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Der Knoten platzt

Das Filmfestival von Taormina gilt traditionell als einer der wichtigsten Spiegel für den Zustand des italienischen Kinos. Zwar hat es in diesem Jahr mit finanziellen Sorgen und einem neuen Konkurrenzfestival in Rom zu kämpfen. Doch künstlerisch geht es dem italienischen Kino besser denn je.

Von Josef Schnelle |
    Im Teatro Greco Antico, in der Ruine des griechischen Theaters am Meer im sizilianischen Touristenstädtchen Taormina findet seit über 50 Jahren unter Sternen das Familientreffen des italienischen Kinos statt. Das Taorminafilmfest steht in diesem Jahr unter einem unglücklichen Stern. Im Oktober wird in Rom ein neues Festival entstehen, das mit zweistelligem Millionenetat schon jetzt alle Sponsoren in Italien anzieht. Auch Taormina hat seinen Hauptsponsor - eine große italienische Bank - verloren und muss um seine Zukunft fürchten. Trotzdem könnte der Zeitpunkt des Italiafilmfest mit einem Wettbewerb der 15 besten italienischen Filme nicht günstiger gewählt gewesen sein. Das italienische Kino boomt wie schon lange nicht mehr. Felice Laudadio, vor Jahren Direktor der Filmbiennale von Venedig jetzt Festivalchef Taorminas, außerdem Leiter des hochrespektablen Filmmuseums "Casa del Cinema" in Rom schwärmt:

    "In nächster Zukunft kann das italienische Kino wieder zu einem der bedeutendsten der Welt werden wie zu Zeiten des Neorealismus."

    Das italienische Kino hatte in letzter Zeit heftige Kürzungen der öffentlichen Mittel zu überstehen, für die die inzwischen abgewählte Berlusconi-Regierung verantwortlich war. Nur rund 100 Filme konnten trotzdem gedreht werden. Doch das alles konnte das italienische Wunder im Kino nicht verhindern. Auf einmal standen drei italienische Filme an der Spitze der Einspielergebnisse: die Teenagerkomödie "Die Nacht vor dem Examen" von Fausto Brizzi, eine satirische Abrechung mit der italienischen Männlichkeit des Kabarettisten und Schauspielers Carlo Verdone: "Mein liebster Feind" und Nanni Morettis Berlusconi-Polemik "Der Kaiman". Drei Filme, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Es gibt wieder knalliges Genrekino wie "Der 17. Stock" - ein mit 40.000 Euro finanzierter spannender Gangsterfilm der Manetti-Brüder. Michele Soavi lieferte mit "Auf Wiedersehen Liebste, Tschüss" eine moderne Variante von Bernardo Bertoluccis "Il Conformista" und Sergio Rubini die apulische Version der Brüder Karamasov: "La terra". Den besten Film des Jahres aus künstlerischer Sicht drehte allerdings Regiealtmeister Marco Bellochio. "Il Regista di Matrimoni" - "Der Hochzeitsregisseur". Der war schon in diesem Jahr in Cannes im Nebenprogramm "Un certain regard" zu sehen gewesen und ist eine immer bildkräftige und manchmal sarkastische Bestandsaufnahme seines Lebens als Autorenfilmer.

    Im sizilianischen Küstenstädtchen Cefalu begegnet Filmregisseur Franco Elica einem Kollegen, der einen Unfall vorgetäuscht hat, um endlich den italienischen Filmpreis Donatello zu bekommen, einer jungen Frau, die sein Herz entflammt, aber gerade reich heiraten soll, einem dubiosen Prinzen und einem Filmer von Hochzeitsvideos, der ihn verehrt. Er verstrickt sich in ein Netz aus Lügen und Illusionen, aus dem nur ein Filmemacher wieder heil herauskommt. Marco Bellochio, der seinen Debütfilm schon 1965 drehte, hat durchgehalten und ist auch in den dunklen Zeiten der Mittelmäßigkeit der italienischen Filmindustrie weiter seinem konsequenten Kurs als Autorenfilmer gefolgt. Auch ihm kommt die Wiedergeburt des italienischen Kinos mit über 50 Prozent Marktanteil in der ersten Hälfte dieses Jahres nun zu Gute. Wirklich eine Renaissance? Auch Andrej Plakhov, den bekanntesten russischen Kritiker und Präsidenten des Weltkritikerverbandes FIPRESCI hatte der erstaunliche italienische Filmboom nach Taormina gelockt:

    "Ich würde noch nicht von einer Renaissance sprechen, aber es sieht danach aus, dass in der italienischen Filmindustrie einiges passiert. Man hat auf so etwas schon viele Jahre gewartet. Das italienische Kino war ja Jahrzehnte in einen schrecklichen Zustand. Aber nun gibt es Gründe zum Optimismus."

    Warum plötzlich im italienischen Kino der Knoten geplatzt ist und auch viele neue junge Talente zum Vorschein kommen, dafür hat Felice Laudadio nur eine Erklärung. Zu lange hatte der Respekt vor den Klassikern die junge Generation geradezu gelähmt.

    "Das Problem heißt immer: Man muss den Vater töten."

    Neue goldene Zeiten für das italienische Kino? Eine ähnliche Entwicklung wie im Filmland Deutschland, in dem sich gerade auch eine neue Generation zu Wort meldet? Man wird abwarten müssen, ob der Trend länger als nur einen Sommer hält. Immerhin darf man von der neuen Mitte-Links-Regierung einen freundlicheren Kurs in Sachen Filmkunst erwarten. Schließlich muss sie keinen Medienkonzern des Regierungschefs mehr stützen. Dann könnte es eines Tages auch in Italien wieder heißen: "Viva il Cinema