Archiv


Der Knick zum Rechnen

Zwar langweilen sich handelsübliche Rechner bei der Bewältigungen normaler Anwendungen meist und nur aufwendige Spiele oder Multimediaanwendungen rütteln sie aus dem permanenten Dösen, doch Wissenschaftler und Marketingstrategen verlangen nach immer neuen Leistungsrekorden bei den Rechenknechten. Allerdings rücken die Grenzen des mit bisheriger Technologie Machbaren in immer größere Nähe. Deshalb schlagen Physiker ganz neue Wege ein und setzen dabei auch auf neue Werkstoffe. Ein Zauberwort dabei sind so genannte "Nanotubes" - winzige Röhrchen aus Kohlenstoff, die mit einzelnen Elektronen angesteuert werden können.

Frank Grotelüschen |
    Mikrometer bestimmen die Welt der Mikroprozessoren und Chips. So messen die Leiterbahnen auf einem Computerchip etwa einen halben Mikrometer. Doch Physiker arbeiten bereits an Bauelementen, die noch einmal 100 bis 1000 Mal kleiner sind – etwa Transistoren, die nur einige Nanometer messen, also einige Millionstel Millimeter. Sie sind das Grundelement eines jeden Computerchips: Transistoren schalten und walten über die elektrischen Ströme, die durch die feinen Leiterbahnen eines Chips fließen. In heutigen Transistoren werden bei einem Schaltprozess Hunderttausende von Elektronen in Bewegung gesetzt. Viel filigraner geht es dagegen bei dem Transistor zu, den Cees Dekker von der Technischen Universität Delft in den Niederlanden entwickelte: "Wir verwenden nur ein einzelnes Elektron, um den Stromfluss durch das Bauteil zu steuern."

    Der so genannte Ein-Elektronen-Transistor basiert nicht mehr auf der Siliziumtechnologie der heutigen Schaltkreise, sondern auf einem ungewöhnlichen Kohlenstoffmolekül, dem Nanotube, erläutert der Forscher: "Ein Nanotube ist ein winziges Röhrchen aus Kohlenstoff, dessen Durchmesser gerade einen Nanometer beträgt. Allerdings kann seine Länge das Tausendfache betragen." Dieses lange, extrem dünne Röhrchen besitzt besondere Eigenschaften. Zum einen ist es das stabilste Material, das je hergestellt wurde. Überdies kann ein einzelnes Nanotube elektrischen Strom leiten. Cees Dekker und seine Kollegen bearbeiten den Winzling mit einem speziellen Instrument, dem Rasterkraftmikroskop. Dessen Herzstück besteht aus einer extrem feinen Nadel, welche die abzubildende Oberfläche abtastet wie ein Plattenspieler die Vinylscheibe. Und ebenso, wie die Plattenspielernadel Staubkörner aus dem Weg schiebt und die Rillen abschleift, kann auch die Nadel des Mikroskops Hindernisse aus dem Weg räumen – allerdings in einzelnen Atomen und Molekülen. Ein ideales Werkzeug für die niederländischen Atommechaniker: "Mit der Spitze des Mikroskops stoßen wir in die Seite des Nanotubes und knicken es ein wie einen Strohhalm. Die Biegung behindert schließlich den elektrischen Strom wie das Fließen einer Limonade in einem Knick-Strohhalm." Diese Hürde können nur einzelne Elektronen bei einer bestimmten Spannung überwinden. Das Entscheidende: Ein einzelnes Elektron reicht aus, um den Stromfluss völlig zu unterbrechen und den Transistor auszuschalten.

    Zwar existieren solche Ein-Elektronen-Transistoren bereits seit einigen Jahren, doch verrichteten sie bislang nur unter aufwendigen Laborbedingungen ihren Dienst, wie beispielsweise bei Temperaturen von minus 273 Grad Celsius. Dagegen arbeitet der Nanoschalter von Cees Dekker auch bei Zimmertemperatur: "Indem wir diese scharfen Knicks in die Nanotubes gemacht haben, konnten wir einen extrem kleinen Transistor bauen, der gegenüber thermischen Einflüssen unempfindlich ist." Noch ist das Werk der niederländischen Wissenschaftler reine Grundlagenforschung, doch das Potenzial scheint enorm: "Wir machen die Werkzeuge für die Werkstatt von Morgen. Die Siliziumtechnologie heutiger Computer dürfte in etwa zehn Jahren an ihre Grenze stoßen. Der Ein-Elektronen-Transistor wäre da schon eine Alternative für die noch kleinere Elektronik von Morgen." Wie aber Myriaden solcher Kohlenstoff-Schalter miteinander zu einem Prozessor vernetzt werden könnten, dafür hat Cees Dekker bisher noch keine zündende Idee.