konzipierte, "umkippen" und totalitär werden können.

    Brenton Broadstock hat den zum schlichten Substrat zusammengekürzten Text mit einer elektronischem Ton- und Geräuschspur versehen, aus der Martinshorn und Hundegebell als Versatzstücke einer "musique concrète" herausragen und der Vokalpartien zugesellt wurden, die wohl absichtsvoll auf jede größere Ambition oder gar Künstlichkeit des Gesangs verzichten.
    Markus Lüpertz, Kunstakademie-Direktor in Düsseldorf, hat die Opern-Adaption von "Fahrenheit 451" ausgestattet: vor den von ihm mit rasch hingeworfener Lineatur bedachten Gardinen, in der Menschenbildnisse zu erkennen sind, gehen eine Handvoll jener Brandwächter in Stellung, die dem gedruckten Wort auf den Fersen sind. Ihre Arbeitskluft und Helme erinnern halb an die Playmobil-Männchen, halb an die Grenzschutztruppen der DDR. Subkommandant Beatty und sein Untergebener Montag schälen sich als Protagonist heraus beim Ausräuchern einer Dame, die den Tod bei ihren Büchern der Verhaftung und Internierung vorzieht. Dieser "Freitod" macht Guy Montag nachdenklich. Erst recht der Kontakt zu einem Nachbarmädchen, das von Beatty wg. eines vagen Verdachts, sie könne unbequeme Fragen stellen, erstickt wird.

    Während der einfache Feuerwehrmann abtrünnig wird und heimlich zu lesen beginnt (deswegen dann auch von seiner fernsehgeilen Frau denunziert wird), redet sich der Vorgesetzte in Rage: er entwickelt seine Philosophie des Feuers und dessen reinigender Kraft.

    In gewisser Weise erfährt Broadstocks Kammeroper zu viel Happy End: Gewiss, der zur Redlichkeit erwachende Herr Montag wird von den eigenen Leuten zur Strecke gebracht - in Bonn besorgen es die Pappkameraden von Prof. Lüpertz; aber er landet in einer auch harmonisch besseren Welt, in der die vorangegangene Quirligkeit der Musik einer altbewährten Getragenheit wich. Das Sänger-Team um Emanuel Pichler und James McLean ist nicht zu beneiden: es muss die wenig sangbaren Partien gegen den Maschinen-Sound setzen und kommt erst in der lichten andern Welt und mit den in dieser dominierenden Frauenstimmen besser zum Zug.

    Der "Fahrenheit"-Roman gehört zu den faszinierenden literarischen Dokumenten der 50er Jahre. Durch die Musik von Broadstock gewinnt er wenig hinzu, verliert aber viel. Vielleicht sollte man den Abend nutzen und das Buch lesen, statt in die Bundeskunsthalle zur klangvollen Auf und Nachbereitung zu gehen.